Hagen. Der Fall Sarah Everard wirkt von London bis an die Volme - auch hier machen Frauen auf das Thema Sicherheit aufmerksam. Ein Blick auf die Zahlen.
31 Frauen wurden im vergangenen Jahr in Hagen Opfer einer Vergewaltigung. Das sind mehr als zwei Vergewaltigungen, die monatlich in dieser Stadt geschehen; elf mehr als noch im Vorjahr. Vergewaltigungen, über die bis zur Vorstellung der Kriminalitätsstatistik niemand gesprochen hat. „Die Taten haben allesamt nicht im öffentlichen Raum stattgefunden. Es gab zudem immer eine Vorbeziehung. Das heißt, dass keine Frauen, die zum Beispiel auf dem Nachhauseweg waren, Opfer einer solchen Tat wurden“, sagt Polizei-Sprecherin Ramona Arnhold. Die Polizei entscheide sich bewusst gegen eine Veröffentlichung.
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„Die Entscheidung ist immer vom Einzelfall abhängig. Hier spielt der Schutz des Opfers eine wichtige Rolle und die Tatsache, ob Zeugen gesucht werden oder Hinweise auf Täter vorliegen. Bei Zeugenaufrufen, Warnungen der Bevölkerung oder auch, um wichtige Präventionshinweise zu geben, veröffentlichen wir natürlich entsprechende Meldungen“, so Ramona Arnhold. In solchen Fällen gebe es eine extrem hohe Betroffenheit der Opfer. „Die psychischen Folgen sind immens, eine Veröffentlichung kann die Situation für sie verschlimmern. Es erfordert extrem viel Mut, so eine Tat anzuzeigen.“
Mordfall löst Debatte aus
„Schreib’ mir, wenn du zu Hause bist, Küsschen“. Ein paar Wörter reichen aus, um Millionen Menschen zu bewegen. Diese Text-Nachricht verbreitet sich nach dem Fall Sarah Everard, die in London auf dem Heimweg entführt und ermordet wird, wie ein Lauffeuer in den sozialen Medien, wird millionenfach geteilt. Eine Textnachricht, die vermeintlich jede Frau schon einmal erhalten hat. Sarah Everard aber konnte niemandem schreiben. Sie kam nie zuhause an. Der Fall löste eine Debatte über die Sicherheit von Frauen aus – und schlug Wellen selbst bis nach Hagen. Auch hier machen junge Frauen jetzt auf das Thema aufmerksam. Der Anlass für das Gespräch mit der Polizei.
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In Summe sind im vergangenen Jahr 95 Frauen Opfer von Straßenkriminalität geworden. Konkret: 39 Frauen wurden Opfer sexueller Belästigung, fünf Frauen Opfer exhibitionistischer Handlungen, in zwei Fällen wurden Frauen Opfer von der Erregung öffentlichen Ärgernisses, 33 Frauen wurden auf Straßen, Wegen oder Plätzen Opfer von einer gefährlichen/schweren Körperverletzung. In 39 Fällen waren Frauen das Opfer von Nachstellung/Stalking. Insgesamt 133 Fälle von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gab es (sexueller Missbrauch, Körperverletzung, Zuhälterei, Verbreitung pornografischer Schriften usw.).
Möglichst nicht alleine gehen
Und trotz all der Warnungen kommt es vor. Junge Frauen laufen alleine nach Hause, auch in Hagen. Und sie fühlen sich unsicher. Beispiel Katharina Stein. Sie hat sich auf einen Aufruf der Redaktion gemeldet: „Man hat schon Angst. Man wechselt die Straßenseite, wenn Männer einem entgegenkommen. Ich habe immer versucht, mein Handy am Ohr zu haben. Wobei ich schon meistens versucht habe, mit dem Taxi zu fahren“, erinnert sie sich. Aber es habe eben Zeiten gegeben, in denen sie alleine nach Hause gelaufen sei. Kein Einzelfall, wie der Aufruf zeigt. Viele der Frauen wollen ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. „Dann würden sich meine Freunde angesprochen fühlen“, sagt eine 23-Jährige. „Sie warten nicht, bis man zuhause ist. Passiert schon nichts...“
Was die Polizei rät
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Die Polizei Hagen empfiehlt hier unabhängig vom Geschlecht: „Gehen Sie besser gemeinsam mit anderen. Grundsätzlich gilt: Ausgeleuchtete Straßen, belebte Strecken sind gegenüber Schleichwegen die bessere Wahl.“ Auf Kopfhörer sollte verzichtet werden: „Hier werden Umgebungsgeräusche reduziert oder ausgeblendet. Dies ist nicht nur im Hinblick auf mögliche Übergriffe ein Problem.“ Sollte man durch Unbekannte angesprochen werden, solle man am besten nicht reagieren. Befinde man sich in einer bedrohlichen Situation empfehlen die Experten der Kriminalprävention/Opferschutz: „Machen Sie auf sich aufmerksam und bitten Sie um Hilfe.“ Wichtig sei: Ruhig bleiben und die eigene Körpersprache in den Fokus nehmen – und sich im Zweifel konkret an die Täter wenden: „Gehen Sie weg“, „Lassen Sie mich in Ruhe.“
Komme der Täter zu nah, dann helfe nachweislich auch untrainierte Gegenwehr (schlagen, kratzen etc.). „Sinnvoller als ,Waffen’, die unter Umständen auch gegen einen selbst gewendet werden könnten, seien Kleinalarmgeräte, so die Polizei. „Bei unmittelbarer Gefahr sollte immer der Notruf (110) gewählt werden.“
Die Polizei appelliert, wenn möglich eine Abholung zu organisieren, den ÖPNV zu nutzen, oder ein Taxi zu rufen. „Lassen Sie sich alternativ von einer (männlichen) Vertrauensperson begleiten. Es kann auch helfen, Freunde über die Ankunft zu informieren. Das Smartphone sollte mitgenommen, aber nach Möglichkeit nicht offen gezeigt werden.“
„Schreib’ mir, wenn du zu Hause bist, Küsschen“.