Sprockhövel. Am Donnerstag öffnen die Schulen in der Region trotz Widerstands teilweise wieder. Was Plastikfolie und Eimer so wichtig für die Hygiene macht.
Auf die Tafel in Raum F018 ist noch die Eisenhower-Matrix geschrieben: Mit ihrer Hilfe lassen sich Aufgaben einordnen, ob sie wichtig oder dringend sind. Oder beides. Das ist ein Unterschied. Feucht durchwischen ist gerade wichtig und dringend. Eine Frau feudelt den grauen Fliesenboden des Raums im Erdgeschoss der Wilhelm-Kraft-Gesamtschule in Sprockhövel. Nur noch wenige Stunden sind es, bis am Donnerstagmorgen viele Schulen nach dem Erlass der Landesregierung zumindest teilweise wieder öffnen. Dem Coronavirus zum Trotz. Dem Widerstand der Opposition und der Lehrer-Verbände zum Trotz. Schulleiter Christoph Uessem wird die Türen öffnen. Ob er will oder nicht.
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Die Sache ist am Mittwoch, als in Sprockhövel das Wischwasser gerade erst getrocknet ist, Thema im Landtag in Düsseldorf.NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hält den Schulstart für „ein Signal in Richtung Normalität“. Am Donnerstag gehen Schüler in die Schulen, die jetzt vor Prüfungen stehen: Abiturienten dürfen sich auch zu Hause aufs Abi vorbereiten. Alle anderen müssen in den Unterricht: die Abschlussklassen der Sekundarstufe 1 (Zehntklässler); die Abschlussklassen aller Bildungsgänge an Berufskollegs; die Abschlussklassen an Förderschulen.
Schulöffnung trotz Corona: Die Tücke liegt im Detail
Christoph Uessem, den Schulleiter, scheint so schnell nichts aus der Fassung zu bringen. Die grauen Haare und der graue Bart berichten von Lebenserfahrung. Aber so etwas wie das hier ist auch für ihn neu. Er kann die Dinge herrlich einfach klingen lassen, wenn er sagt, wie die Klassenzimmer vorbereitet wurden. „14 Stühle für genau 14 Schüler“, meint er über Raum F018. Sie stehen akkurat weit auseinander. „Alle anderen Stühle haben wir nach nebenan geräumt - und aus die Maus.“
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Das klingt nach nach: wird schon. Aber die Tücke liegt im Detail. Auch deshalb sagt er Sätze wie diesen: „Die Informationspolitik war zum Teil skandalös.“ Um 22 Uhr am vergangenen Freitagabend habe er eine Mail erhalten, dass die Schule jetzt wieder zu öffnen sei.
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Widerstand der Opposition und der Bildungsverbände
Daran entzündet sich vor allem der Widerstand, den die Opposition und die Bildungsverbände leisten. Grüne und SPD halten den „einseitig auf Prüfungen fixierten“ Schulbeginn für zu riskant und ungerecht. Außerdem sei die Vorbereitungszeit der Schulen mit drei Tagen zu kurz gewesen, der Infektionsschutz womöglich nicht überall ausreichend.
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Uessem und sein Stellvertreter Sebastian Kreutzkamp stehen am Mittwochmittag in „ihrer“ Schule. Über ihnen auf dem Flur der ersten Etage röhrt eine Reinigungsmaschine, jemand anderes desinfiziert die Handläufe des Geländers. Das Gesundheitsamt war am Dienstag schon da und hat das Sicherheitskonzept abgenommen. Aber der Weg dahin war holprig. „Da waren Vorgaben dabei, an die hätten wir im Traum nicht gedacht“, sagt Kreutzkamp.
Schüler kommen zur Früh- und Spätschicht
Über 200 Schüler erwartet die Schule am Donnerstag. Die Klassen sind geteilt worden, maximal 14 Schüler sitzen nun in Räumen, die geographisch möglichst weit auseinander liegen. Zudem sind die Schüler in Früh- (erste und zweite Stunde) und Spätschicht (fünfte und sechste Stunde) unterteilt. Dazwischen: Wahlfächer. „Die Schwachstellen sind ja nicht die Klassenräume, sondern die Flure und Ein- und Ausgänge“, sagt Kreutzkamp. Unterrichtet wird in prüfungsrelevanten Fächern, in Sprockhövel bedeutet das maximal vier Stunden Schule für jeden Schüler am Tag. Hofpausen gibt es nicht.
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Weil die Klassenräume wechseln, müssen die Schüler Sitzplatz und Tisch selbst säubern. Dazu werden in jeden Klassenraum Eimer mit Seifenlauge aufgestellt. Eimer, die die Schule bislang nicht hatte. Uessem fuhr in den Baumarkt und besorgte 25 Stück. Er musste aber noch einmal los, in den Supermarkt: Er kaufte zehn Rollen Frischhaltefolie, die über die Tastaturen der Computer gelegt werden, damit sie von Nutzer zu Nutzer erneuert werden können.
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Sitzpläne und Toilettenkontrolle
Es werden Sitzpläne angefertigt „und zu den Akten gelegt“, sagt Uessem, um mögliche Infektionswege leichter rückverfolgen zu können. Eine Lehrkraft wird den Tag damit verbringen, auf einer etwas schmucklosen Bank zu sitzen und zu kontrollieren, dass nicht mehr als die erlaubten zwei Schüler gleichzeitig zur Toilette gehen. Reicht das alles? Und was ist mit dem Rädchen am Wasserhahn, das ja doch wieder jeder anfassen muss?
SPD und Grüne vermissen eine „systematische Vorbereitung“ der Schulen auch bei der Hygiene. Die Verantwortung werde auf Kommunen und Schulleitungen abgewälzt. Schnelligkeit gehe vor Gründlichkeit. Die Landesregierung sagt, sie folge einem Hygiene-Gutachten von Experten auf der Grundlage der Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes. Dazu gehören in den Schulen ein Mindestabstand von 1,50 Meter, Händehygiene und die gründliche Reinigung von Flächen.
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Hygiene-Regeln beim Schülertransport
Aber auch der Weg zur Schule kann zum Problem werden. „70 Prozent unserer Schüler sind Bus-Kinder“, sagt Uessem. Sie kommen zum Teil aus Ennepetal, Schwelm, Wetter. Die Landesregierung erklärte am Mittwoch, wie die Hygieneregeln beim Schülertransport aussehen. Die Schüler werden gebeten, in Bus und Bahn Masken zu tragen, an Haltestellen auf Abstand zu gehen, andere Kinder nicht zu berühren, Gespräche zu vermeiden und möglichst zwischen zwei Personen einen Sitzplatz frei zu lassen. Wenn es nicht nötig ist, Bus und Bahn zu nutzen, sollte darauf verzichtet werden. Die Opposition bezweifelt, dass an engen Haltestellen auf Abstand geachtet werden kann.
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In einem Nebengebäude der Gesamtschule in Sprockhövel surren zwei Nähmaschinen. Lehrkräfte und Sozialarbeiterinnen fertigen Mundschutze für Kollegen an, weil der Schulträger, der Ennepe-Ruhr-Kreis, keine liefern wird. 50 haben sie schon, mehr als 100 brauchen sie.
"Die Grenze zum Unverantwortlichen"
„Die jetzige Phase lässt sich machen“, sagt Uessem mit einer Mischung aus Zuversicht und Sorge, „aber bei einer Erweiterung der Schulpflicht für weitere Jahrgänge werden wir an Grenzen stoßen.“ Allein schon personell. Ein drittel des Kollegiums gehört zur Risikogruppe. Die Landesregierung hat aber weitere Lockerungen schon diskutiert. „Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, über eine zweite Lockerung nachzudenken, ehe man die Auswirkungen der ersten nicht kennt. Und ob die Grenze zum Unverantwortlichen dann überschritten wird, möchte ich jedem selbst zur Beurteilung überlassen.“ (mit mk)