Berlin. AfD, CDU, FDP, die Grünen – Politik kann die Beziehung gefährden. Wählt einer die „falsche“ Partei, rät ein Paartherapeut zu dieser Frage.

  • Rund um die Bundestagswahl ist Politik auch in vielen Beziehungen ein großes Thema
  • Wenn die Überzeugungen weit auseinandergehen – einer wählt die AfD, der andere grün – kann das zu Streit führen
  • Ein Experte erklärt die Folgen und gibt Betroffenen drei wichtige Tipps

„Ich liebe ihn sehr. Die AfD zu wählen ist für mich jedoch ein absolutes No-Go“, schreibt eine Frau in einem Forum im Internet. Sie will dort anonym bleiben. Am Vorabend hatte ihr Partner ihr von seiner Wahlentscheidung erzählt. Ihm sei bewusst, „dass wir absolut verschiedene politische Ansichten haben und meinte, wir müssen nie wieder darüber sprechen“, schreibt sie weiter.

Doch gehört es nicht in einer Beziehung dazu, über Werte und politische Haltungen zu sprechen, fragt sie sich – genau wie aktuell wohl auch viele andere. Sie ist überfordert, weiß nicht, was sie tun soll. Ihrer Meinung nach ist die AfD „eine Gefahr für viele Menschen, aber ich will meinen Freund nicht aufgrund seiner politischen Meinung verlieren“, endet die Frau ihren Forumseintrag.

Die Antworten darauf reichen von: „Du liebst ihn doch als Mensch und wenn da alles stimmt, ist doch völlig egal, was er wählt“ über „Na ja, nicht jeder AfD-Wähler hat ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild“ bis hin zu „Du hast nur die Wahl, es hinzunehmen oder Dich von ihm zu trennen“. Doch wie sehen das Experten? Was können Paare in einem solchen Fall tun? Wie wichtig ist es, dass Paare gemeinsame Wertevorstellungen teilen?

Konflikte in Beziehungen: Sach- und Beziehungsebene unterscheiden

René Zimmermann ist Sozialwissenschaftler und arbeitet als systemischer Berater und Therapeut in Bremen. Er sagt, dass sich Sachkonflikte in Beziehungen, wie etwa das Beispiel der offenen Zahnpastatube, meist recht einfach lösen ließen. Anders sehe es bei Beziehungskonflikten aus, bei denen es um grundsätzliche Werte im Leben gehe und Politik sei ein Teilbereich davon.

„Wenn ich das Gefühl habe, mein Gegenüber teilt meine grundsätzlichen Werte nicht, dann ist es sehr schwer, mit dieser Person überhaupt intim zu sein, unter einem Dach zu wohnen, in einem Bett zu schlafen, eine leidenschaftliche Sexualität zu teilen – also alles, was Beziehungen letztlich ausmacht“, so Zimmermann.

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Beziehung: So wichtig ist die politische Einstellung

Umfragen zeigen immer wieder: Politische Präferenzen sind in Liebesbeziehungen ein heikles Thema. Viele sieben schon beim Dating aus. So lehnen laut einer aktuellen Umfrage der Dating-App Parship und des Marktforschungsinstituts Innofact 44 Prozent der Menschen in Deutschland eine Beziehung zu einem AfD-Wähler oder einer AfD-Wählerin ab. Bei den Frauen ist es fast jede Zweite. Insgesamt geben 41 Prozent der Befragten an, in den aktuellen Zeiten stärker auf die politische Einstellung potenzieller oder fester Partnerinnen und Partner zu achten.

Auch in festen Beziehungen spielt die politische Einstellung eine Rolle: Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Fittkau und Maaß im Auftrag der Datingplattform Elite Partner Ende vergangenen Jahres wäre es für jeden Siebten ein Trennungsgrund, wenn die Partnerin oder der Partner plötzlich eine Partei wählt, die man selbst strikt ablehnt.

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Doch sind unterschiedliche politische Ansichten wirklich ein Grund, sich zu trennen? Pauschal lässt sich dafür keine Antwort finden. „Unterschiede können zu lebhaften Diskussionen führen – dazu, dass man sich tiefer mit bestimmten Themen beschäftigt“, sagt Zimmermann. „Für manche Paare kann es ganz wunderbar sein, sich beim Essen die Köpfe heißzureden.“

Wichtig sei es jedoch, zu vermeiden, dass es zu viel wird. Wenn ein oder beide Partner das Gefühl hätten, es werde nur noch darüber diskutiert oder wenn Sätze fallen wie „Ich kann es nicht mehr hören“, dann solle man beispielsweise feste Zeiten festlegen, in denen über Politik gesprochen wird, rät der Beziehungscoach.

Genauso gebe aber auch noch die Unterschiede, die eigene Grenzen überschreiten und deshalb nicht tolerierbar seien, betont Zimmermann. Falls nun also der Partner oder die Partnerin AfD wählt, rät er zu „Kommunikation statt Interpretation“. Denn: „Die Bandbreite dessen, warum man die AfD wählen will, kann ganz groß sein.“

Politische Differenzen? Stellen Sie ihrem Partner folgende Frage

Er rät seinem Gegenüber erst einmal folgende Frage zu stellen: „Was bewegt dich eigentlich, dich in diese Richtung zu bewegen?“ Wenn jemand beispielsweise antwortet: „Es nervt mich, wie die etablierten Parteien Politik machen“ sei das etwas ganz anderes, als wenn jemand sagt: „Ich finde rechtsextreme Positionen und Menschenverachtung sympathisch“, so der Paartherapeut.

Es sei wichtig, ins Gespräch zu kommen – das Thema hinter dem Thema zu beleuchten. „Oft gibt es Ängste, Sorgen und Bedürfnisse, die damit einhergehen“, so Zimmermann. „Vielleicht hat der Partner einfach Sorge vor bestimmten Veränderungen oder ist verunsichert. Darüber kann man reden.“

3 Tipps für das Gespräch über politische Differenzen von Paartherapeut René Zimmermann:

  • Fragen stellen, die über politische Ansichten und Wahlprogrammen hinweggehen: Als Partnerin könne man in so einem Fall fragen: „Welche Erlebnisse und Erfahrungen waren zuletzt belastend? Welche konkreten gesellschaftlichen Veränderungen werden als belastend wahrgenommen?“, rät Zimmermann.
  • In „Ich-Botschaften“ sprechen: Wenn man sag „Du hast dich so verändert und zum Schlechten gewandelt. Was fällt dir eigentlich ein?“, reagiere ein Gegenüber sicherlich anders, als wenn man sagt „Mensch, mich hat das zuletzt beschäftigt, wie wir über bestimmte Themen sprechen. Ich habe gemerkt, dass ich damit Bauchschmerzen habe“, erläutert der Bremer Paartherapeut. Ideal wäre in seinen Augen folgende Reaktion des Gegenübers: „Ja, sehe ich auch so. Wir haben uns ein Stück weit unterschiedlich entwickelt. Lass uns gemeinsam darüber sprechen, worum es und eigentlich geht? Wie wichtig sind diese Unterschiede, die aktuell zwischen uns sind?“
  • Gemeinsam den Wahl-O-Mat machen: Während des Gesprächs solle man nicht versuchen, die Partnerperson mit Fakten von der eigenen Meinung zu überzeugen, erklärt Zimmermann. Dennoch könnte es helfen, den Wahl-O-Maten zu machen und zu schauen, wo man unterschiedliche Ansichten hat. „Da stellt sich vielleicht schon heraus, dass man doch manches ähnlich sieht, oder dass einem gewisse Unterschiede egal sind“, sagt er. Genauso könne es auch Unterschiede geben, die einen zwar stören, mit denen man aber gut leben kann. Oder aber, so der Therapeut, „man stellt fest, dass es fundamentale Unterschiede gibt, die so stark an die eigenen Werte gehen, dass man sie zukünftig nicht mitgehen kann.“
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    Letzteres könne eine Beziehung in Gefahr bringen. „Da muss man schauen, ob das Gegenüber bereit dazu ist, sich auf Gespräche und Diskussionen einzulassen oder vielleicht die eigenen Werte zu überdenken“, gibt Zimmermann zu Bedenken. Hilfreich könne hier ergänzend auch der gemeinsame Besuch von Infoveranstaltungen oder einer Gedenkstätte sein, so sein Tipp.

    „Wenn es aber Abwehr gibt oder Gegenwehr, sieht das natürlich anders aus“, betont der Paartherapeut. Ein konstruktiver Austausch muss möglich sein. Zimmermann sieht zudem einen weiteren unüberwindbaren Trennungsgrund: „Wenn einen selbst das Thema so stark belaste, dass man nachts kaum noch schlafen kann, solle man die Reißleine ziehen und sich trennen.“