Dortmund. Julia hatte drei Fehlgeburten. Nun lässt sie die Gene ihrer Embryonen untersuchen. Wie weit darf man gehen, um ein gesundes Kind zu bekommen?
- Julia hatt drei Fehlgeburten, bevor sie beschloss: So kann es nicht weitergehen.
- Nun setzen sie und ihr Mann auf eine in NRW umstrittene und außergewöhnliche Methode: die Präimplationsdiagnostik, kurz PID.
- Was Julia und Daniel sich von der Genanalyse ihrer Embryonen erhoffen – und warum sie kein „Designer-Baby“ wollen.
„Herzlichen Glückwunsch, Sie sind schwanger“, hatte die Frauenärztin ihr bestätigt. „Jetzt beginnt unser Familienglück“, dachte Julia. Nur wenige Wochen später endete es. Die erste Fehlgeburt war noch „irgendwie verkraftbar“. Die zweite ein Schock. Als Julia, die eigentlich anders heißt, nach der dritten mit dem Krankenwagen abgeholt wurde, wusste sie: So kann es nicht weitergehen. In der Hoffnung, doch noch ein eigenes Kind zu bekommen, setzt sie nun auf eine besondere, eine umstrittene Methode: die Präimplantationsdiagnostik, kurz PID.
Gemeint ist die genetische Untersuchung einer künstlich befruchteten Eizelle, noch bevor sie in die Gebärmutter übertragen wird. Ärztinnen und Ärzte können so – unter bestimmten Voraussetzungen – die Embryonen auf Chromosomenfehler testen und nur die gesunden einsetzen. Die anderen werden vernichtet.
Die Methode ist in Deutschland streng reguliert und wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Kritiker sagen, durch die PID werde vermeintlich fehlerhaftes Leben aussortiert und der Weg zum Designer-Baby geebnet“. Befürworter fragen: Wer kann eine Mutter verurteilen, die nach mehreren Fehlgeburten die Embryonen aussuchen möchte, die eine Chance haben, es zu schaffen?
Nach der dritten Fehlgeburt: Paar lässt Gene untersuchen
Für Julia war eigentlich immer klar, dass sie eines Tages Mutter werden würde. Spätestens, als sie 2020 Daniel kennenlernte und zwei Jahre später unverhofft schwanger wurde. „Wir hatten gar nicht damit gerechnet, aber haben uns natürlich umso mehr gefreut“, erinnert sich die heute 38-Jährige. Doch kurz nach dem positiven Schwangerschaftstest verlor sie das Baby.
„Ich war schon 36 und hatte im Umfeld von vielen Fehlgeburten gehört. Ich habe mir das wegrationalisiert und dachte: Es gehört halt dazu, aber wird schon noch klappen“, sagt Julia. Ausschabungen unter Vollnarkose, Ausreden auf der Arbeit und die Angst, all das wieder und wieder durchleben zu müssen: Nach der dritten Fehlgeburt konnten Julia und Daniel, der ebenfalls anonym bleiben möchte, nicht länger ignorieren, dass etwas nicht stimmt – und ließen ihre Gene untersuchen.
Als die Ergebnisse zwei Monate später endlich da waren, bat die Ärztin das Paar, doch einmal persönlich vorbeizukommen. „Da wussten wir schon, dass etwas nicht stimmt“, erinnert sich Daniel. Trotzdem war die Diagnose für beide ein „Schicksalsschlag“: Daniel hat eine balancierte Translokation.
Dabei liegt ein Fehler im genetischen Code vor. Teilstücke von Chromosomen sind miteinander vertauscht. Ein oder mehrere Chromosomenstücke sind also an Stücken, an denen sie eigentlich nicht sein sollten. Bei Daniel sind die Stücke so vertauscht, dass sie sich trotzdem ergänzen und damit im Gleichgewicht, sprich balanciert sind. Das hat in der Regel keine Auswirkungen auf die Betroffenen selbst. Auf ihren Kinderwunsch allerdings schon.
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Denn bei der Weitergabe der vertauschten Chromosomen können unbalancierte Formen entstehen, mit überzähligen oder fehlenden Chromosomenanteilen. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass man ein Kind bekommen kann“, sagt Daniel.
Er ist ein rationaler Mensch, der Kinderwunsch ist für ihn mittlerweile zur Wahrscheinlichkeitsrechnung geworden. Theoretisch besteht die Chance, dass seine Frau trotz seiner Krankheit irgendwann auf natürlichem Weg ein gesundes Kind bekommen kann. Sehr wahrscheinlich müsste sie dafür aber noch mehrere Fehlgeburten durchmachen. Das ist Variante eins. Variante zwei findet Daniel deutlich überzeugender: die PID.
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Um diese zu nutzen, mussten Julia und Daniel allerdings viele „Meilensteine“ überwinden. Die erste große Herausforderung war, überhaupt einen Platz in einem Kinderwunschzentrum in NRW zu finden, das mit einem der wenigen PID-Zentren in Deutschland kooperiert.
Dann der Antrag bei der Ethikkommission, die im Einzelfall über die Zulassung einer PID entscheidet. Julia und Daniel mussten unter anderem die Fehlgeburten detailliert beschreiben und etliche Untersuchungen bei Medizinern und Psychologen machen. 31 Paare in NRW haben laut Ärztekammer Nordrhein im vergangenen Jahr einen Antrag gestellt, nur einer davon wurde abgelehnt.
Paar zahlt 20.000 Euro für Kinderwunschbehandlung
Hinzu kommen die hohen Kosten. 20.000 Euro haben die beiden bisher für ihren Traum vom eigenen Baby gezahlt. „Die Krankenkassen beteiligen sich nicht. Es ist eine enorme finanzielle Belastung. Vor allem, weil es ja trotzdem keine Garantie gibt, dass überhaupt ein gesunder Embryo dabei ist“, sagt Julia.
In wenigen Wochen erfährt das Paar, ob die PID erfolgreich war, ein gesunder Embryo bei Julia eingesetzt werden kann. Um die belastende Zeit der Ungewissheit zu überstehen, haben sie sich Freunden und Familie anvertraut. „Und auf einmal hat einer meiner besten Freunde mir erzählt, dass er und seine Partnerin auch eine PID gemacht haben. Wir schätzen alles rund um Schwangerschaften, Fehlgeburten und künstliche Befruchtung so oft falsch ein und sprechen viel zu wenig darüber“, sagt Daniel.
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Ihm ist es auch wichtig, mit Vorurteilen zu brechen. Die PID dient seiner Meinung nach nicht dazu, das perfekte Kind zu erschaffen. „Wir wollen kein Designer-Baby“, sagt er. Kein Kind auf Bestellung mit großen, blauen Augen und der Intelligenz von Albert Einstein. Einfach nur ein Kind, das überlebt.
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