Dortmund. Gentests an Embryos sind umstritten. Eine Klinik in Dortmund bietet sie dennoch an. Wie die PID abläuft und welche Paare sie nutzen können.
- Das Kinderwunschzentrum in Dortmund ist das einzige in NRW, das zusammen mit dem PID-Zentrum in Essen Gentests an Embryonen durchführt.
- Die sogenannte Präimplantationsdiagnostik (PID) ist in Deutschland seit 2011 in Ausnahmefällen erlaubt – und bis heute sehr umstritten.
- Wie läuft eine PID ab? Was kostet sie? Und kann man sich damit wirklich das „perfekte Kind“ kreieren, wie Kritiker befürchten? Die wichtigsten Fakten im Überblick.
Wie läuft eine PID ab?
Als PID bezeichnet man die genetische Untersuchung eines Embyros, bevor er in die Gebärmutter übertragen wird. Das Prozedere gleicht zunächst einer regulären künstlichen Befruchtung außerhalb des Körpers. „An Tag fünf werden dem Embryo dann einzelne Zellen entnommen, die genetisch untersucht werden“, sagt Stefan Dieterle, Leiter des reproduktionsmedizinischen Kooperationspartners in Dortmund des PID-Zentrums NRW. Nur Embryonen ohne hohes Risiko für eine schwerwiegende Erbkrankheit werden in die Gebärmutter eingesetzt.
Welche Krankheiten können durch eine PID erkannt werden?
Mehr als 50 Gendefekte können mithilfe einer PID nachgewiesen werden, zum Beispiel schwerwiegende Erbkrankheiten wie die Stoffwechselstörung Mukoviszidose oder Muskeldystrophien. Auch Chromosomenstörungen wie Translokationen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen, oder das Down-Syndrom können erkannt werden.
Wann ist eine PID in Deutschland erlaubt?
Die Durchführung der PID ist in Deutschland laut Embryonenschutzgesetz grundsätzlich verboten – mit wenigen, streng regulierten Ausnahmen. Die PID darf nur dann angewendet werden, wenn Paare entweder eine schwere genetische Vorbelastung haben oder ein hohes Risiko für eine Tot- oder Fehlgeburt besteht.
Betroffene müssen zunächst einen Antrag bei der Ethikkommission in NRW stellen. Schwere der Krankheit, Behandlungsmöglichkeiten, Lebenserwartung, Risiko von Fehl- und Totgeburten, erwartbare belastende Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen: All diese Kriterien berücksichtigen die Expertinnen und Experten, um dann im Einzelfall zu entscheiden, so Sabine Schindler-Marlow von der Ärztekammer Nordrhein. Die Ärztekammer ist in NRW für die Durchführung der PID verantwortlich.
>>> Julia und Daniel sind eines der wenigen Paare in NRW, die die Möglichkeit der PID nutzen. Warum sie nach drei Fehlgeburten keinen anderen Weg sehen und was sie Kritikern entgegnen, lesen Sie hier: Gentests an Embryos: „Wir wollen kein Designer-Baby“
Wird der Antrag bewilligt, gibt es weitere Grenzen. So darf die Behandlung nur in ausgewiesenen PID-Zentren durchgeführt werden. Bundesweit gibt es zehn davon, in NRW ist das einzige in Essen mit dem Kinderwunschzentrum Dortmund als Kooperationspartner. Dort dürfen die Medizinerinnen und Mediziner die Embryonen dann auch nur auf die zuvor festgestellte mögliche Erbkrankheit oder Erbkrankheit oder auf eine schwerwiegende Schädigung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führt, hin untersuchen.
Wie hoch sind die gesundheitlichen Risiken einer PID für die Eltern?
Die Frau trägt in der Regel die gleichen gesundheitlichen Risiken wie bei einer künstlichen Befruchtung, so Stefan Dieterle. Die psychische Belastung ist dagegen deutlich höher. Der Prozess ist langwierig, komplex und mit vielen Ungewissheiten verbunden. So liegt etwa die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau schwanger wird, laut Dieterle bei 40 bis 50 Prozent – vorausgesetzt, es ist überhaupt ein geeigneter Embryo dabei.
Wie viele Paare in NRW machen eine PID?
Sehr wenige. „Im Jahr 2023 sind 32 Anträge auf Durchführung einer PID eingegangen. Davon wurden 31 Anträge zustimmend bewertet, ein Antrag wurde abgelehnt“, so Sabine Schindler-Marlow von der Ärztekammer Nordrhein. Generell hielte sich die Anzahl der Anträge pro Jahr seit 2015 konstant zwischen 20 und 30.
Bundesweit wurden 2022 laut Bundesgesundheitsministerium insgesamt 555 PIDs durchgeführt. Zum Vergleich: 2019 waren es 364. Trotz der steigenden Anzahl hält das Bundesgesundheitsministerium in seinem aktuellen Bericht zur PID fest: „Der Ausnahmecharakter der genetischen Untersuchung bleibt gewahrt.“
Was kostet eine PID?
Sehr viel. Es lässt sich zwar nicht pauschal sagen, so Stefan Dieterle. Prinzipiell sollten Paare aber mit 10.000 bis 20.000 Euro rechnen. Die Krankenkassen dürfen sich nicht an den Kosten beteiligen. Das hatte das Bundessozialgericht entschieden.
>>> Lesen Sie hier: Hochzeit in NRW: Das sind die beliebtesten Heirats-Trends
Was spricht für, was gegen die PID?
Kritiker sagen:
- Durch die PID werde unter den Embryonen selektiert, vermeintlich fehlerhaftes menschliches Leben aussortiert. Sie sehen darin die Unterscheidung zwischen lebenswertem und nicht lebenswertem Leben – und warnen vor einer daraus folgenden Intoleranz gegenüber Menschen mit Behinderung.
- Sie sehen außerdem die Gefahr, dass die PID das Tor zum „Designer-Baby“ öffne. So befürchten sie, dass der bestehende Kriterienkatalog mit der Zeit erweitert wird und so irgendwann auch die Auswahl nach Geschlecht und Augenfarbe möglich ist. In den USA etwa wird die Nutzung der PID auch zu nichtmedizinischen Zwecken, wie der Wahl des Geschlechts, weitgehend als legitim anerkannt.
- Menschliches Leben beginnt für viele mit der Verschmelzung von Eizelle und Spermazelle. In der Aussortierung durch die PID sehen viele Gegner die Herbeiführung des Todes der Embryonen.
Befürworter sagen:
- Muss eine Schwangerschaft abgebrochen werden oder es kommt zu einer Fehlgeburt, ist das eine enorme Belastung für Paare, vor allem für die Frau. Eine PID kann das verhindern.
- Sie weisen außerdem daraufhin, dass die Pränataldiagnostik – also die vorgeburtliche Untersuchungen des Kindes – erlaubt ist, obwohl diese zur Abtreibung führen kann. Warum zwischen der „Selektion“ vor oder während der Schwangerschaft unterschieden wird, können sie nicht nachvollziehen.
- Dass eine PID nur in Ausnahmefällen erlaubt ist und eine Ethikkommission im Einzelfall entscheidet, verhindere den Missbrauch der Methode. So bestehe für Eltern auch nicht die Möglichkeit, sich mit der PID das „perfekte Kind“ kreieren zu lassen.
Feststeht: Gentests an Embryonen sind in Deutschland bis heute sehr umstritten.
Gründe ich eine Familie? Weitere Texte zum Thema gibt es hier:
- Kinderwunsch: „Er wollte kein Baby. Ich habe mich getrennt“
- Rahel (28): „In diese Welt möchte ich keine Kinder setzen“
- Geburtstrauma: „Konnte mich nicht über mein Baby freuen“
- Wieder schwanger im Job: „Mein Chef war geschockt“
- Nach sechs Fehlgeburten: „Fühle mich frei, nicht kinderlos“
- Social Freezing: Wenn der Kinderwunsch auf Eis gelegt wird