Berlin. Ein Forscherteam hat mithilfe moderner Technik neue Strukturen tief unter der Erdoberfläche enthüllt – mit unerwarteten Erkenntnissen.

Was liegt unter unseren Füßen, tief im Erdinneren? Das ist eine der Fragen, die die Wissenschaft schon lange beschäftigt und gleichzeitig immer noch vor viele Rätsel stellt. Denn es gibt ein elementares Problem: Die Erde mit ihren verschiedenen Schichten zu durchdringen, ist bislang technisch nicht möglich. Dafür liegen die Schichten zu tief. Stattdessen setzen Forscherinnen und Forscher auf sogenannte indirekte Methoden: Mithilfe von Modellen können sie die innere Struktur der Erde berechnen.

Mit der neuesten Technik hat ein Forschungsteam der ETH Zürich und des California Institute of Technology nun eine erstaunliche Entdeckung im Erdmantel gemacht. Sie fanden unterirdische Welten an Orten, wo sie nach bisherigen Theorien nicht sein sollten. Die Erkenntnisse stellen das aktuelle Verständnis der Plattentektonik auf den Kopf. Ist das Erdinnere anders aufgebaut, als Wissenschaftler bisher angenommen haben?

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Erdinneres: Studie nutzte Supercomputer für neue Methode

Um die Struktur des Erdmantels zu verstehen, nutzen Wissenschaftler Erdbebenwellen, auch seismische Wellen genannt. Die Wellen werden bereits durch Ozeanwellen oder kleinste tektonischen Bewegungen ausgelöst und lassen sich deshalb von empfindlichen seismischen Messstationen ständig aufzeichnen. Die aufgenommenen Signale werden dann in einem komplexen Modell umgerechnet.

Je nachdem, wo die Wellen auf ihrem Weg durch die Erde gebrochen sind und wie schnell sie sich bewegt haben, können Experten dann etwas über die Struktur unter der Erde aussagen. Und das, obwohl sie nicht wirklich hineinschauen können. Die Erdbebenwellen ergeben quasi ein Röntgenbild der Erde. Mit den Ergebnissen können Wissenschaftler außerdem besser erklären, wie sich die Erde im Laufe der Zeit entwickelt hat und wie Prozesse im Erdinneren funktionieren.

Plattenreste unter der Erde: „Viel weiter verbreitet, als bisher angenommen“

Bei der Studie, die kürzlich in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ erschienen ist, nutzten die Forscher einen neuen Ansatz: Für ihr hochauflösendes Modell verwendeten die Geophysiker nicht nur einen Typ von Erdbebenwellen, sondern alle. Die Herausforderung dabei: Um das Modell zu erstellen, brauchte es eine sehr hohe Rechenleistung. Deshalb setzten die Forscher auf den Supercomputer Piz Daint am Swiss National Supercomputing Centre in Lugano.

Aerial view of the Pacific Ocean
Eine der bislang unbekannten Zonen im Erdinneren liegt unter dem westlichen Pazifik. © iStock | edb3_16

Was der Supercomputer als Ergebnis ausspuckte, überraschte das Forschungsteam: Das erstellte Bild enthüllte Bereiche im Erdinneren, die auf untergetauchte tektonischen Platten hindeuten. Einer dieser Bereiche liegt unter dem westlichen Pazifik, wo nach bisherigen Annahmen eigentlich keine Erdplatte unter eine andere getaucht sein soll. Fachleute bezeichnen solche Bereiche als Subduktionszonen. „Offenbar sind solche Zonen im Erdmantel viel weiter verbreitet, als bisher angenommen“, sagt Thomas Schouten, Erstautor der Studie vom geologischen Institut der ETH Zürich in einer Mitteilung der schweizer Universität.

Erdwissenschaftler stehen nach Entdeckung vor „Dilemma“

Weitere Zonen wurden auch im Innern von Kontinenten entdeckt – „weit entfernt von Plattengrenzen“, wie es in der Mitteilung heißt. Doch was das genau für das Wissen über die Dynamik im Innern der Erde zu bedeuten hat, können die Forscher noch nicht sagen. „Das ist unser Dilemma“, sagt Schouten. Er hält es für möglich, dass es sich um Material handelt, das seit der Entstehung des Erdmantels vor vier Milliarden Jahren dort ist. Oder es könnte sich um Zonen handeln, in denen sich eisenreiches Gestein über Milliarden von Jahren durch Mantelbewegungen angereichert hat. Der Experte betont, wie wichtig weitere Forschung jetzt ist, mit noch besseren Modellen.

ETH-Professor Andreas Fichtner, der das Modell mitentwickelt hat, beschreibt das Gefühl bei der Entdeckung anhand eines Vergleichs aus der Medizin: Es sei wie bei einem Arzt, der jahrzehntelang mit Ultraschall den Blutkreislauf untersucht und dort Arterien findet, wo er sie auch erwartet hat. Fichtner sagt: „Gibt man ihm jedoch ein neues, besseres Untersuchungsinstrument, sieht er plötzlich in der Pobacke eine Arterie, die da eigentlich nicht hingehört. Genauso geht es uns mit den neuen Erkenntnissen.“