Schwelm. Katastrophenschutzexperte Hartmut Ziebs fordert Depots für Medikamente und Schutzausrüstung: Politik hat Warnungen nicht ernst genommen.

Hartmut Ziebs, Vizepräsident des Weltfeuerwehrverbandes CTIF, ist seit Jahren ein begehrter Gesprächspartner der Politik, wenn es um Zivil- und Katastrophenschutz geht. Erst am 13. Januar dieses Jahres war der 60 Jahre alte Schwelmer bei einer Expertenanhörung im Innenausschuss des Bundestages in Berlin. Auf der Veranstaltung kritisierte er die schlechte Vorbereitung auf eine Pandemie. So gebe es erhebliche Defizite in der Bevorratung mit Lebensmitteln und Ausrüstungsgegenständen. Seine Befürchtungen haben sich in der Corona-Krise bestätigt.

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Haben Sie hellseherische Fähigkeiten oder ist die Politik sehenden Auges in die Versorgungskatastrophe geschlittert?
Hartmut Ziebs: Es war leider abzusehen. Bereits im Jahr 2007 wurde bei einer großen Katastrophenschutzübung des Bundes und einiger Bundesländer das Szenario einer Grippe-Pandemie durchgespielt. Nebenbei bemerkt: Die fiktive Grippewelle bei der sogenannten Lükex-Übung nahm in China ihren Ursprung. Jedenfalls kam bei der Analyse im Anschluss an die Übung heraus, dass es nicht genügend Vorräte an Schutzmasken und -kleidung sowie Desinfektionsmitteln gab. Und Intensivbetten fehlten. Das kommt einem irgendwie bekannt vor... Lükex 2007 war die Blaupause für das, was sich jetzt ereignet.

Der Mangel an Atemschutzmasken (Bild aus einem Herstellungsbetrieb) ist eines der großen Probleme in der Coronakrise
Der Mangel an Atemschutzmasken (Bild aus einem Herstellungsbetrieb) ist eines der großen Probleme in der Coronakrise © dpa | Friso Gentsch

Selbsthilfefähigkeit in der Bevölkerung muss ausgebaut werden

Welche Erkenntnisse gab es seinerzeit in Bezug auf die Bevorratung mit Lebensmitteln? Wurden diese wenigstens umgesetzt?
Natürlich nicht. Ein Ergebnis der Lükex-Übung war, dass die Selbsthilfefähigkeit in der Bevölkerung ausgebaut werden müsste. Also: dass man sich eine Zeit selbst versorgen kann, weil man Dinge wie Konservendosen, Teelichter oder Batterien zum Betrieb von Radios zu Hause haben muss. Die Umsetzung war allerdings Fehlanzeige. Hinzu kommt, dass der Bund in früheren Zeiten Bevorratungslager für Medikamente, Betten, Wundmaterial, Mundschutze oder Desinfektionsmittel hatte. Die wurden nach der Wiedervereinigung geschlossen. Ein Fehler, wie sich heute zeigt. Nach Corona müssen dringend Depots mit Medikamenten und Schutzausrüstung für medizinisches Personal wieder angelegt werden.

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Politiker können mit Zivil- und Katastrophenschutz nicht punkten

Probleme bei der Bevorratung mit Lebensmitteln und Schutzausrüstung waren also damals schon bekannt. Wieso wurde nichts gegen die offensichtlich mangelnde Pandemie-Vorsorge getan?
Bund und Länder haben das Problem nicht ernst genommen. Sie hätten nur auf die Warnungen von Experten hören müssen. Aber: Der Zivil- und Katastrophenschutz ist ein unbequemes Thema, mit dem Politiker in der Bevölkerung nicht punkten können. Zumindest so lange nichts passiert.

Glauben Sie, dass ein Umdenken nach Ende der Corona-Krise einsetzen wird?
Da bin ich guter Hoffnung. Nach Corona werden intensive Diskussionen zur Pandemie-Vorsorge einsetzen. Es müssen Lehren gezogen und auch umgesetzt werden. Wir müssen am Thema bleiben. Deutschland muss besser auf Katastrophenfälle vorbereitet sein. Das wird sicher auch Geld kosten.

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Spitze der Fallzahlen hoffentlich Mitte Mai erreicht

Was glauben Sie, wie entwickelt sich die Corona-Krise weiter?
Die Fallzahlen werden bis Mitte Mai steigen. Dann ist hoffentlich die Spitze erreicht und die Ausgangsbeschränkungen werden gelockert. Aber nur, wenn sich die Bevölkerung bis dahin an die strengen Vorgaben der Bundes- und Landesregierungen hält. Ich gehe davon aus, dass schnell ein Medikament auf dem Markt ist, dass die Folgen einer Infektion lindert, in Bezug auf einen Impfstoff habe ich meine Zweifel. Unser Gesundheitssystem, da bin ich mir ziemlich sicher, wird sich in den kommenden Wochen bewähren. Es wird dafür sorgen, dass die Pandemie im Vergleich zu anderen europäischen Ländern einen weniger dramatischen Verlauf nimmt.

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Was macht Sie so optimistisch?
Wir sind besser aufgestellt als andere Länder. Das, was wir haben, hat bislang komplett funktioniert.

Strenge Vorgaben penibel eingehalten

Sie sind 60 Jahre alt und zählen damit zur Corona-Risikogruppe. Wie gehen Sie mit den strengen Vorgaben der Politik - zum Beispiel das Meiden sozialer Kontakte - um?
Ich setze sie penibel um, alles andere wäre dumm. Ich halte mich in unserem Haus auf und habe bei Spaziergängen das Glück, dass wir nahezu im Wald wohnen.