Berlin. Welche Rolle spielt das Verhältnis zu den Eltern dabei, an wen und wie sich ihre Kinder binden? Das sagt die Forschung.
Egal ob Freundschaft oder romantische Beziehung: In allen zwischenmenschlichen Verhältnissen spielt die Bindungsfähigkeit eine zentrale Rolle. Wie stark Menschen vertrauen, wie schnell und wie dauerhaft sie eine Partnerschaft eingehen – darüber entscheiden unter anderem bestimmte Verhaltensmuster, denen man folgt. Und diese werden bereits in den frühen Lebensjahren von unseren engen Bezugspersonen geprägt.
Bauen Eltern also das gesamte Grundgerüst für die emotionalen Beziehungen ihrer Kinder? Das klingt nicht wirklich romantisch und selbstbestimmt. Aber ganz so einfach ist es auch nicht. Was Eltern tatsächlich zum Bindungstypen ihres Nachwuchses beitragen und ob sich dieses Gerüst auch renovieren lässt, beantworten zwei Experten.
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Bindungsmuster: Diese Typen gibt es
„Bindungsverhalten ist zumindest teilweise angeboren“, sagt Psychologe Claus Koch. Er ist Mitbegründer des „Pädagogischen Instituts Berlin“ und Experte für Bindungsstörungen. Wenn ein Baby auf die Welt kommt, müsse es, um zu überleben, eine Bindung zu seinen wichtigsten Bezugspersonen aufbauen.
Die Annahme des angeborenen Bindungswunsches wird auch als Bindungstheorie bezeichnet. Als Begründer gilt der englische Kinderpsychiater John Bowlby. Er stellte bei seinen Arbeiten in den 1950er Jahren fest, dass Kinder bereits in frühen Lebensjahren eine bestimmte Bindungsstrategie entwickelten – und dass sie sich dabei an ihren Bezugspersonen orientierten.
Die nordamerikanische Psychologin Mary Ainsworth entwickelte diese Theorie rund 20 Jahre später weiter, indem sie das Verhalten von Kindern im Alter von 12 bis 18 Monaten in einem Versuch beobachtete: Die Mutter sollte aus dem Raum gehen und eine fremde Person eintreten.
Bei den Kindern zeigten sich drei Verhaltensweisen:
- Sie suchten bei der Rückkehr der Mutter deren Nähe.
- Sie ignorierten sie bei der Rückkehr.
- Sie zeigten sich bei der Rückkehr hin- und hergerissen zwischen Nähe und Ablehnung.
In der modernen Bindungstheorie wird mittlerweile zwischen vier Typen unterschieden:
- Unsicher-vermeidende Bindung: Das Kind zeigt wenig emotionale Reaktion auf die Anwesenheit oder Abwesenheit seiner Bezugsperson.
- Sichere Bindung: Kinder fühlen sich wohl und sicher, wenn ihre Bezugsperson anwesend ist.
- Unsicher-ambivalente Bindung: Das Kind zeigt hohe emotionale Schwankungen und sucht einerseits verstärkt nach Nähe, reagiert aber im nächsten Moment verärgert auf seine Bindungsperson.
- Unsicher-desorganisierte Bindung: Das Verhalten des Kindes ist oft widersprüchlich und lässt sich nicht vorhersagen.
Der letzte der vier Bindungstypen trifft laut Claus Koch auf Kinder zu, die traumatische Erfahrungen machen mussten oder die missbraucht worden sind. Es sei der einzige Bindungstyp, der Therapie benötige.
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Unsichere Bindung: Woher sie kommt und wie man sie erkennt
Ein unsicherer Bindungstyp in der Kindheit ist nicht selten, wie eine Übersichtsstudie aus 2014 zeigt, die von der britischen Stiftung Sutton Trust beauftragt wurde: Vier von zehn Kleinkindern sind demnach nicht sicher gebunden.
„Jedes Kind hat existentielle Bedürfnisse: nach Sicherheit und Geborgenheit, nach Anerkennung und Resonanz und nach Selbstwirksamkeit“, zählt Psychologe Koch auf. „Wie die Eltern auf die Bedürfnisse reagieren, kann unterschiedlich sein.“ Das Kind lerne von seinen Eltern, wie sie auf seine elementaren Bedürfnisse eingehen. Und es lerne, sich selbst auf diese Reaktionen einzustellen und sich ihnen anzupassen.
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Was bedeutet das für unsere Partnerschaften? „Werden die Bedürfnisse kaum erfüllt oder mal befriedigt und mal nicht, stellt sich keine sichere Bindung her“, sagt der Experte. Das habe durchaus Folgen für das spätere Leben des Kindes, weil es kein Vertrauen in andere, aber auch nicht in sich selbst gelernt habe.
„Ein unsicherer Bindungstyp schafft unsichere Erwachsene, die sich immer wieder vergewissern müssen, angenommen und geliebt zu sein“, sagt Koch. Betroffene könnten häufig schlechter mit Konflikten umgehen und sich weniger gut gegen die eigenen Ängste wehren, als Menschen, die als Kind sichere Bindungserlebnisse gemacht haben.
Können Bindungsmuster in Beziehungen durchbrochen werden?
Die gute Nachricht: Kinder, die sich von ihren Eltern nicht gesehen fühlten, deren Bedürfnisse kaum erfüllt wurden, müssen als Erwachsene nicht zwangsläufig Probleme in Beziehungen haben. Psychologe Koch bekräftigt: „Ich kann auch in einer späteren Partnerschaft, in der ich mich anerkannt und wahrgenommen fühle, Bindungsdefizite nach und nach abbauen.“ Die Bindungstypen seien dynamisch.
Primär sei die Bindung zwischen Eltern und Kind für die spätere Bindungsfähigkeit entscheidend. Aber auch Eltern, die viel gestritten haben, könnten ebenso Einfluss auf unsere Beziehungen nehmen, ergänzt der Experte. „Es kann sein, dass ich Konflikte ähnlich behandle, weil ich es gar nicht anders kenne. Dann suche ich ständig die Konfrontation“, so Koch. Oder es träte genau das Gegenteil ein: Man hat Angst vor Konflikten, weil einem die Streitereien zwischen den Eltern Verlustängste bereitet haben.
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Paartherapeut zu Bindungsproblemen: „Wir können einander helfen“
Auch Eric Hegmann, Paartherapeut aus Hamburg, kennt dieses Verhalten aus seiner Praxis: „Nun sind diese Bindungsmuster ja Schutz- und Überlebensstrategien, die durchaus sinnvoll sind“, sagt er. Einen Konflikt umgehend lösen zu wollen, könne hilfreich sein, ebenso aber auch, sich erst vor einem emotional anspruchsvollen Gespräch zu besinnen. Laut Hegmann sei entscheidender, sich zu fragen, ob es noch andere Optionen und Verhaltensweisen gibt, um die Partnerschaft positiv zu beeinflussen.
Auch Beziehungen zwischen unterschiedlichen Bindungstypen könnten dem Experten zufolge funktionieren. Der Therapeut stellt fest: „Nicht immer ist das, was wir mitbekommen, etwas, dass es uns leicht macht.“ Vor allem die Haltung, der Partner müsse sich ändern, damit es einem selbst gut geht, sei es, die Beziehungen belasten würde. „Wir können nicht unsere Partner ändern, aber wir können uns ändern und einander mit den richtigen Werkzeugen bei Veränderungen helfen“, betont Hegmann. Eine dauerhafte Liebesbeziehung sei immer mit Anstrengungen verbunden.