Das Netz der Kreise Soest-Hochsauerland bietet todkranken Menschen Hilfe. Eine Pflege-Fachkraft erzählt von einem bewegenden Fall.
Die Diagnose trifft die 82-Jährige im Frühjahr völlig unerwartet: Brustkrebs. Anschließend ist für sie und ihre Familie nichts mehr so wie es war.
Hilfe für unheilbar kranke Menschen und ihre Angehörigen bietet das Palliativnetz der Kreise Soest-Hochsauerland. Olivia Heisiph ist eine der Koordinatorinnen und Fachkraft für Palliativ-Pflege. Sie begleitet Menschen, die unheilbar krank sind und sucht gemeinsam mit ihnen nach individuellen Wegen.
Der Fall, den sie hier schildert, ist ihr besonders gut in Erinnerung geblieben, weil sie es beeindruckend fand, wie diese Frau und ihre Angehörigen mit der Krankheit und dem herannahenden Tod umgegangen sind.
Die Ärzte empfehlen der 82-jährigen Patientin Chemotherapie und Bestrahlung. Die Behandlung setzt der Seniorin fürchterlich zu. Sie hat sehr schwere Nebenwirkungen, leidet unter starker Übelkeit, Schmerzen und den Folgen der Bestrahlung. Schon bald stellt sich heraus, dass die Krankheit sehr spät erkannt wurde, weitere Organe sind bereits befallen.
Der Krebs hat gestreut. Irgendwann trifft die alte Dame die Entscheidung, die Behandlung abzubrechen. Sie möchte in der Zeit, die ihr noch bleibt, Lebensqualität haben und nicht leiden. Die Folgen sind ihr bewusst – sie weiß, dass der Tod mit dieser Entscheidung sehr nahe rückt.
Symptome sollen gelindert werden
Seit 2008 gibt es im Bereich der Kreise Soest und HSK diesen Beratungsdienst niedergelassener Palliativmediziner. Inzwischen sind sechs ausgebildete Fachkräfte für Palliativ-Pflege und 20 Ärzte im heimischen Raum für unheilbar kranke Patienten und ihre Angehörigen da.
Oliva Heisiph erklärt, worum es dabei geht: „Palliativmedizin umfasst die Versorgung von schwer erkrankten Menschen mit eingeschränkter Lebenserwartung. Im Vordergrund der Behandlung steht dabei nicht mehr die Heilung, sondern die Linderung von Symptomen und der Erhalt einer möglichst guten Lebensqualität.“
Die Patientin zieht bei ihrer Tochter ein, die sich in dieser schwierigen Situation um ihre Mutter kümmert. Doch schon bald hat die 82-Jährige nur einen Wunsch: Sie möchte zurück in ihr eigenes Haus. In das Haus, das sie vor vielen Jahren gemeinsam mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann gebaut hat, in dem sie ihre Tochter und drei Söhne groß gezogen hat und viele Jahre glücklich war.
Zurück in das Haus mit seinem riesigen Garten, aus dem sie immer die Familie mit frischem Obst und Gemüse und vielen eingekochten Leckereien versorgt hat.
Sie war stets der Mittelpunkt der Familie, die Versorgerin, hat für alle gebacken, gekocht und gesorgt. Jetzt braucht sie plötzlich selber Hilfe – und bekommt sie auch – von ihrer Tochter und dem Palliativnetz.
Hausarzt als erster Ansprechpartner
Das Palliativnetz kann nicht nur in der häuslichen Umgebung, sondern auch in Alten- und Pflegeeinrichtungen zum Einsatz kommen. Großen Wert legen die Verantwortlichen dabei darauf, dass der Hausarzt immer erster Ansprechpartner bleibt. In Anspruch nehmen kann die Leistungen des Palliativnetzes jeder Patient, dessen Hausarztpraxis bereit ist, an dem Palliativ-Vertrag der Krankenkassen teilzunehmen.
Olivia Heisiph betont: „Für gesetzlich versicherte ist das Angebot kostenlos, bei privat Versicherten gilt es, die Kostenübernahme mit dem Versicherer abzuklären. Wir stehen mit Rat und Tat zur Seite und den Betroffenen steht ein ärztlicher 24-Stunden-Bereitschaftsdienst zur Verfügung.“
Neue Situation für beide
Die Tochter erfüllt ihrer alten Mutter den sehnlichsten Wunsch und zieht Ende Oktober gemeinsam mit ihr ins Elternhaus. Eine neue Situation für beide, die ihr Verhältnis noch einmal komplett verändert. Die beiden Frauen sind sich plötzlich so nahe wie lange nicht, führen intensive Gespräche, verbringen viele Stunden zusammen und backen gemeinsam fürs Weihnachtsfest.
Die alte Dame kann das Pflegebett, das im Wohnzimmer steht, längst nicht mehr verlassen und doch findet die Tochter einen Weg: Sie stellt den Teig her und die Mutter sticht sitzend im Bett die Plätzchen auf einem großen Holzbrett aus, versieht sie mit einer leckeren Schoko-Glasur und erlebt noch einmal, wie der köstliche Duft durch ihr Haus zieht.
Oliva Heisiph ist begeistert, wie die Familie es geschafft hat, der todkranken Frau, ihren letzten Lebensabschnitt so einfühlsam zu gestalten. „Ich finde es wichtig, dass die Menschen nicht nur in ihrem Bett liegen und auf den Tod warten, sondern dass ihr Umfeld versucht, sie zu aktivieren und soweit es möglich ist, sie noch in das Leben einzubinden“, erzählt die Palliativnetz-Mitarbeiterin.
Bei ihrer langjährigen Tätigkeit hat sie die Erfahrung gemacht: „Die meisten unheilbar kranken Menschen wünschen sich, zu Hause behandelt zu werden – selbstbestimmt und begleitet von ihren Angehörigen und ihrem vertrauten Hausarzt.“
Sterbenskranken helfen
Ein wichtiges Ziel ist die würdevolle Gestaltung und Begleitung der letzten Lebensphase des Patienten, sowie ihnen ein menschenwürdiges Sterben in einer vom Patienten gewünschten, zumeist häuslichen Umgebung zu ermöglichen.
Es geht auch um die Vermeidung nicht indizierter Behandlungen und nicht notwendiger Krankenhausaufnahmen, um so die größtmögliche Lebensqualität für schwerkranke und sterbende Menschen zu erreichen.
Eine wichtige Aufgabe ist die Unterstützung der Angehörigen im Umgang mit Sterben, Tod und Trauer und die Kooperation von Haus- und Fachärzten mit spezialisierten Palliativmedizinern.
Einbezogen werden auch qualifizierte Fachkräfte der ambulanten und stationären pflegerischen Versorgung. Es gibt auch eine Zusammenarbeit mit Hospiz-Initiativen, Hospizen und den Palliativstationen bzw. den Palliativteams im Krankenhausbereich.
Weitere Infos: www.palliativnetz-soest-hsk.de
Und genau das möchte das Palliativnetz den Betroffenen ermöglichen. Die Koordinatorinnen machen sich bei Hausbesuchen vor Ort ein Bild und besprechen mit den Familien alle Fragen, die sich in einer solchen Situation ergeben. In Absprache mit dem Hausarzt werden Hausbesuche vereinbart. Die Betroffenen bekommen eine individuelle Pflegeberatung, praktische Unterstützung zum Beispiel bei der Wundversorgung und bei ethischen Entscheidungen.
Keine Schmerzen zuletzt
Trotz fortschreitender Krankheit muss die Frau dank palliativer Maßnahmen keine unerträglichen Schmerzen erleiden. Sie bekommt entsprechende Medikamente und erhält lindernde Anwendungen. Das Weihnachtsfest 2016 erlebt die Familie nicht mehr gemeinsam. Mitte Dezember stirbt die Frau schließlich zu Hause. Für alle ist es das erste Weihnachten ohne die Mama.
Aber einen Trost haben Kinder und Enkel: Sie wissen, dass ihre Mutter und Großmutter glücklich war, ihre letzten Wochen im eigenen Haus zu erleben – und haben sicher viele schöne gemeinsame Erinnerungen hervorgeholt, während sie die von ihr mit gebackenen Plätzchen unterm Weihnachtsbaum geknabbert haben.
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