Essen. Von Hüft-OP bis Kardiologie: NRW gestaltet seine Krankenhäuser neu. Eine interaktive Karte zeigt jedem die Veränderungen.
- NRW-Gesundheitsminister Karl Laumann (CDU) will die Krankenhauslandschaft neu sortieren.
- Die Häuser sollen sich viel stärker als bislang spezialisieren und Betreiber enger zusammenarbeiten.
- Diese Redaktion hat den aktuellen Stand des Landeskrankenhausplans ausgewertet und in eine interaktive Karte übersetzt, die die konkreten Folgen der Reform zeigt.
Die Krankenhauslandschaft in NRW steht vor einem gewaltigen Umbau: Seit sechs Jahren arbeitet NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) an einem Plan, wie sich die Kliniken im Land besser aufstellen können. Am Ende der großangelegten Reform, das haben Land und Interessensverbände nie verhehlt, werden Klinikstandorte schließen. Ab 2025 soll das Vorhaben umgesetzt werden. Eine neue interaktive NRW-Karte dieser Redaktion zeigt, wie massiv sich das Vorhaben auf die Versorgung von Patientinnen und Patienten auswirkt.
Die Ausgangslage
In NRW gibt es laut Landesstatistikamt 333 Krankenhäuser mit knapp 113.000 Betten. Damit hat das Land innerhalb des vergangenen Jahrzehnts zwar bereits knapp 50 Krankenhäuser verloren – nach Einschätzung von Fachleuten sind es aber immer noch zu viele. Gerade in dichten Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet konkurrieren die Kliniken um Patienten, Ärztinnen und Pflegekräfte und arbeiten zudem häufig in denselben Fachrichtungen.
Das verschärft die wirtschaftliche Lage: Laut einer RWI-Studie hat jedes dritte Krankenhaus in Deutschland 2022 rote Zahlen geschrieben. Es kommen längst nicht mehr so viele Patienten wie vor der Pandemie. Zugleich schmerzen die steigenden Preise, höheren Löhne und der Fachkräftemangel. Krankenkassen halten die Konkurrenz aus einem weiteren Grund für wenig zielführend: Sie ziehen immer wieder Studien heran, nach denen sich die Versorgung verbessert, je häufiger ein Arzt oder eine Ärztin einen bestimmten Eingriff macht.
Was soll in NRW nun anders werden?
Die Krankenhausplanung hat auch in NRW lange auf die Frage geschaut, wie viele Klinikbetten anhand der Einwohnerzahl, Liegedauer oder Auslastung in einer Region nötig werden. Damit soll nun Schluss sein. Laumann will auf medizinische Fachrichtungen blicken – ein Schritt, der bei vielen Klinikleitungen für Lob gesorgt hat.
Grundlage dafür ist ein 2018 in Auftrag gegebenes Gutachten. Die Kliniken sollen sich stärker spezialisieren und mehr zusammenarbeiten. „Nicht jedes Krankenhaus muss alles machen und nicht jedes Krankenhaus kann alles gleich gut machen“, sagt NRW-Gesundheitsminister Laumann. In weiser Voraussicht sind bereits erste Klinikverbünde entstanden. Seit 2023 arbeiten etwa elf Krankenhäuser unter dem Dach der Katholischen Einrichtungen Ruhrgebiet Nord GmbH mit Sitz in Gelsenkirchen.
Wie sieht Laumanns Plan konkret aus?
Laumann plant die Kliniklandschaft anhand von 31 Leistungsbereichen, denen insgesamt 64 Leistungsgruppen zugeteilt sind. Ein Leistungsbereich ist beispielsweise „Viszeralchirurgie“, darunter fallen dann Leistungsgruppen wie Eingriffe an der Bauchspeicheldrüse, der Speiseröhre oder der Leber.
Für jede Leistungsgruppe hat das Land berechnet, wie viele Fälle, also Patienten, zu erwarten sind, und zugleich Mindestanforderungen für die Behandlung aufgestellt. Die Krankenhäuser mussten sich mit all ihren Standorten für alle Leistungsgruppen bewerben. Allen Kliniken liegen derzeit Bescheide vor, was sie nach dem Willen des Landes ab 2025 noch in welchem Umfang tun sollen. Daraus ergibt sich auch, welche Schwerpunkt-Zentren Kliniken (weiterhin) bilden können.
Was heißt das für Patienten?
90 Prozent der Bevölkerung sollen ein Krankenhaus der Grund- und Notfallversorgung innerhalb von 20 Minuten mit dem Auto erreichen können. Aber: Für Spezial- und Hochleistungsmedizin werden die Wege mutmaßlich länger, denn es werden nicht mehr alle Kliniken das anbieten können, was sie heute vorhalten.
Was zeigt die Karte?
Die interaktive Karte zeigt Patientinnen und Patienten, wo sie nach dem Willen des Landes künftig Hilfe finden sollen. Sie zeigt den aktuellen Stand des zweiten Anhörungsverfahrens für alle Leistungsgruppen bei der Behandlung von körperlichen oder psychischen Erkrankungen. Nicht berücksichtigt ist die Radiologie. Es ist nicht der endgültige Krankenhausplan, denn die Kliniken haben noch bis zum 11. August die Chance, Widerspruch einzulegen. Aber der Weg, den NRW ab 2025 mit seinen Kliniken gehen wird, ist vorgezeichnet.
>>> Hier wird die Karte größer dargestellt
Woher stammen die Daten?
Grundlage der Recherche sind die 92 Anhörungsdokumente des Landes mit insgesamt rund 1660 Seiten. Sie sind alle öffentlich auf der Internetseite des Gesundheitsministeriums einzusehen und zeigen, welche Klinik welche Medizin anbieten wollte und welche sie tatsächlich anbieten soll. Diese Redaktion hat die Tabellen gebündelt und in eine interaktive Karte übersetzt. Zum Teil sind Adressdaten und Namen ergänzt worden. Die Bezeichnungen der Leistungsgruppen haben wir vereinfacht - nicht jeder weiß, dass sich hinter „Geriatrie“ Altersmedizin und hinter Nephrologie die Behandlung von Nierenerkrankungen verbergen. Die Karte zeigt ausschließlich, was NRW den jeweiligen Kliniken zuteilen will und nicht, was die Kliniken heute anbieten.
Wie funktioniert die Karte?
Die Karte bietet mehrere Möglichkeiten, sich über den Plan NRWs zu informieren. Patientinnen und Patienten können gezielt nach einer Leistungsgruppe suchen. Wer etwa weiß, dass er bald ein neues Kniegelenk braucht, kann über das Menü die entsprechende Leistungsgruppe suchen. Sie sind alphabetisch sortiert. Die Karte aktualisiert sich automatisch und zeigt alle Kliniken an, die diese Art der OP ab 2025 nach dem Willen des Gesundheitsministeriums machen sollen. Ein Klick auf einen der Punkte zeigt dann Namen und Adresse der Klinik an sowie alle Leistungsgruppen, die diese Klinik ab 2025 erbringen soll. Über die Lupe kann man auch gezielt nach einem Krankenhaus suchen.
Was bedeutet es, wenn geplante Fallzahlen „nicht benannt“ sind?
Nicht alle Leistungsgruppen sind in der Karte mit geplanten Fallzahlen versehen. Vereinfacht gesagt liegen diese Daten aufgefächert für die jeweiligen Gruppen schlicht nicht vor, sie sind aber an anderer Stelle zusammengerechnet (nachzulesen hier). Dass keine Fallzahlen genannt werden, heißt also nicht, dass ein Krankenhaus hier beliebig viele Menschen behandeln kann. Aber: Wenn die Leistungsgruppe unter einem Kliniknamen auftaucht, darf sie diese Medizin anbieten und mit den Krankenkassen abrechnen.
Was kann man schon jetzt vom Landeskrankenhaus ablesen?
Man muss nicht alle rund 1660 Seiten der Anhörungsbögen lesen, um ein Gefühl für den Weg zu bekommen, den NRW gehen will. Exemplarisch zeigt sich, dass NRW an viele Bereiche herangehen will. Etwa bei den für Kliniken ertragreichen Hüft- und Knieoperationen. Im Kernruhrgebiet, das sich aus sechs Versorgungsgebieten zusammensetzt, wollen 84 Häuser Hüftprothesen einsetzen - NRW will nur 45 davon zulassen. Das Land rechnet mit deutlich weniger Patienten als die Kliniken: In einzelnen Gebieten fällt die Gesamtzahl der geplanten Fälle um ein Drittel geringer aus als das, was die dortigen Kliniken wollten. Landesweit haben 235 Kliniken die Leistungsgruppe beantragt - das Land plant mit 126.
Gleiches Bild bei den Knie-OPs: 78 Standorte wurden im Kernruhrgebiet beantragt, 44 sollen es werden. In Bochum, Dortmund und Herne (Versorgungsgebiet 13) wollten zehn Kliniken knapp 2900 Fälle behandeln - übrig bleiben sollen sechs Kliniken mit einem Fünftel weniger Fälle.
Wer Herzprobleme hat, muss ebenfalls künftig gezielter nach einer Klinik suchen. 62 Kliniken wollten Hilfsmittel wie Herzschrittmacher oder Defibrillatoren einsetzen können, nur 30 werden es nach aktuellem Stand im Revier tun dürfen.
Gibt es auch Veränderungen für Krebspatientinnen und Krebspatienten?
Nach Angaben des Landes NRW gibt es in der Krebsbehandlung viele sogenannte Gelegenheitsversorger, die häufig nur wenige Patienten im Jahr behandeln. Das soll nun zentralisiert werden. Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs sollen landesweit 43 Anlaufstellen haben (111 Anträge), Patientinnen mit Eierstockkrebs 34 (111 Anträge). Im Ruhrgebiet soll es 13 Kliniken für Brustkrebspatientinnen geben (beantragt: 52). Und im Regierungsbezirk Münster, zu dem Recklinghausen, Gelsenkirchen und Bottrop gehören, wollten 15 Kliniken Leukämie-Patienten behandeln - oft mit geringen Fallzahlen. NRW hat das auf vier Standorte bei fast gleichbleibender Gesamtfallzahl zusammengestrichen.
Auffällig ist, dass bei den Kliniken für Psychiatrie und Psychosomatik nur vereinzelt Standorte keinen Zuschlag erhalten haben. Das Gleiche gilt für die eh schon rar gesäten Geburtskliniken.
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Beendet der Plan die Finanznöte der Krankenhäuser?
Nein. Das ist auch nicht sein Ziel. Die Finanzierung der Kliniken wird im Kern über den Bund geregelt, daran arbeitet derzeit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Expertinnen vermuten sogar, dass der Landeskrankenhausplan für sich gesehen eine Insolvenzwelle lostreten könnte. Krankenhäuser sind eine Mischkalkulation -- wenn Häuser auf bislang erträgliche planbare Eingriffe wie Hüft- und Knie-Endoprothetik verzichten müssen, erschwert das die Planung.
Zwar hat das Land zugesichert, weitere rund zwei Milliarden Euro an Investitionsmitteln für den Umbau der Kliniklandschaft bereitzustellen – diese sind nach Darstellung betroffener Kliniken aber auf bauliche Maßnahmen beschränkt. Erschwert hinzukomme die Unruhe unter den Beschäftigten: Eine Klinikmanagerin berichtet, dass es für Krankenhäuser in Norddeutschland selten so einfach gewesen sei, Medizinerinnen und Mediziner bestimmter Fachrichtungen aus NRW anzuwerben.