Hagen. Heimische Händler stehen mit dem Rücken zur Wand. Friedrich-Wilhelm Göbel, Chef der Modehauskette Sinn, spricht von “Systemversagen“.

Hagen. Die Coronakrise zieht heimischen Unternehmen gerade den Boden unter den Füßen weg. Dem einen voraussichtlich schneller als dem anderen. Die von Bund und Land angekündigten Rettungsschirme werden mitunter kritisch gesehen. In Hagen wie im Sauerland.

Friedrich-Wilhelm Göbel, Geschäftsführer der Modehauskette Sinn aus Hagen, hat am Donnerstag in Unna tatsächlich eine neue Filiale eröffnet, allerdings „ohne Kunden, nur für die örtliche Presse“. Seit Mitte der Woche bleiben die Türen an den Modehäusern geschlossen, in Hamburg bereits seit Dienstag. 2016 hat Göbel das Hagener Traditionsunternehmen aus der Insolvenz und Schritt für Schritt wieder in die schwarzen Zahlen geführt. „Wir hatten vom Beginn des Geschäftsjahres im August bis Ende Januar das beste Halbjahresergebnis seit 17 Jahren“, sagt Göbel. Und jetzt Corona. Die Frühjahrsmode hängt wie Blei in den Verkaufsräumen. Die Sommermode, der Basisbestand bis Juli ist ebenfalls bereits eingekauft, muss bezahlt werden. Löhne und Gehälter, Mieten für die Geschäftsräume, alle Ausgaben laufen weiter. Ein, zwei Monate könne Sinn das überleben.

Sinn-Chef Göbel: "Mit Krediten ist keinem geholfen"

Der Antrag auf Kurzarbeitergeld ist längst eingereicht. Gespräche mit den Vermietern hat Göbel bereits vor drei Wochen geführt, ebenso mit dem Finanzamt und den Sozialversicherungsträgern. Das ganze Programm. Auch wenn die Politik offenbar tut, was sie kann, spricht Göbel von „Systemversagen. Ein Teil der Branche hat bereits Schwierigkeiten, die Märzgehälter vorzufinanzieren“, sagt der Ökonom und Branchenexperte. Normalerweise dauere die Antragsprüfung für Kurzarbeitergeld im Schnitt sechs Monate. In der Krise vor zehn Jahren, als Kurzarbeiterregelungen ein wesentliches Heilmittel waren, habe die Bundesagentur für Arbeit am Ende 60.000 Anträge bearbeiten müssen. „Heute wird mit 600.000 Anträgen gerechnet“, weiß Göbel, dessen Vertrauen in die Politik in Berlin wie in Düsseldorf und deren im Wesentlichen auf Krediterleichterungen beruhenden Rettungsschirmen arg begrenzt ist: „Mit Krediten ist keinem geholfen.“ Echte Zuschüsse müssten her. Nach einem Berechnungsschlüssel, der Betrug weitgehend ausschließe, vielleicht „ein Pauschalbetrag pro sozialversicherungspflichtig Beschäftigtem zum Stichtag 31. Dezember 2019. Am Ende muss eine Summe herauskommen, die bei keinem die Champagnerkorken knallen lässt, aber 95 bis 99 Prozent leben lässt. Und zwar vom Taxiunternehmer bis zur VW AG!“

Spielwarenhändler Scharfenbaum fordert mehr Differenzierung von der Landesregierung

Ähnlich sieht es Spielwarenhändler Stefan Scharfenbaum aus Brilon. Zwei „Schatzkisten“ betreibt er. Ein Geschäft in Brilon, eines in Willingen – beide natürlich geschlossen. „Die Situation ist mehr als besch.... Ich versuche die Kosten zu minimieren, wo es nur geht.“ Anmeldung von Kurzarbeit, Entlassung der 450-Euro-Kraft – schweren Herzens und in der Hoffnung auf Wiedereinstellung nach der Krise. Ein bis zwei Mal in der Woche sitzt Scharfenbaum mit den anderen Händlern im Gewerbeverein „Prima-Brilon“ zusammen, um zu beraten, sich gegenseitig zu ermutigen und Ideen zu entwickeln.

Handel kommt ja von handeln. So hat Scharfenbaum die Saisonware Schulranzen im Schaufenster positioniert. Er bietet einen Lieferservice mit Rücknahmeoption an. Ins Internet stellen darf er bestimmte Waren nicht, das verbieten die Hersteller. Und Kunden darf er nicht empfangen, obwohl er das unter Sicherheitsvorkehrungen seiner Meinung auf den 115 Quadratmetern Verkaufsfläche durchaus könnte. „Setzt uns in ländlicheren Regionen doch nicht mit einem Centro in Oberhausen gleich. Hier herrscht auch kein Geschiebe wie in Köln oder Düsseldorf“, appelliert der Sauerländer an die Landesregierung, die Situation differenziert zu betrachten. Wenigstens das.

NRW wartet noch ab, welche Zuschüsse es vom Bund geben soll

„Mit den angekündigten Hilfen von Bund und Land können wir im Moment noch nicht viel anfangen“, sagt der Einzelhändler. Dabei wäre Eile geboten. Anstatt auf Kredite baut er als Soforthilfe auf den Verkauf der Privatwagen. Sein studierender Sohn ist seinen bereits los. Selbst bei zinsgünstigen Darlehen winkt der 48-Jährige ab: „Dann zahle ich ja bis ins Rentenalter die Raten.“ Helfen würde ein echter Zuschuss als Überbrückung, „meinetwegen gestaffelt auf drei Monate“. Ob es diese Art Hilfe geben werde, weiß man im NRW-Wirtschaftsministerium noch nicht. Im Rettungsschirmpaket heißt es dazu, die Landesregierung wolle als Soforthilfe für Kleinunternehmen ergänzend zum Bund „passgenaue Landesmittel mit zuschussähnlichem Charakter bereitstellen“. Von echten Zuschüssen will man heute noch nicht sprechen, weil auch die Ankündigung aus Berlin voraussichtlich erst im Laufe der kommenden Woche konkretisiert werde, heißt es aus dem Ministerium auf Anfrage dieser Zeitung.

Georg Spielmann zu Schließungen: „So kurz wie möglich, aber so lange wie nötig!“

Georg Spielmann, Inhaber der Olper Buchhandlung Dreimann, hätte wohl noch die Luft, etwas abzuwarten. „Ich vertraue auf die Hilfefonds“, sagt der Unternehmer. Kurzarbeit für die sechs Beschäftigten ist seit Mittwoch beantragt. Und zu tun hat die Buchhandlung derzeit immer noch. „Wir beliefern unsere Kunden bereits seit 13 Jahren, versandkostenfrei. Das bewährt sich jetzt. Die Auslieferungen übersteigen meine Vorstellungen.“ Im näheren Umkreis werden die Bestellungen ausgefahren, unter anderem mit einem Elektromobil. Insgeheim hofft Spielmann, „dass die Menschen sich auf die Unterstützung des lokalen Handels besinnen, statt auf Internetkonzerne, die erst einmal 100.000 Leute neu einstellen müssen.“ Wie lange seine Buchhandlung durchhalten könne, wagt Spielmann nicht zu prognostizieren. Mit Blick auf die Coronakrise und die Einschränkung des Handels lautet seine Hoffnung: „So kurz wie möglich, aber so lange wie nötig!“

Sinn hält an Filialneueröffnung in Essener Innenstadt fest

Das würde sich auch Friedrich-Wilhelm Göbel wünschen, damit sich die 1600 Sinn-Beschäftigten nach der gelungenen Sanierung nicht erneut von Insolvenz und Arbeitsplatzverlust bedroht sehen. „Wir können es etwas länger aushalten als andere“, sagt Göbel. Vielleicht auch deshalb hält er an der Eröffnung der nächsten Filiale in Essen an der Kettwiger Straße 1 fest. „Die findet am 23. April statt“, sagt der Sinn-Chef. Ob wie in Unna ohne Kunden oder belebt, wird sich zeigen.