NRW. Graues Wetter und ständiger Regen können Herbstblues auslösen. Eine Psychiaterin erklärt, was dahintersteckt und wie man dem entgegenwirken kann.
Die Tage werden kürzer und die Stimmung leidet: Viele Menschen kämpfen in der dunklen Jahreszeit mit einem sogenannten Herbstblues. Judith Könning, Oberärztin der Depressionsstation in der LWL-Klinik Herten, erklärt, was gegen diese winterliche Niedergeschlagenheit hilft und wann es ratsam ist, einen Arzt aufzusuchen. Außerdem gibt sie wertvolle Hinweise, ob Tageslichtlampen und Vitamine tatsächlich wirksam sind und welche Personen besonders anfällig für eine Winterdepression sind.
Herbstblues oder Depression – wie unterscheiden sie sich?
Judith Könning: Im Grunde muss man unterscheiden zwischen einer Winterverstimmung und einer saisonal affektiven Erkrankung. Man geht davon aus, dass depressive Symptome leicht vermehrt im Winter auftreten. Die haben aber nicht immer gleich auch einen Krankheitswert, sondern es muss eine gewisse Schwere der Symptomatik über einen definierten Zeitraum da sein, dass man wirklich von einer Winterdepression spricht.
Nicht jede Winterverstimmung ist auch eine Depression. Aber wenn man über einen Zeitraum von zwei Jahren wiederkehrend zum Winter hin depressive Symptome mit einer gewissen Schwere entwickelt, spricht man von einer saisonal affektiven Erkrankung oder einer saisonal depressiven Episode.
Der Begriff Herbstblues ist also eher umgangssprachlich?
Könning: Ja, rein fachlich würde man von einer saisonal affektiven Erkrankung sprechen. Als Herbstblues würde ich das Auftreten einer depressiven Symptomatik zum Herbst/Winter hin beschreiben, die jedoch die Kriterien einer depressiven Episode noch nicht erfüllen.
Welche Symptome können bei einer saisonalen affektiven Störung auftreten?
Könning: Die Symptomatik an sich unterscheidet sich klinisch kaum von einer ansonsten auftretenden depressiven Episode. Das heißt, es sind Symptome wie Schlafstörungen, traurige Stimmung, Konzentrationsstörungen, Müdigkeit, Interessenverlust, sozialer Rückzug, eine Antriebsminderung vor allem am Morgen sowie lebensmüde Gedanken.
Was unterscheidet den Herbstblues von einer Depression?
Könning: Man hat die Erfahrung gemacht, dass sogenannte atypische Merkmale bei einer Winterdepression auch eine Rolle spielen. Oftmals ist es bei einer wiederkehrenden depressiven Episode so, dass Patienten über eine Appetitminderung als Symptom berichten und infolgedessen eine Gewichtsabnahme beobachten. Bei einer Winterdepression hat man die Erfahrung gemacht, dass der Appetit eher gesteigert ist, man eher einen Kohlenhydrathunger hat und zunimmt.
Es ist so, dass die Depression gehäuft auch mit einem verminderten Energieniveau und einem erhöhten Schlafbedürfnis einhergeht. Das ist auch wiederum ein Unterschied zu einer ganz klassischen Depression, die oft mit Schlaflosigkeit und psychomotorischer Unruhe einhergeht.
Gibt es biologische Erklärungen für das Herbsttief?
Könning: Man geht davon aus, dass der Lichteinfall auf die Netzhaut durch die dunkleren Tage im Herbst und Winter deutlich geringer als in dem übrigen Jahr ist. Dadurch ist die körpereigene Melatoninproduktion verändert, was dann wiederum Auswirkungen auf das Immunsystem, den Cortisolspiegel und andere Stoffwechselprozesse hat. Das wiederum kann depressive Entwicklungen hemmen oder auch fördern. Zusätzlich gibt es einfach Menschen, die auch familiär besonders empfindlich sind und genetisch bedingt mehr oder weniger Melatonin produzieren und somit anfälliger für Winterdepressionen sind.
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Gibt es Risikogruppen, die besonders anfällig für eine Winterdepression sind?
Könning: Grundsätzlich gibt es viele äußere Bedingungen, die dazu führen können, dass man eine Depression entwickelt. Das sind Stress- und Belastungsfaktoren, die dazukommen. Für manche Menschen ist auch gerade die Weihnachtszeit ein ganz großer emotionaler Stressfaktor, der dazu führen kann, dass es zu dieser Zeit eine depressive Entwicklung gibt.
Zu diesen äußeren Bedingungen gehört zum Beispiel, dass man im Winter weniger Freizeitaktivitäten an der frischen Luft macht, die aber wiederum für die Stressregulation eine Bedeutung für den jeweiligen Patienten haben könnten. Das führt dazu, dass auch da eher ein Rückzugserleben vorhanden ist und man einfach insgesamt inaktiver wird. Das alles kann diese depressive Spirale in Gang setzen.
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Wäre also mehr Bewegung ein Weg zur Lösung des Problems?
Könning: Genau, Prävention ist immer besser, als dass wir dann behandeln müssen. Man empfiehlt viel Bewegung an der frischen Luft. Und selbst im Herbst oder Winter, wenn es bewölkter ist, ist es wichtig, draußen zu sein. Man weiß, dass, wenn man sich an der frischen Luft oder im normalen Tageslicht aufhält, der Lichteinfall um ein Vielfaches größer ist, als wenn man im Haus oder in Räumen ist. Bewegung ist sowieso gut, egal bei welcher Art der Depression – oder ein ausbalancierter Tag/Nacht-Rhythmus, dass man einfach auf seine eigene Resilienz achtet.
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Gibt es noch weitere Präventionsmaßnahmen?
Könning: Bei der Winterdepression hat man die Erfahrung gemacht, dass sogenannte Tageslichtlampen, also eine Lichttherapie, helfen können. Das ist etwas, was man wirklich präventiv machen kann, wenn man selbst die Erfahrung macht, dass man saisonal depressive Symptome entwickelt. Diese Tageslichtlampen weisen eine hohe Luxzahl auf, sind in vielen Fachmärkten erhältlich und werden sogar von einigen Krankenkassen bezuschusst.
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Bringt es etwas, Vitamine einzunehmen?
Könning: Meines Wissens gibt es keine richtigen Studien dazu, die den Einsatz von Vitaminen wirklich nachhaltig empfehlen, sodass ich mich immer eher auf Dinge konzentrieren würde, die mir guttun und mich mental stärken. Also beispielsweise wirklich schauen, dass man aktiv bleibt, dass man sich weiter mit Freunden trifft, dass man sich möglichst viel an der frischen Luft aufhält. Vielleicht auch, dass man über eine Tageslichtlampe nachdenkt, darauf achtet, dass man ausreichend Schlaf bekommt und einen guten Rhythmus für sich hält.
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Also ist das Pflegen sozialer Kontakte auch wichtig?
Könning: Ja genau, das ist unheimlich wichtig. Soziale Kontakte tun einem gut, das sind positive Verstärker, das ist ein Miteinander. Man kann über Sorgen und Probleme sprechen, man fühlt sich aufgehoben und steht im Kontakt mit seinen Mitmenschen.
Stress ist ein entscheidender Faktor bei Depressionen – was kann man dagegen tun?
Könning: Man muss natürlich schauen, worauf der Stress beruht: Ist das beruflicher Stress, emotionaler Stress? Um dann eigene Strategien und Lösungen zu entwickeln. Da spielt auch wiederum Bewegung eine ganz große Rolle. Viele Menschen nutzen zur Stressregulation ihre Hobbys, etwa Ausdauersport, um einfach mal den Kopf freizukriegen.
Wann ist es ratsam, sich ärztliche Hilfe zu suchen?
Könning: Man spricht von einer depressiven Episode, wenn über 14 Tage schwere Symptome da sind. Schwere Symptome bedeutet gedrückte Stimmung, Verlust von Freude und Interessen, verstärktes Grübeln und keinen Antrieb mehr verspüren. Wenn das über 14 Tage anhält und noch zusätzliche Symptome auftreten wie Konzentrationsstörungen, vermindertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, eine negative, pessimistische Zukunftsperspektive, dann sprechen wir von einer klinisch relevanten Depression – egal, ob Winterdepression oder saisonal unabhängig.
Und die sollte behandelt werden, da sollte man in jedem Fall entweder auf direktem Wege den Hausarzt ansprechen oder auch den Facharzt. Wenn lebensmüde Gedanken eine Rolle spielen, sollte man auch direkt in die Klinik kommen. Das ist ganz wichtig.
Gibt es bestimmte Anlaufstellen, die Sie empfehlen können?
Könning: Es ist wichtig, sich zu informieren, welche Beratungsstelle es in der unmittelbaren Umgebung gibt, um vor Ort Ansprechpartner zu haben. Online gibt es viele Möglichkeiten, sich auch professionell zu informieren, z. B. über die Internetseite der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention oder des regionalen Bündnisses gegen Depression e.V. Dort kann man nachschauen, wer in der Region Ansprechpartner ist.
Was würden Sie Menschen mitgeben, die sich im Herbst emotional belastet fühlen?
Könning: Ich würde wirklich empfehlen, dass man sich selbst etwas Gutes tut. Und da sind wir wieder bei der Förderung und Stärkung der eigenen Resilienz. Dass man selbst für sich schaut, wo liegen meine Stressoren und an welcher Stelle kann ich diese reduzieren – viel Bewegung an der frischen Luft, Freunde treffen, sich verabreden und schauen, dass man selbst in einer guten Balance bleibt – damit die Symptome gar nicht erst schwerer werden. Und sollte es doch sein, dass die Symptome schwerer werden und einen Krankheitswert haben, gilt: Bitte rechtzeitig losgehen und Hilfe in Anspruch nehmen!
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