Hagen. . Landtagsvizepräsident Eckhard Uhlenberg (68, CDU) und Kommunalpolitiker Serhat Sarikaya (25, SPD) über die Heimatregion und wie man sie zukunftsfähig aufstellen kann
Da sitzen sie also zusammen: Eckhard Uhlenberg (68), erster Vizepräsident des NRW-Landtages aus Werl, CDU; und Serhat Sarikaya (25), seit vergangenem Jahr Vorsitzender der SPD in Sundern: Politiker aus verschiedenen Lagern, in verschiedenen Lebensphasen, aus verschiedenen südwestfälischen Orten. Getroffen haben sie sich noch nie. Dann mal los.
Spinnen wir mal: Südwestfalen ist Bundesland, Sie sind Finanzminister und haben ein Steuerplus von 10 Millionen Euro. Was machen Sie damit?
Eckhard Uhlenberg: Südwestfalen als Bundesland ist ja keine realistische Perspektive. Aber wenn Südwestfalen Bundesland würde, dann gibt es zwei Bereiche, in die man weiter investieren müsste. Das ist einmal die Infrastruktur, denn unsere Wirtschaft ist sehr stark exportorientiert. Und dann der Bereich Bildung.
Serhat Sarikaya: Es kommt ja selten vor, dass man einem von der anderen Seite zustimmen muss – ich würde auch die Themen Infrastruktur und Bildung in den Vordergrund stellen, gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels: Wie schaffen wir es, die jungen Menschen an die Region zu binden?
Aha, „die andere Seite“. Die Feindbilder bei den Volksparteien sind immer noch klar abgesteckt...
Wie kann man sie denn binden?
Uhlenberg: Was das Thema Bildung angeht sind wir mit der Universität Siegen, der FH Südwestfalen und der FH Hamm/Lippstadt gut vernetzt. Das war damals die Idee: neue Fachhochschulen in den ländlichen Regionen, damit die jungen Menschen speziell in Südwestfalen bleiben. Wir haben sehr viele Weltmarktführer, gerade in der Metallindustrie – und die braucht junge Leute, die es zu einem Abschluss schaffen.
Und wie holt man diese Absolventen vor den Türen der Unis ab?
Sarikaya: Wir wohnen da, wo andere Urlaub machen. Die Region gibt es her, dass man sich wohlfühlen kann und muss. Wenn man ortskundig ist, kennt man die schönen Ecken. Ich bin gerade noch über das Hönnetal gefahren – das sind solche Attraktionen, die binden können. Heimatverbundenheit kommt auch daher, dass jeder jeden kennt. Ich glaube, dass dieses Vernetzt-Bleiben mit der Heimat wichtig dafür ist, dass die Wegziehenden an die Region gebunden bleiben.
Sollen nicht aber auch Menschen dazu gewonnen werden?
Uhlenberg: Die Entscheidung für den ländlicheren Raum und gegen eine Großstadt trifft man ja nicht allein. Wenn man einen Partner oder Partnerin hat, ist es auch entscheidend, hier eine Zukunftsperspektive zu sehen. Zu 90 Prozent möchten ja beide Partner berufstätig sein. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist da ein wichtiges Thema – da muss es im Rahmen von Kinderbetreuung und Grundschule ein ortsnahes Angebot geben. Und dazu braucht man Menschen, die solch eine Infrastruktur auch ermöglichen.
Also sollen vor allem die, die zum Studium und zur Ausbildung fortziehen, wieder zurückgeholt werden?
Uhlenberg: Man muss den Kontakt behalten, damit sie sich an ihre alte Heimat erinnern und auch an diese freundschaftlichen Kontakte, die seit der Kindheit aufgebaut worden sind – oder über das Ehrenamt vor Ort, wo viele noch eingebunden sind. Dass man sich daran erinnert, dass die Heimat auch sehr attraktiv ist. Es muss einem natürlich auch liegen – ich habe drei erwachsene Kinder, die sind auch alle sehr unterschiedlich.
Sarikaya: Ich studiere in Marburg. Meine Eltern würden auch lieber in die Großstadt ziehen. Aber ich bin nun mal Sunderner. Das Thema Pflege und Mobilität im Alter ist natürlich auch so eine Geschichte, das müssen wir sicher weiter ausbauen
Fühlen Sie sich als Südwestfale?
Sarikaya: Ich sage immer: Ich komme aus dem Herzen NRWs – ich komme aus Sundern, bin Sauerländer und Südwestfale. Das geht ganz gut zusammen, weil das eine das andere bedingt.
Uhlenberg: Bei mir gibt’s keine Rede, in der das Wort Südwestfalen nicht vorkommt. Ich bin damals zum Botschafter für Südwestfalen gemacht worden, mit Franz Müntefering, Friedrich Merz und vielen anderen, weil ich immer das Problem in Düsseldorf hatte, dass unsere Region unter Wert verkauft wurde. Ich fühle mich als Südwestfale.
Sarikaya: Damit sich mehr Leute als Südwestfalen fühlen, muss man diese Idee weiter nach vorne treiben. Wenn ich bei Jugendlichen aus Sundern nachfragen würde, wäre die Antwort: Natürlich bin ich Sunderner. Da würde die Minderheit sagen: Ich bin Südwestfale.
Muss Südwestfalen stärker in den Köpfen präsent sein?
Uhlenberg: Ich finde es positiv, dass sich jemand als Sunderner oder Werler empfindet. Da soll man keinen künstlichen Gegensatz schaffen. Südwestfalen hat eine andere Funktion. Das bringt jetzt vielleicht nicht die emotionale Wärme, wie Sundern oder Werl. Aber es ist wichtig, damit diese Region insgesamt wettbewerbsfähig ist, damit wir gegenüber dem Rheinland nicht weiter absacken. Damit sie landespolitisch überhaupt wahrgenommen wird.
Sarikaya: Ich glaube auch: Mit diesem Wettbewerbsgedanken kannst du die Menschen für die Marke begeistern, man muss es für sie interessant machen.
Uhlenberg: Wir müssen stärker erklären, warum wir das tun.
Na also, sie sind sich einig!
Aber gibt es nicht immer noch diese Konkurrenz der einzelnen Kreise?
Uhlenberg: Als sich das mit Südwestfalen verdichtet hat, gab es natürlich eine Menge Vorbehalte, besonders bei den Heimatvereinen. Natürlich wohnt Herr Sarikaya weiter im Sauerland und ich in der Soester Börde – Südwestfalen ist ja ein Deckelbegriff für diese ganz unterschiedlichen Regionen. Wir wollen ja auch, dass die Wittgensteiner Wittgensteiner bleiben und die Sauerländer Sauerländer. Aber Südwestfalen ist wirklich alternativlos, weil wir sonst landes- und europapolitisch unter den Tisch fallen, weil wir als Region gar nicht wahrgenommen würden.
Sarikaya: Ich stimme Herrn Uhlenberg zu: Das Wichtigste war der Schritt, dass sich diese fünf Kreise zusammenge-
schlossen haben. Das Thema Vernetzung untereinander ist ja noch ausbaufähig. Da sind die einzelnen Kommunen, auch die einzelnen Bürgermeister gefragt, dass sie sich austauschen und miteinander in Kontakt bleiben.
Was hat die Marke Südwestfalen denn bislang geleistet?
Uhlenberg: Südwestfalen ist inzwischen in der Landespolitik ein feststehender Begriff. Auch die IHKs und die Wirtschaft identifizieren sich damit. Die Fortschritte in den vergangenen zehn Jahren waren enorm. Auch bedingt durch die Regionale und die Arbeit der Südwestfalenagentur – aber man muss dranbleiben.
Von der „anderen Seite“ spricht keiner der beiden mehr. Sie sind sich einig in Sachen Südwestfalen, die beiden Herren aus verschiedenen politischen Lagern, Regionen und Generationen. Sie ziehen im Grunde an einem Strang. Davon hätten wir gern mehr.
„Beim Internet könnte in NRW mehr gemacht werden“
Die Unterschiede zwischen Stadt und Land verschwimmen immer mehr. Ein Grund dafür sind die neuen Medien. Was sagen die Politiker zu den Themen Facebook, Internet und Co.?
Bei unserer Zukunftswerkstatt waren sich die Jugendlichen einig: Digitale Infrastruktur ist ausbaufähig. . .
Eckhard Uhlenberg: Mit dem Internet ist es ja Fluch und Segen gleichzeitig. Da könnte in NRW noch mehr gemacht werden, das ist auch permanent Thema im Landtag. Es gibt zwischen den Ballungsgebieten und der ländlichen Region Unterschiede, davon ist natürlich Südwestfalen auch betroffen.
Das Kommunikationsverhalten hat sich ja enorm verändert. Junge Menschen haben Weltmarktführer nebenan, wissen aber nicht, was die eigentlich machen.
Uhlenberg: Und die Manager sieht man teils nicht vor Ort, weil die da nicht wohnen.
Kommuniziert man da aneinander vorbei?
Uhlenberg: Man weiß oft nicht, wie man es besser machen kann.
Serhat Sarikaya: Ich sehe gerade den Altersunterschied. Die jungen Leute lesen ja keine Zeitung mehr. Sie gucken dann ins Internet und haben da schneller die Informationen. Was mir im Wahlkampf aufgefallen ist: Eine gewisse Lockerheit bei Politikern zieht junge Leute an, unser Kandidat hat ein paar Sprüche drauf – die sagen dann: Mensch, das ist ja doch nicht so bierernst, ihr habt ja Spaß an dem, was ihr tut.
Uhlenberg: Das ist ja das Schöne an Politik: Der Kontakt mit den Menschen im Gespräch.
Müssen die jungen Leute dann vielleicht eher über Facebook und Co. abgeholt werden?
Uhlenberg: Das ist eher Ihre Sache, meine ist es nicht.
Sarikaya: Meiner Auffassung nach gibt es eine gewisse Holschuld. Es muss ja das Interesse der jungen Leute da sein. Was mich dann wundert: In Sundern haben wir solche Facebook-Seiten – da wird heute nur noch über Politik geredet. Das ist ja der pure Wahnsinn, wenn man sieht, wie viele Leute bei Facebook sind, auch die ältere Generation. Aber Franz Müntefering sagt: „Vergesst nicht, miteinander zu reden.“
Uhlenberg: Ich mache regelmäßig Bürgersprechstunden, dann bin ich im Bürgerbüro in Soest zu erreichen. Und ich benutze das Telefon. Ich finde, es ist nicht so anonym wie eine Mail zu schicken und so zu versuchen, einen Vorgang zu erklären.
„Bei uns läuft genauso viel, nur eben anders“
Das Kultur- und Freizeitleben im ländlichen Raum wird von Schützenfest und ehrenamtlich organisierten Events bestimmt. Oder? Denn wenn junge Menschen abends spontan rausgehen wollen, wird’s eng.
Was kann die Politik tun?
Eckhard Uhlenberg: Man kann nicht alles von einer Großstadt ins Dorf holen. Es hängt vom Image einer Stadt ab, ob man dahin fährt: Dass Kneipen da sind, dass Bands spielen und entsprechende Veranstaltungen durchgeführt werden – dass einfach eine gewisse Kultur da ist. Aber letztlich kann die Politik da auch nicht helfen. Es hängt von den Menschen vor Ort selber ab, gegen die demografische Entwicklung anzuarbeiten.
Serhat Sarikaya: Im Jugendparlament in Sundern haben wir einmal eine Umfrage durchgeführt: Was wünschen sich Jugendliche in Sundern und der Region? Da wurden als erstes Einkaufsmöglichkeiten und Kino genannt. Man muss realitätsnah bleiben, ein Kino in Sundern würde sich wahrscheinlich nicht rechnen.
Junge Südwestfalen haben vor allem in der Industrie gute Berufschancen – was ist mit dem kreativen Bereich?
Uhlenberg: Da ist es immer schwierig, eine sichere Perspektive zu bekommen. Es gibt ja eine Vielzahl von kulturellen Initiativen, auch Kleinstinitiativen, bei uns in Südwestfalen, wo aber wenig Hauptamt dahintersteckt.
Sarikaya: Gerade auf kommunaler Ebene hat man eher den Fokus auf andere Themen gelegt, zum Beispiel Sport. Es gibt Vereine, da weiß man genau, dass die Mitgliederzahlen nach unten gehen. Aber einen Kunstrasenplatz bekommen sie. Bei Kultur muss man die Neugierde erstmal wecken.
Uhlenberg: Der Unterschied zum Ruhrgebiet: Die Städte haben ein großes Kulturamt, das etwas auf den Weg bringt, und dann gibt es auch noch das Ehrenamt. Bei uns ist das umgekehrt – da ist erstmal das Ehrenamt da. Deswegen sind wir auch erfolgreich in Südwestfalen, weil die Leute eben so ticken. Bei uns läuft genauso viel, aber eben anders. Nur gibt es dann weniger hauptamtliche Stellen, mit denen man Geld verdienen kann und darunter leiden die Kulturschaffenden.
Das ist Eckhard Uhlenberg
Eckhard Uhlenberg, Jahrgang 1948, ist seit 1968 Mitglied der CDU. Von 1985 bis 2011 war er Bezirksvorsitzender der CDU Südwestfalen, von 1987 bis 2010 stellvertretender Landesvorsitzender der NRW-CDU. Landtagsabgeordneter war Uhlenberg von 1980 bis 1985 und ist es seit 1990.
Unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers war Uhlenberg von 2005 bis 2010 NRW-Umwelt- und Verbraucherminister, von 2010 bis 2012 Landtagspräsident. Zur Zeit amtiert er als 1. Vizepräsident des Landtags. Bei der Wahl 2017 wird Uhlenberg nicht erneut kandidieren.
Zwei Antworten:
„Wenn ich nicht in Werl-Büderich leben würde, könnte ich mir höchstens vorstellen. . . Da ich im Alter von 13 Jahren entschieden habe, Landwirt zu werden, war immer klar, dass ich in Büderich leben werde. Ich kann den Bauernhof ja nicht mitnehmen, dort fühle ich mich richtig wohl.“
„Serhat Sarikaya. . . ist ein interessanter junger Mann, der meinem Bild eines jungen Sozialdemokraten nicht entsprochen hat. Dieses Bild ist durchaus verändert worden.“
Das ist Serhat Sarikaya
Serhat Sarikaya, Jahrgang 1990, ist seit 2009 SPD-Mitglied, seit 2014 Vorsitzender der SPD Sundern. Er ist in zahlreichen Vereinen aktiv und wurde 2015 mit dem Preis „Junges Engagement“ der WP geehrt.
Zwei Antworten:
„Wenn ich nicht in Sundern leben würde. . . könnte ich mir vorstellen in einer Metropole wie Berlin oder Stuttgart zu wohnen. Die Architektur, touristische und gesellschaftliche Lebensart faszinieren mich.“
Eckhard Uhlenberg. . . war ein guter Gesprächspartner, den ich gern häufiger treffen würde und dessen bodenständiger Politikstil mir imponiert hat.“