Berlin. Bei Migräne und Kopfschmerzen werden viele Medikamente eingesetzt: Doch sie helfen nicht immer. Eine neue Wirkstoffklasse macht Hoffnung.
- Bei Migräne oder Kopfschmerz werden viele Medikamente eingesetzt
- Eine neue Wirkstoffklasse könnte jenen helfen, die trotz Therapie weiter Schmerzen haben
- Noch aber werden die Mittel in Deutschland nicht verschrieben
Millionen Menschen in Deutschland leiden unter chronischem Kopfschmerz. Mitunter sind dafür Medikamente verantwortlich, die den Schmerz lindern sollen: Thomapyrin, Ibuprofen, Aspirin oder Paracetamol. Denn wer bei Kopfschmerzen zu viele Pillen einnimmt, kann noch mehr Kopfschmerzen bekommen.
Die Leiterin des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums der Universitätsmedizin Essen, Prof. Dagny Holle-Lee, ist eine der bekanntesten Kopfschmerzexpertinnen in Deutschland. Im Interview erklärt sie, wie Übermedikation entsteht und welche neue Wirkstoffklasse Betroffenen Hoffnung machen kann.
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Frau Holle-Lee, wann sind meine Kopfschmerzen eigentlich chronisch?
Prof. Dagny Holle-Lee: Chronisch ist hier anders definiert als bei anderen Schmerzen. Bei Rückenschmerzen etwa sind sie chronisch, wenn sie länger als drei Monate anhalten. Bei Migräne oder Spannungskopfschmerzen gilt dagegen: Wenn ich mehr als 15 Tage im Monat über mindestens drei Monate Kopfschmerzen habe, sind sie chronisch.
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Wie oft ist Übermedikation dafür verantwortlich?
Holle-Lee: In Deutschland ist etwa ein Prozent der Bevölkerung hiervon betroffen. Wichtig zu wissen ist, dass ein solcher Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch nur dann entstehen kann, wenn man vorher unter einem primären Kopfschmerz wie einer Migräne oder einem Spannungskopfschmerz gelitten hat.
Was gilt als Übermedikation?
Holle-Lee: Das ist in den Leitlinien definiert. Mehr als zehn Einnahmetage pro Monat für Triptane und Medikamente, die Koffein enthalten. Und mehr als 15 Einnahmetage im Monat für einfache Schmerzmittel wie Paracetamol, Aspirin oder Ibuprofen. Wenn man die Mittel mischt, gelten ebenfalls insgesamt zehn Tage. Und das über einen Zeitraum von ein paar Monaten. Wenn da mal ein Monat dabei ist, wo ich mehr einnehme, weil es gerade viel Stress im Job gibt, oder ich mir auch noch ein Bein gebrochen habe, ist das nicht schlimm. Dann macht es keinen Sinn, die Schmerzen auszuhalten.
Migräne: Dauerentzündung durch viele Schmerzmittel
400er, 600er, 800er – welche Rolle spielt die Dosis der Schmerzpillen?
Holle-Lee: Die wird nicht mitberücksichtigt, solange man in den Begrenzungen bleibt, die in der Packungsbeilage angegeben sind.
Wie verursacht Übermedikation Schmerzen?
Holle-Lee: Bei einer normalen Migräne-Attacke kommt es zu einer kurzen Entzündung im Gehirn, dann flaut das Ganze wieder ab. Nehme ich zu viel Akutmedikation ein, kommt es zu einer Dauerentzündung, einer Art Sonnenbrand im Gehirn. Dann reichen schon kleine Reize, um sofort wieder eine größere Entzündung auszulösen. Es kommt zu einem permanenten Lodern von Schmerz, gepaart mit weiteren Attacken.
Wie merke ich, dass ich Übergebrauchskopfschmerz habe?
Holle-Lee: Das Phänomen entwickelt sich über viele Monate und Jahre. Betroffene merken, dass der Kopfschmerz immer mehr wird, etwa jeden Monat. Viele entwickeln dann ein tägliches Druckgefühl im Kopf mit zusätzlichen Kopfschmerzattacken. Grundsätzlich kann man den Übergebrauchskopfschmerz bezüglich der Symptome aber nicht von einer „normalen“ Migräne oder einem Spannungskopfschmerz unterscheiden.
Wie komme ich vom Übergebrauch weg?
Holle-Lee: Der erste Schritt ist das Führen eines Kopfschmerzkalenders, um überhaupt einen Überblick zu bekommen, wie oft man Schmerzmedikamente einnimmt. . Und dazu gehören dann auch jene Tabletten, die ich gegen andere Schmerzen als Kopfschmerzen einnehme. Die werden von vielen Betroffenen zunächst nicht mitgezählt.
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Was folgt dann?
Holle-Lee: Dann sollte man gucken, ob sich die Akutmedikation optimieren lässt. Viele nehmen viel ein, weil das, was sie einnehmen, schlecht wirkt. Das nächste wäre, Prophylaxe zu betreiben. Was kann man am Lebensstil ändern? Gegen Migräne zum Beispiel hilft der Rhythmus: regelmäßig schlafen, essen, trinken, Sport und Entspannung. Und dann gibt es noch spezielle Medikamente, die helfen können, damit weniger Attacken auftreten. Das sind Betablocker oder Antidepressiva sowie Antikörper gegen den Neurotransmitter CGRP, der Migräne auslösen kann, oder Botox.
Medikamente haben einen entscheidenden Vorteil
Nun könnte eine Wirkstoffklasse dazukommen.
Holle-Lee: Richtig, die Gepante. Das sind quasi Gegenspieler zum Neutrotransmitter CGRP. Vor 15 Jahren hat man schon mal versucht, diese auf den Markt zu bringen. Weil sie in den Zulassungsstudien zu erhöhten Leberwerten geführt haben, ist die Klasse wieder verworfen worden. Man hatte Angst, dass Gepante Patienten gefährden können. Nun wurde die Wirkstoffklasse aber weiterentwickelt, die Leberwerte sind nicht mehr auffällig. In den USA sind Gepante schon auf dem Markt. Und es gibt zwei Mittel, die von der Europäischen Arzneimittel-Agentur bereits zugelassen sind: Rimegepant und Atogepant.
Wann kommen diese Gepante nach Deutschland?
Holle-Lee: Also, theoretisch gibt es sie bereits, praktisch aber noch nicht, weil für sie in Deutschland noch kein Preis festgelegt worden ist. Das heißt, dass wir die Gepante im Augenblick nicht verschreiben. Patienten können sie sich zwar über die Auslandsapotheke besorgen, aber das ist sehr teuer.
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Gibt es eine Chance, dass die Kassen Gepante irgendwann bezahlen werden?
Holle-Lee: Kommt darauf an, wie die entsprechenden Stellen entscheiden und wie der Preis in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern oder den USA ausfällt. Die Hersteller werden sich dann überlegen, ob sie überhaupt auf den deutschen Markt wollen. Ich rechne aber schon damit, dass zumindest eines der Mittel kommt.
Wem könnten Gepante helfen?
Holle-Lee: Bei etwa einem Drittel meiner Patienten gibt es bei der Kopfschmerz-Therapie Luft nach oben. Für sie könnte Aussicht bestehen, dass die Gepante noch mal eine Verbesserung bringt. Das Spannende an den Substanzen ist ja, dass sie gleichzeitig Akutmedikation und Prophylaxe sind. Was wir bisher aus den Studien wissen, ist, dass sie keinen Übergebrauchskopfschmerz provozieren.
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