Hagen/Neuenrade. Die Stadt Neuenrade geht mit Kameras gegen Müllsünder vor. Was ein Rechtsexperte dazu sagt und wo wir in der Region sonst noch überwacht werden.

Die Stadt Neuenrade im Märkischen Kreis will Müll und Vandalismus nicht mehr länger hinnehmen. Wie sie dagegen vorgeht, ist ungewöhnlich – und bisher einmalig in der Region. Zwei Überwachungskameras sollen helfen, das Problem in den Griff zu bekommen.

Sie hängen am rückwärtigen Rathaus-Eingang sowie am Haupteingang der gegenüberliegenden Burggrundschule. Jugendliche nutzen die Treppenstufen häufig in den Abendstunden als Treffpunkt. „Aber ihr Müll bleibt liegen“, so Bürgermeister Toni Wiesemann (61). „Glasflaschen, Plastiktüten, Zigaretten, Korken.“ Er hat die Installation der beiden Kameras veranlasst, ohne Ratsentscheidung. „Weil es mir wichtig war“, sagt er. Seit Oktober tun sie ihren Dienst. „Es gab große Resonanz. Von Medien, Bürgern und Kollegen aus anderen Städten. Aber alle Reaktionen waren positiv.“

Bürgermeister Toni Wiesemann vor dem Hinweisschild an der Rathaus-Tür. Er hat die Videoüberwachung persönlich veranlasst.
Bürgermeister Toni Wiesemann vor dem Hinweisschild an der Rathaus-Tür. Er hat die Videoüberwachung persönlich veranlasst. © WP | Nadine Przystow

Angedrohte Verwarnungsgelder zeigen keine Wirkung

„Nach Artikel 6 der Datenschutzgrundverordnung ist die Verarbeitung personenbezogener Daten zulässig, wenn der Verantwortliche ein ‚berechtigtes Interesse‘ an der Verarbeitung hat“, so Rechtsanwalt Christian Solmecke aus Köln. Dieses dürfte aufgrund der Verschmutzungen vorliegen. Allerdings sei in Bezug auf die „Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten der Überwachten“ zu fragen, ob das Ziel nicht auch „durch mildere Mittel“ erreicht werden könne.

In Neuenrade blieben die präventiven Maßnahmen ohne Erfolg. Hinweisschilder machen auf die Platzordnung aufmerksam, Alkohol und Müll sind auf den Treppen verboten. Wer dagegen verstößt, muss mit einem Bußgeld oder einer Anzeige rechnen. Doch weder die angedrohten Verwarnungsgelder durch Mitarbeiter des Ordnungsamts noch die wiederholte persönliche Ansprache durch den Bürgermeister zeigten eine Wirkung.

Auf den Treppen vor dem Rathaus-Eingang treffen sich abends häufig Jugendliche. Anschließend lassen sie ihren Müll liegen. Dabei stehen in der Nähe gleich zwei Mülleimer und sogar ein Standascher für Zigaretten.
Auf den Treppen vor dem Rathaus-Eingang treffen sich abends häufig Jugendliche. Anschließend lassen sie ihren Müll liegen. Dabei stehen in der Nähe gleich zwei Mülleimer und sogar ein Standascher für Zigaretten. © WP | Nadine Przystow

Keine Identifizierung von Personen

Nun weisen Schilder an den Eingangstüren auf die Videoüberwachung hin. Nach 72 Stunden werden die Aufnahmen automatisch gelöscht. Gefilmt werde nur in der Zeit zwischen 19 Uhr und 6 Uhr. Zweck der Überwachung sei nicht, die Müll-Verursacher zu identifizieren, sondern: „Wir wollen herausfinden, zu welchen Zeiten die Verschmutzungen stattfinden, damit das Ordnungsamt gezielter kontrollieren und wenn nötig, Verwarnungsgelder oder Platzverweise aussprechen kann“, erklärt der Bürgermeister.

Bisher aber habe die Stadt von den Aufnahmen noch keinen Gebrauch machen müssen. Die Situation habe sich in den vergangenen Wochen „entspannt“. Möglicherweise schrecken die Kugelkameras ab. „Wir beobachten weiter, wie es sich entwickelt“, so Toni Wiesemann. Rechtsexperte Christian Solmecke stellt jedenfalls fest: „Der Trend zur Ausweitung der Videoüberwachung ist ungebrochen.“ Aber wie sieht es bei uns in der Region aus? Auf Anfrage verweisen die Kommunen vor allem auf datenschutzrechtliche Bedenken, die einer Kameranutzung entgegenstünden.

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Videoüberwachung bekommt in Meschede keine Mehrheit

2015 sah es zumindest in Meschede so aus, als würde die Innenstadt-Überwachung kommen. Doch gab es im Rat keine Mehrheit für die Pläne von Bürgermeister Uli Hess. Die Gegner bezeichneten die Überwachung unter anderem als unverhältnismäßig und rechtswidrig.

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In Hagen wird hingegen der Zentrale Omnibusbahnhof von vier Kameras überwacht. Sie sollen im Auftrag der Hagener Straßenbahn AG helfen, die Betriebsabläufe sicherzustellen. Viele der Busse sind ebenfalls mit Überwachungskameras ausgestattet, „um Sachschäden durch Vandalismus zu vermeiden und das Sicherheitsempfinden der Fahrgäste zu erhöhen“, erklärt Pressesprecher Dirk Thorbow. Die Dateien würden nicht live übertragen, sondern „lediglich im Bedarfsfall genutzt“ und in der Regel nach 24 Stunden überschrieben. Auf Aufforderung stelle man sie auch der Polizei zum Zwecke der Strafverfolgung zur Verfügung.

Zur Terrorabwehr und der Vereitelung von Straftaten

Tatsächlich dürfen Polizei und Kommunen nur dann Kameras an öffentlich zugänglichen Orten einsetzen, „sofern dies zur Gefahrenabwehr erforderlich ist, wie bei der Terrorabwehr auf dem Weihnachtsmarkt“ oder wo konkrete „Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dort auch zukünftig Straftaten begangen werden“, sagt Rechtsanwalt Christian Solmecke. Ansonsten regeln die Datenschutzgesetze der einzelnen Länder die Bedingungen für eine Überwachung. In jedem Fall aber müsse sie „offen erfolgen und besonders kenntlich gemacht werden“.

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Deutsche Bahn überwacht 32.000 Züge

Vor allem in Behörden oder öffentlichen Gebäuden wie Kliniken, Banken und Einkaufszentren kommen Kameras zum Einsatz. Hier gilt das Hausrecht. In Siegen werden ein Kulturzentrum und die Siegerlandhalle „zur Sicherstellung der Verkehrs- und Betriebssicherheit“ teilüberwacht, so das Ordnungsamt.

Für die Deutsche Bahn gehört die Videoüberwachung zum Sicherheitskonzept. Die DB zählt 7400 Kameras an 1100 Bahnhöfen in NRW – „fast doppelt so viele wie im Jahr 2012“, so eine Sprecherin. Auch die Zahl der Videokameras in den Regional- und S-Bahnzügen habe sich auf 32.000 „nahezu verdreifacht“. Mehr als 85 Prozent der Fahrgastströme würden von Kameras erfasst.

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Kameras in der Dortmunder Innenstadt - weitere sollen kommen

Seit drei Jahren überwacht die Polizei in Dortmund die Brückstraße mittels Kameras. Der Grund: die höhere Kriminalitätsbelastung in diesem Bereich. Im Frühjahr 2020 soll das Projekt auf Straßen in Dorstfeld und in der Nordstadt ausgeweitet werden. Die Maßnahme ist Teil des 15-Punkte-Plans für mehr Innere Sicherheit und eine bessere Integration, eingeführt im Januar 2016 von der NRW-Landesregierung unter der ehemaligen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Darin ist unter anderem die Videobeobachtung in Ballungsräumen geregelt.

Bisher ist es in NRW der Polizei vorbehalten, die Standorte von Kameras zu bestimmen. Nach WDR-Informationen fordern die Oberbürgermeister von Dortmund und Hamm jetzt, dass die Städte darüber selbst entscheiden dürfen – wie in anderen Bundesländern. Hintergrund sei der Fall des in Augsburg getöteten Feuerwehrmannes. Der Täter wurde durch die Sichtung des Überwachungsmaterials überführt.