Hagen. . Man kann in der Hagener Innenstadt keinen Schritt machen, ohne eine optische oder digitale Spur zu hinterlassen – ein Spaziergang.
George Orwell würde vermutlich grinsen. Vielleicht würde er auch erschrocken gucken. Der Schriftsteller starb 1950 und hinterließ zwei Jahre vor seinem Tod das Werk „1984“. Darin beschreibt er die Entwicklung der Welt zu totalitären Überwachungsstaaten, die ihre Bürger kontrollieren und völlig gläsern machen können. So totalitär wie in seinem Welt-Werk geht es in Hagen nicht zu.
Aber gläsern sind wir längst. Und die Bürger werden in Hagen in vielen Bereichen überwacht. Ein Spaziergang vom Hauptbahnhof zum Friedrich-Ebert-Platz zeigt, dass wir permanent optische Spuren hinterlassen.
1. Der Hauptbahnhof: Regionales Drehkreuz. 25.000 Menschen nutzen ihn täglich. Und sie alle sind im Blickfeld. 34 Kameras filmen die Reisenden. Fünf davon dienen der Zugabfertigung. Ein Bahn-Sprecher erklärt: „Die Aufzeichnungen der übrigen Kameras kann die Bundespolizei im Rahmen der Ermittlung von Straftaten auswerten. Darüber hinaus werden die Live-Bilder in Kürze in die für Hagen zuständige Sicherheits-Zentrale in Düsseldorf übertragen und dort zur Überwachung und Disposition des Bahnhofsbetriebs genutzt. DB-Mitarbeiter haben auf Aufzeichnungen keinen Zugriff.“ Für die Bahn diene Videotechnik in erster Linie der Beobachtung und Überwachung betrieblicher Abläufe und zur Hausrechtswahrung. Wenn der Bahnhof bald modernisiert wird, werden 49 hochmoderne 4K-Kameras im Einsatz sein. Wie lange gespeichert wird, dadrüber sagt die Bahn nichts.
2. Der Zentrale Omnibusbahnhof und die Busse: Wer glaubt, die Überwachung endet, sobald man den Hauptbahnhof verlässt, täuscht sich. Denn am Zentralen Omnibusbahnhof, wo die Busse der Hagener Straßenbahn halten, befinden sich vier Kameras. „Diese sind vorrangig für die Anschlusssicherung der Busse installiert“, erklärt Straßenbahn-Sprecher Dirk Thorbow. Die Aufnahmen werden in die Leitstelle übertragen. Bei Bedarf können Mitarbeiter Busse auf Grundlage der Live-Bilder anhalten, um Fahrgästen Umstiege zu ermöglichen. „Die Daten werden in der Leitstelle maximal 72 Stunden gespeichert und dann automatisch überschrieben“, so Thorbow. Auf Aufforderung stelle man sie auch der Polizei zum Zwecke der Strafverfolgung zur Verfügung.
Dazu kommt: Die meisten Busse sind mit Videoüberwachungsanlagen ausgestattet. „Um Sachschäden durch Vandalismus zu vermeiden und das Sicherheitsempfinden der Fahrgäste zu erhöhen“, so Thorbow. Diese Daten würden nicht übertragen, sondern lediglich „im Bedarfsfall“ genutzt. Nach 72 Stunden würden sie ebenfalls automatisch überschrieben.
3. Läden, Shops und Lokale: In vielen Shops entlang des Weges vom Bahnhof Richtung Volkspark surren Kameras. Sie filmen streng genommen die eigenen Ladenflächen der Betreiber. Gibt es über die Anzahl solcher Kameras Zahlen? Müssen sie genehmigt werden? Nachfrage bei der Stadt. Dort liegen keine Auflistungen vor. Man verweist auf den Landes-Datenschutz-Beauftragten, den wir kontaktieren. Seine Antwort: „Ein Verzeichnis von Videoüberwachungsanlagen in NRW, beziehungsweise Hagen, führen wir nicht. Videoüberwachung ist nicht anzeige- oder genehmigungspflichtig, unterliegt jedoch strengen gesetzlichen Voraussetzungen und Grenzen. Ein Verstoß kann mit Geldbuße geahndet werden. Wer eine VÜ-Anlage aufstellen möchte, ist also gut beraten, sich mit den Voraussetzungen und Grenzen vertraut zu machen“, erklärt der dortige Pressesprecher Daniel Stunk.
Diese Grenzen liefert er direkt mit und zitiert den Gesetzestext: „Die Daten der Videoüberwachung sind unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung der Zwecke, für die sie erhoben wurden, nicht mehr notwendig sind oder schutzwürdige Interessen der Betroffenen einer weiteren Speicherung entgegenstehen. Ob eine Sicherung des Materials notwendig ist, dürfte grundsätzlich innerhalb von ein bis zwei Tagen geklärt werden können.“ Deswegen sollte nach 48 Stunden gelöscht werden.
4. Behörden und öffentliche Gebäude: In städtischen Gebäuden und Ämtern – auch solche liegen an der Route – betreibt die Verwaltung keine Videoüberwachung. „Aktuell betreibt die Stadt Hagen lediglich im Kunstquartier eine Videoüberwachung“, sagt Pressesprecher Michael Kaub. Sie filmt den Bereich des Foyers.
5. Die Krankenhäuser: Nicht ganz an unserer Route, aber auch nicht weit entfernt, liegen das Allgemeine Krankenhaus am Buschey und das Josefs-Hospital in Altenhagen. Der Vollständigkeit wegen ging eine Anfrage auch an das Evangelische Krankenhaus in Haspe raus. Alle drei Häuser setzen auf Videoüberwachung. Am „Mops“ in Haspe werden mit sechs Kameras die Außenbereiche überwacht, die für jedermann zugänglich sind: Einfahrt und Ausfahrt des Parkplatzes, die Schranke am Betriebshof, der Haupteingang, der Eingang des zentralen Aufnahmebereichs und der Hintereingang. „Die Videoaufnahmen werden für eine Dauer von neun Monaten gespeichert und im Anschluss überschrieben“, sagt Sprecher Thomas Urban.
Am AKH sind 20 Kameras im Einsatz. Zum einen in den sicherheitsrelevanten Bereichen wie der Eingangshalle. Darüber hinaus sagt Sprecherin Maren Esser: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir darüber hinaus keine detaillierten Auskünfte über die Einsatzorte unserer Videokameras geben möchten. Selbstverständlich sind unsere Kameras vor Ort entsprechend gekennzeichnet.“ Die Aufnahmen werden an zentraler Stelle beobachtet. Gibt es keine besonderen Vorkommnisse, werde nach 72 Stunden gelöscht.
Die katholischen Kliniken, zu denen auch das Josefs-Hospital gehört, geben sich zugeknöpfter. Sprecherin Martina Schewe-Glembin antwortet auf Anfrage: „In unseren Häusern sind zur Gefahrenabwehr Videokameras im Einsatz. Die entsprechenden Bereiche sind per Aushang kenntlich gemacht. Die Datenspeicherung erfolgt im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben.“
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6. Die großen Wohnungsgesellschaften: Zurück an unsere Route, an der vereinzelt auch Wohnungen der großen Hagener Wohnungsgesellschaften liegen. Die werden natürlich nicht videoüberwacht, doch die Hagener Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft (HGW) oder die Gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft (GWG) besitzen in Hagen riesige Wohnblöcke. Die GWG erklärt auf Nachfrage, dass sie keine Videoüberwachung einsetze. Gleiches für die HGW.
7. Die Volme- und die Rathaus-Galerie: In beiden Einkaufsgalerien in der Innenstadt wird Videoüberwachung eingesetzt. In der Rathaus-Galerie an neuralgischen Punkten und im Bereich der Hauptachsen. In der Volme-Galerie ebenfalls. Auch hier aus Sicherheitsgründen.
8. Die Banken: An der Bahnhofstraße liegt beispielsweise die Zentrale der Märkischen Bank. Im Innenstadtkern die große Zentrale der Sparkasse. Beide Institute machen von Videoüberwachung Gebrauch. Thorsten Irmer, Sprecher der Hagener Sparkasse: „Wir filmen überall dort, wo wir es für sicherheitsrelevant halten. Wie lange wir in den Filialen filmen und wann und wie lange wir speichern, darüber möchten wir keine Auskunft geben.“
Bei der Märkischen Bank ein ähnliches Bild. „Alle unsere Filialen und auch unsere sind kameraüberwacht. Dies geschieht zum Schutz der Bank, zum Beispiel vor Vandalismus, und selbstverständlich auch zum Schutz der Kunden. Die Kameraüberwachung ist dabei lediglich ein Baustein eines integrierten Sicherheitskonzeptes“, erklärt Silke Weidenheimer für die Märkische Bank. Die Aufnahmen würden – den Datenschutzbestimmungen entsprechend – wenige Kalendertage lang gespeichert und danach automatisiert nach Zeitablauf gelöscht.