Brilon. Wwoofen: Ihre Jobs haben Rebecca Zimmer und Martin Bürger zeitweise aufgegeben. Nun arbeiten sie unbezahlt auf einem Bio-Hof. Was sie antreibt.
„Ich war in meinem Beruf nicht mehr komplett glücklich“, sagt Rebecca Zimmer, 29 Jahre alt. Ein Bürojob in der Verwaltung, mit 16 Jahren als Auszubildende gestartet. Ihre Karriere als Beamtin vorbestimmt? Das wollte sie nicht mehr.
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Rebecca brauchte eine Auszeit und nahm sich zwei Jahre unbezahlten Urlaub. Ihr Wunsch nach mehr als einem Jahrzehnt Schreibtisch-Dasein: körperliche Arbeit. Von ihrer Heimat im Hunsrück zog es sie ins Sauerland zum „Gemüsegarten an der Egge“ in Brilon -Madfeld. Dort arbeitet sie seit Anfang Juli auf dem Feld – ohne Bezahlung.
Wwoofen: Weltweiter Trend auch im Sauerland angekommen
Allein ist sie nicht: Martin Bürger hat seinen Job bei einer Steuerberatungsgesellschaft am Niederrhein gekündigt. Seit mehr als drei Monaten arbeitet der 30-Jährige nun schon unbezahlt auf dem Sauerländer Hof. Seinen Lebenslauf liest sich ähnlich wie der von Rebecca, er brauchte Abstand von dem Bürojob. „Ich habe nicht an meiner Entscheidung gezweifelt.“ Bis er eine neue Stelle gefunden hat, möchte er auf dem Bauernhof bleiben.
Doch was führt die beiden jungen Erwachsenen als freiwillige Feldarbeiter ins Sauerland?
Freiwillige Feldarbeit- Wwoofen auf einem Sauerländer Hof
Was zuerst unwirklich klingt, ist Teil eines weltweiten Netzwerks: Wwoof. Das steht für „World Wide Opportunities on Organic Farms“ und beschreibt die Gelegenheit, die Arbeit auf mehr als 500 eingetragenen ökologischen Bauernhöfen in Deutschland zu entdecken. Für ihre Hilfe auf dem Feld werden sie in der Familie aufgenommen, bekommen jeweils ein Zimmer gestellt und werden mit den Lebensmitteln aus dem eigenen Anbau versorgt.
Brilon: Wwoofer als willkommene Hilfe für „Gemüsegarten auf der Egge“
Den ökologischen Hof „Gemüsegarten auf der Egge“ in Brilon-Madfeld betreiben Marius Senge (28) und Isis Otto (31) seit fast vier Jahren, bei der weltweiten Bewegung sind sie seit einem Jahr eingetragen. 20 Wwoofer waren schon hier.
Das Klischee eines traditionellen Landwirts erfüllt Marius Senge nicht: Seine blonden Haare hat er zu einem Zopf gebunden, seinen langen Rauschebart hat er in der Corona-Zeit wegen der Maskenpflicht zu einem Schnauzer abrasieren. Erst wenn er seinen Hut trägt, verleiht ihm das einen Bauern-Charme.
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Isis Otto kümmert sich an diesem Tag um die drei Kinder. Statt der Feldarbeit sorgt die noch ausstehende Bachelorarbeit in Sozialer Arbeit derzeit für Stress. Da seien die Wwoofer eine willkommene Hilfe. „Als Kleinbetrieb können wir selbst nur wenig verreisen und so können wir neue Leute kennenlernen“, betont sie. Zur Hof-Familie gehören noch die Pferde Fleur und Fine und jeweils ein knappes Dutzend Hühner und Schafe sowie zwei Ziegen -- Bauernhof-Idylle.
Briloner Bio-Bauer hat sich alles über Landwirtschaft selbst beigebracht
Was Marius Senge über die Landwirtschaft weiß, hat sich der gelernte Heilerziehungspfleger selbst beigebracht. Angefangen hat er mit dem Buch „Das neue Leben auf dem Lande“ von John Seymour. Sein Prinzip orientiert sich an die Demeter-Richtlinien. Das bedeutet: Anbau mit Pflanzen wie Scharfgabe, Brenessel oder Kamille. Seine Erfahrungen als Selbstversorger möchte er mit den Wwoofern teilen, indem sie ihm bei der Arbeit helfen.
Die Eckdaten
Der deutsche Dachverband der weltweiten Bewegung Wwoof hat sich 1992 gegründet. Mehr als 500 Bio-Bauernhöfe sind hier eingetragen.
Für das Wwoofen gibt es keine Voraussetzungen. Geld verdienen die freiwilligen Helfer nicht, mit ihrer Arbeit finanzieren sie Unterkunft und Verpflegung.
Mehr Informationen gibt es auf der Internetseite unter www.wwoofen.de
An diesem Tag bedeutet das vor allem Unkraut zupfen. Wwooferin Rebecca ist gut vorbereitet: schwarzes T-Shirt, Gummistiefel, Arbeitshose. Ihre dunkelbraunen Haare hat sie zu einem Zopf zusammengebunden: Bereit zur Unkrautbekämpfung. Martin Bürger ist im Vergleich dazu leger gekleidet: Jeans, neongelbes T-Shirt, Handschuhe. Eine Kappe schützt ihn vor der Sonne. Doch auch bei ihm hat die Arbeit im Gemüsegarten Spuren hinterlassen. Ob er die Hose jemals wieder sauber bekommt? „Mir macht die Arbeit Spaß“, sagt er. Seine Stimme ist ruhig, fast schon monoton. Kommt diese Gelassenheit vom Gärtnern?
Wwoofen: Körperliche Arbeit gibt ein gutes Gefühl
Montag bis Freitag sind die beiden von 8 Uhr an auf dem Feld: Zur schweißtreibenden Handarbeit gehört unter anderem das Ernten des Knoblauchs, der Zucchini oder des Mangolds. Voraussetzung: belastbare Knie, die sich tief in die Erde eingraben. Doch sie lernen auch, wie sie selbst Pflanzen anbauen und umtopfen.
Die Auszeit von den Verpflichtungen des Alltags gebe ihr ein gutes Gefühl, beschreibt die 29-Jährige. Mit einem Lächeln schaut sie auf ihre dreckigen Hände: „Ich hatte viel Muskelkater.“ Nach dem Feierabend falle sie förmlich ins Bett. „Ich bin abends platt und kann gut schlafen.“ Sorge hat sie nur vor dem Regen, dann wird die Feldarbeit ungemütlich.
Mehrere Wwoofer-Höfe in Deutschland
Die beiden Wwoofer sind zufrieden, lernen viel und ein bisschen Urlaub ist auch dabei. Im Alltag achtet Höflerin Isis Otto auf das Miteinander nach der Arbeit: Zu Mittag essen sie in der Regel gemeinsam, auch abends soll niemand alleine im Zimmer sitzen. „Wenn wir uns dann am Tisch anschweigen, macht es keinen Sinn“, sagt sie. Wenn jemand wie Martin länger vor Ort ist, könnten sie als Familie auch mal für ein bis zwei Tage wegfahren. „Das Vertrauen ist groß.“ Mindestens zwei Wochen sollen die Wwoofer bleiben -- so lange dauert die Einarbeitung.https://www.wp.de/newsletter
Bis Anfang August bleibt Rebecca Zimmer noch in Brilon-Madfeld. Nach einem zweiwöchigen Zwischenstopp in der Heimat geht es weiter auf einen anderen Wwoofer-Hof in Bayern. Wie lange Martin Bürger im Sauerland bleibt, weiß er noch nicht. Für seinen neuen Beruf sucht er nach einem Teilzeit-Modell: ein Job im Büro, einer in der Natur.