Hagen/Sauerland/Siegen-Wittgenstein/Olpe/Ennepe-Ruhr-Kreis. Der Schausteller ist verzweifelt, der Einzelhändler atmet auf. Das sagen Betroffene aus der Region zu den neuen Corona-Regeln.
Keine Schützenfeste, kein Kirmes-Besuch, keine Karl-May-Festspiele in Elspe. Geschäfte dürfen öffnen – aber nicht alle. In den Schulen geht es bald los – aber wie? Und für die Hotels und Gaststätten gibt es noch keine Perspektive. Die am Mittwoch beschlossenen Corona-Maßnahmen reichen bis weit in das Jahr hinein. Und sie haben Folgen für alle Menschen in der Region. Wir haben uns im Sauerland, in Hagen, dem Ennepe-Ruhr-Kreis, Siegen-Wittgenstein und dem Kreis Olpe umgehört und lassen Betroffene zu Wort kommen.
Der Schausteller:
Ob Hasper Kirmes, Mender Pfingstkirmes, die große Kirmes in Wenden oder die in Hüsten – all diese für unsere Region so prägenden Volksfeste könnten den neuen Bestimmungen zum Opfer fallen, dass bis zum 31. August alle Großveranstaltungen wegen der Corona-Pandemie verboten sind. Andreas Alexius ist Schausteller aus Ennepetal, betreibt einen Autoscooter und ist 1. Vorsitzender des Hagener Schaustellervereins. Er sagt: „Wir Schausteller sind in einer existenzbedrohenden Situation. Bleibt das derzeitige Berufsverbot für uns auf längere Sicht bestehen, geraten wir in eine dramatische Lage, die auch durch staatliche Hilfe kaum aufzufangen wäre.
Wie sollen wir bloß vom Staat bewilligte Kredite zurückzahlen? Es droht ein Massensterben von Volksfesten und damit das Ende einer 1200 Jahre alten Tradition. Nach der Winterpause ohne Einnahmen, aber laufenden Kosten sollte eigentlich die Kirmes-Saison längst gestartet sein. Eigentlich wäre es so wichtig, dass die Menschen in der Corona-Krise durch den Besuch von Volksfesten wieder einmal auf andere Gedanken kommen.“
Der kleine Einzelhändler
Der Spielwarenhändler Stefan Scharfenbaum kann vorerst aufatmen. 115 Quadratmeter groß ist sein Geschäft in der Innenstadt von Brilon. Er darf also am Montag wieder öffnen und wird dies auch tun. „Es ist genau die Entscheidung, die wir Händler uns gewünscht haben. Es ist gut, dass die Wirtschaft langsam wieder ans Laufen kommt.“ Mit einem Ansturm rechnet Scharfenbaum, der auch auch Vorsitzender der Werbegemeinschaft primaBrilon ist, nicht – eher mit einer langsamen Erholung. In der Zeit der Schließung haben die Stammkunden den Briloner nicht hängen lassen. Gesellschaftsspiele und Puzzle (eigentlich seit langem Ladenhüter) wurden bestellt und ausgeliefert. Beim für ihn wichtigen Geschäft mit Schulranzen hat er der Versuchung widerstanden, sie über das Internet zu verkaufen: „Dann wären am Ende für die treuen Kunden, die auf die Öffnung gewartet haben, nur noch die unbeliebten Modelle geblieben. Das wollte ich nicht.“
Auch interessant
Aufs Jahr gesehen, rechnet der Händler schon mit Umsatzeinbrüchen. Scharfenbaum hat dennoch das Gefühl, dass die Krise auch einen positiven Effekt haben könnte. Die Menschen hätten gesehen, was verwaiste Innenstädte bedeuten. „Vielleicht bewirkt das doch ein Umdenken, mehr vor Ort zu kaufen.“ Unter welchen Bedingungen das Geschäft geöffnet werden darf, weiß der Händler noch nicht genau. „Vorsorglich habe ich eine Plexiglasscheibe gekauft. Das finde ich auch für mich besser.“ Außerdem hat die Werbegemeinschaft primaBrilon wiederverwendbare Stoffschutzmasken herstellen und beispielsweise mit dem Briloner Rathaus bedrucken lassen. Erst einmal für das Personal in den Geschäften, aber auch für die Kunden, wenn sie welche kaufen möchten.
Der Schütze
Die Schützenfeste - auch das wurde in der Konferenz der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin explizit festgelegt – werden in diesem Jahr ausfallen. Wolfram Schmitz, Schütze aus Balve, ist Geschäftsführer des Sauerländer Schützenbundes. Er fasst die Lage zusammen: „Die Vereine sind natürlich traurig, dass Schützenfeste bis Ende August ausfallen müssen. Dennoch ist das Verständnis groß. Es sind nicht nur die abgesagten Schützenfeste, die sich finanziell negativ für die Vereine auswirken. Mittlerweile ist die Hallenvermietung für viele Vereine die größte Einnahmequelle. Das entfällt natürlich auch in der Corona-Krise. Nicht zu vergessen, dass man keine neuen Mitglieder an einen Verein binden kann, wenn keine Veranstaltungen stattfinden. Es sind nicht nur die Schützenvereine, die unter der Absage von Schützenfesten leiden.
Auch Brauereien, Wirten, Schaustellern, Kleidungs- und Blumenlieferanten bricht das Geschäft weg. Vielen Menschen fehlen durch die Absage von Schützenfesten besondere soziale Kontakte. Viele, die aus ihrem Ort fortgezogen sind, kommen ein Mal im Jahr zurück - zum Schützenfest. Das können sie in diesem Jahr nicht. Die meisten Schützenfeste werden in diesem Jahr ausfallen. Überlegungen, Schützenfeste auf die Zeit nach dem 31. August zu verschieben, halte ich für wenig realistisch. Es gibt keine Planungssicherheit. Wer weiß denn heute, ob das Verbot für Großveranstaltungen in NRW dann nicht verlängert wird. Zudem: Die Organisation eines Schützenfestes braucht einen gewissen Vorlauf.“
Die Grundschul-Rektorin
Dorothe Gastreich-Kneer ist Rektorin der Katholischen Grundschule Heilige Drei Könige in Balve-Garbeck. „Ich kann mit dem Beschluss aus Düsseldorf gut leben“, sagt sie. Es mache Sinn, dass in den Grundschulen der Unterricht zunächst nur für die älteren Schüler wieder aufgenommen wird. Die Viertklässler, so die Rektorin der Katholischen Grundschule Heilige Drei Könige in Balve-Garbeck, könnten sich schon eher an Abstandsregeln halten. „Wir sitzen gerade in der Aula und besprechen, wie wir uns am besten auf den 4. Mai vorbereiten können“, erzählt die Rektorin. Noch sei es für die acht Lehrerinnen ein Stochern im Nebel, weil genaue Vorgaben des Schulministeriums fehlten. Ein Hygieneplan liege vor. Ausreichend Desinfektionsmittel, Masken, Einmalhandtücher – all das müsse die Stadt Balve als Schulträger aber noch zur Verfügung stellen. „Aber wir haben ja noch zwei Wochen Zeit.“
Auch über das Thema Sicherheitsabstand sei diskutiert worden, sagt die 61-Jährige. „Der Start mit den Viertklässlern wird uns keine Probleme bereiten“, ist sie sich sicher. Die Schüler könnten in kleinen Gruppen auf die Klassenräume verteilt werden. Von den acht Lehrerinnen, die für insgesamt 88 Schüler zuständig sind, könnten allerdings nur vier vor Ort sein. „Die anderen der gehören der Risikogruppe an.“ Aber bei nur 23 Schülern zum Start sei auch das keine unüberwindbare Hürde. Pausen könnten versetzt stattfinden. „So vermeiden wir Ansammlungen auf dem Hof.“ Komplizierter werde es, wenn alle Kinder wieder in die Schule dürften. „Aber auch dafür werden wir in unserer Dorfschule Lösungen finden“, so Dorothe Gastreich-Kneer.
Der Gastronom
Christian Danne hatte gehofft, nächste Woche unter Auflagen seinen Gasthof Danne in Arnsberg unter Auflagen wieder öffnen zu dürfen. „Ich bin enttäuscht und frage mich, warum die Friseure wieder arbeiten dürfen, wir Gastronomen aber nicht. Das ist schon seltsam.“ Nun fehle die Perspektive. Erst am 30. April zu erfahren, wie es weitergeht, komme viel zu spät. „Natürlich war uns klar, dass wir nicht nächste Woche voll durchstarten können.“ Aber die Entscheidung aus Düsseldorf werde viele Gastronomen in den Ruin treiben. „Danne kann noch eine Weile durchhalten“, berichtet der 46-jährige Sauerländer. Aber ob die 22 Mitarbeiter und Aushilfen über einen längeren Zeitraum zu halten sind, das stehe in den Sternen.
„Die Festangestellten sind in Kurzarbeit. Mit Ihnen und den anderen stehen wir in ständigem Kontakt, per Telefon und WhatsApp. Alle warten darauf, wieder loszulegen.“ Die Soforthilfe von 25.000 Euro könne die Verluste nur zum Teil decken. Danne hofft, dass die Politiker in Düsseldorf auf einen alten FDP-Vorschlag zurückkommen und die Mehrwertsteuer für Speisen auf sieben Prozent senken. „Das könnte uns wirklich helfen.“ Der Inhaber des 103 Jahre alten Gasthofes rechnet für 2020 mit einem Umsatzverlust von 20 Prozent.
Nun hofft der Arnsberger, „irgendwann im Mai endlich wieder in die Normalität entlassen“ zu werden. Die Sehnsucht danach sei riesig. Auch bei den Stammgästen. „Mein Plan: Wie auf einem Kreuzfahrtschiff zu festen Zeiten die Gäste mit selbstgemachten Speisen zu beglücken. Abends zum Beispiel um 17 und um 19 Uhr.“
Der Konzert-Experte
Gisbert Kemmerling ist Konzertveranstalter aus Bestwig. Er hat unter anderem auch das Biggesee-Open-Air mit Mark Forster koordiniert, das in diesem Jahr hätte Premiere feiern sollen, nun aber ausfällt: „Das Geschäft für Konzertveranstalter ist bundesweit, ja weltweit zum Erliegen gekommen. Die Corona-Krise trifft auch mich mit voller Wucht. Auch wenn das Verbot für Großveranstaltungen in NRW bis Ende August die ganze Branche hart trifft, muss man die Entscheidung für die Gesundheit von Menschen akzeptieren. Ich habe den Eindruck, dass die Politik in der Corona-Krise sehr verantwortungsvoll handelt. Die Corona-Krise erfasst auch Musiker schwer. Live-Konzerte sind mittlerweile deren absolutes Hauptgeschäft. Mit dem Verkauf über CDs oder Musik-Streaming-Dienste können die sich nicht über Wasser halten.“
Der Gymnasial-Schulleiter
„Wie viele Schüler darf ich ins Gebäude lassen, auf wie viel Quadratmetern dürfen sich in Klassenräumen wie viele Schüler aufhalten?“, fragt sich Olaf Wiegand. Der Schulleiter des Albrecht-Dürer-Gymnasiums Hagen sitzt seit 8 Uhr vor seinem Dienstrechner in seinem Büro und wartet auf Informationen der Bezirksregierung Arnsberg. „Wir wissen nicht, wie es im Detail weitergehen soll.“ Die angehenden Abiturienten seien nicht das Problem. Sie seien „fast alle vernunftgesteuert. Die werden die Vorgaben einhalten“, sagt Wiegand.
Geplant sei, dass die Lehrer jeden einzelnen der 60 bis 70 Schüler in den ersten Tagen am Eingang in Empfang nehmen und ihnen mitteilen, wie sie sich zu Verhalten haben. Die inhaltliche Ausgestaltung des Unterrichts nach Plan sei ersteinmal zweitrangig. „Es müssen ersteinmal vier Wochen aufgearbeitet werden, in denen die Schüler Zuhause gelernt haben. Wir müssen wissen, wie es ihnen geht, auf welchem Lernstand sie sind.“ Speziell ausgebildete Lehrkräfte des Krisenstabes sollen laut Wiegand den Schülern individuell zur Verfügung stehen. Der Aussage von NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer, keiner werde in Corona-Zeiten durch die Abiturprüfung fallen, kann der Schulleiter aus Hagen nicht folgen: „Wenn man sich die Mühe macht, eine Prüfung auf die Beine zu stellen, dann sollte es auch eine echte Prüfung sein.
Die Pfarrerin
Elke Schwerdtfeger ist evangelische Pfarrerin in Hagen. Auch wenn es ihr schwerfällt: Sie hat durchaus Verständnis dafür, dass Gottesdienste auch weiter wegen der Corona-Pandemie nicht erlaubt sind: „Ich feier gerne Gottesdienste, ich möchte das auch bald wieder tun. Aber ich weiß auch, das viele unserer treuen Gottesdienstbesucher älter sind und damit auch zur Risikogruppe gehören.“
Mit ihrem Mann, der ebenfalls Pfarrer in der Gemeinde ist, will sie nun zumindest einen Schritt für die Gläubigen wagen: „Zu den eigentlichen Gottesdienstzeiten am Sonntag werden wir die Paulus- und die Stephanuskirche öffnen. Damit die Gläubigen zumindest die Möglichkeit zum persönlichen Gebet haben. Wir werden dann natürlich auf die Abstandsregeln hinweisen. Das ist wieder ein Schritt in die Richtung eines richtigen Gottesdienstes. Wir wollen zeigen: Kirche ist für die Menschen da.“. Für den regulären Gottesdienst sei es sicherlich noch zu früh, räumt Elke Schwerdtfeger ein: „Ich hoffe, aber, dass es Pfingsten wieder soweit ist, dass wir dies anbieten können.“
Die Hotelfachfrau
„Die Beherbergungsbetriebe brauchen schnellstmöglich eine Perspektive, ab wann wieder gereist werden darf“, fordert Elke Stahlmecke. Sie ist Kooperationsmanagerin „Die Sterne im Sauerland“ und vertritt die Belange von sieben Hotels, darunter das Romantikhotel Platte in Attendorn und das Hotel Deimann in Schmallenberg. Ohne Vorlauf, sagt sie, werde es schwierig, an die Zeit vor Corona anzuknüpfen: „Es wird kein Run auf die Hotels in den ersten Wochen geben.“ Bei zurzeit „null Umsatz und laufenden Kosten“ befänden sich alle Hoteliers in einer äußerst heiklen Lage. Die von ihr vertretenen Hotels hätten keine Zuschüsse bekommen und könnten, weil sie mehr als 50 Mitarbeiter haben, nur Kredite beantragen. Deshalb habe man auch die Vertreter der „heimischen Politik“ um Hilfe gebeten.
Lesen Sie hier noch mehr Nachrichten aus der Region.