Berlin. Ob mit AfD oder ohne: Der Unions-Kanzlerkandidat bringt seine Ideen zur Asylpolitik in den Bundestag ein. Die Woche wird turbulent.
Weniger als vier Wochen sind es noch bis zur Bundestagswahl. Nach der der tödlichen Messerattacke von Aschaffenburg dominiert plötzlich eine einzige Frage den Wahlkampf: Wie können die Bürger besser geschützt werden – und was muss sich ändern in Sachen Migration?
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) hat sich entschieden, hier in die Offensive zu gehen. Statt über Wirtschaft redet er jetzt vor allem über die Begrenzung der illegalen Zuwanderung und fordert ein „faktisches Einreiseverbot“ für Ausländer ohne gültige Papiere sowie massenhafte Abschiebungen. Merz will nach einem Wahlsieg nur eine Koalition mit einer Partei eingehen, die seine Ideen dazu uneingeschränkt mitträgt. Der Täter von Aschaffenburg ist ein Afghane, der längst das Land hätten verlassen müssen.
Und Merz geht noch weiter: In dieser Woche will die Union mehrere Anträge zur Inneren Sicherheit und zum Asylrecht in den Bundestag einbringen, sie sollen nach derzeitiger Planung am Mittwoch zur Debatte stehen. Der CDU-Chef nimmt ausdrücklich eine Zustimmung der AfD in Kauf. Das ist eine Kehrtwende, denn nach dem Ampel-Aus hatte Merz stets vor „Zufallsmehrheiten“ im Parlament gewarnt, die mit Unterstützung der Rechtsaußen-Partei zustande kommen.
Die AfD jubelt: „Die Brandmauer ist gefallen“, meint Parteichefin Alice Weidel – was Merz vehement zurückweist. SPD und Grüne gehen den CDU-Chef hart an und werfen ihm vor, die Verfassung und die europäischen Verträge zu missachten. Schon jetzt steht fest, dass die Woche im Bundestag turbulent wird. Ein Überblick.
Warum macht Merz jetzt so viel Druck?
In den Umfragen vor der Wahl führt die Union mit großem Abstand. Friedrich Merz wird sehr wahrscheinlich der nächste Bundeskanzler. Er selbst sagt, nach dem Anschlag von Aschaffenburg müsse dringend gehandelt werden. „Jetzt ist Schluss mit irgendwelchen taktischen Spielchen.“ Die europäischen Asylregeln seien dysfunktional. Der Bundestag müsse endlich Entscheidungen treffen. „Es reicht nicht mehr, das Problem zu beschreiben. Wir müssen es lösen.“
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Mit Blick auf den Wahlkampf-Endspurt sind Merz und seine Leute zu dem Schluss gekommen, dass sich das Thema bestens eignet, um Kanzler Olaf Scholz (SPD) und seine Rest-Ampel vor sich herzutreiben. Auch AfD-Sympathisanten könnten jetzt überlegen, der Union ihre Stimme zu geben.
Aber: Merz‘ Vorgehen birgt auch Risiken. Der Umstand, dass eine Volkspartei die AfD nun als mögliche Mehrheitsbeschafferin aufwertet, könnte die AfD stärken. Gleichzeitig werden die Gräben zu den Wettbewerbern im demokratischen Spektrum größer, was sich später bei Koalitionsverhandlungen rächen könnte.
Was genau legt die Union jetzt vor?
Seit dem Wochenende sind zwei Entschließungsanträge bekannt. Mit Entschließungen positioniert sich der Bundestag in konkreten Fragen gegenüber der Regierung. Gesetzesänderungen sind wegen der vorgeschriebenen Beratungsfristen vor den Wahlen hingegen kaum noch zu bewerkstelligen.
Ein Antrag enthält einen Fünf-Punkte-Plan „für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration.“ Gefordert werden dauerhafte Grenzkontrollen. Ausländer, die an der Grenze ohne gültige Papiere aufgegriffen werden, sollen sofort zurückgewiesen werden und gar nicht erst die Möglichkeit bekommen, einen Asylantrag in Deutschland zu stellen.
Die Union argumentiert, dass laut Grundgesetz ohnehin nur dann Asyl gewährt wird, wenn die Person nicht über sicheren Drittstaat einreist. Deutschland ist ausschließlich von sicheren Drittstaaten umgeben. CDU und CSU fordern jetzt auch die massenhafte Inhaftierung von Personen, die „vollziehbar ausreisepflichtig“. Es müsse täglich Abschiebungen geben, auch nach Afghanistan und Syrien.
Der zweite Entschließungsantrag trägt den Titel „Für einen Politikwechsel bei der Inneren Sicherheit“. Er enthält 27 Sofortmaßnahmen, wovon die Union viele davon in der Vergangenheit bereits gefordert hatte. Es geht etwa um die Ausweitung der Videoüberwachung mit Gesichtserkennung und die Speicherung von IP-Adressen, die Beschränkung von Sozialleistungen für abgelehnte Asylbewerber oder den Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft für schwerkriminelle Doppelstaatler. Am Montag wurde bekannt, dass die Union überdies noch einen Gesetzentwurf einbringen will. Sie will zwei Formulierungen im Asylgesetz verschärfen. So soll etwa der Passus „Dem Ausländer ist die Einreise zu verweigern“ durch den Zusatz „durch Zurückweisung an der Grenze“ ergänzt werden.
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Auf wessen Unterstützung kann Merz zählen?
FDP und BSW haben bereits Zustimmung signalisiert. FDP-Chef Christian Lindner sagte: „Das ist mir sogar egal, ob die AfD dort mitstimmt.“ Merz wirbt überdies um Unterstützung der SPD und der Grünen, was diese aber ablehnen. Für eine Mehrheit im Parlament bräuchte Merz dann die Zustimmung der AfD.
Die Anträge sind so formuliert, dass die Rechtsaußen-Partei ihnen eigentlich nicht zustimmen kann. CDU und CSU werfen ihr vor, Fremdenfeindlichkeit zu schüren und Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen. Mit einer Pro-Russland und Anti-EU-Haltung gefährde die AfD auch Deutschlands Zukunft. Es ist aber denkbar, dass die AfD trotzdem die Hand für die Anträge hebt und sich gleichzeitig von den AfD-kritischen Passagen distanziert.
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte dieser Redaktion: „Was der CDU-Chef vorschlägt, bricht mit unserer Verfassung und den europäischen Verträgen.“ Der CDU-Chef habe ohne Not der AfD den roten Teppich ausgerollt. Wiese ergänzte, Kanzler Scholz werde am Mittwoch in der Regierungserklärung deutlich machen, „was die Regierung in der Sache schon alles vorangebracht hat und was bereits in der Umsetzung ist“. Der SPD-Vorstand beschloss am Montag seinerseits ein Konzept für mehr Sicherheit. Unter anderem dringen die Sozialdemokraten auf mehr Rücknahmeabkommen mit wesentlichen Herkunftsländern und eine bessere Erfassung von Gefahren, die von Menschen mit psychischen Erkrankungen ausgehen.
Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz sagte dieser Redaktion: „Wir erleben Chaos-Tage in der Union. Die von ihr nun vorgelegten Anträge sind dünnste inhaltliche Suppe. Die Innere Sicherheit erhöhen ihre Vorschläge nicht.“ Sie nähmen keinerlei konkreten Bezug zur Tat von Aschaffenburg. „Sie wimmeln nur so von Uralt-Forderungen von CDU/CSU, die weder umsetzbar noch europa- und verfassungskonform sind. Vorschläge zur Finanzierung fehlen gänzlich.“
Wie sind die Vorschläge rechtlich zu bewerten?
Das ist umstritten. Viele Fachleute teilen die Auffassung der Regierung, dass die Vorschläge mit dem Grundgesetz oder dem EU-Recht kollidieren. Das Asylrecht hat Verfassungsrang. Überdies ist Deutschland in das europäische Asylrecht eingebunden. Beides erfordert, dass ein Asylantrag zumindest geprüft wird. Die Union ficht das nicht an. Sie argumentiert, dass Deutschland eine „Notlage“ erklären könne, um Menschen an den Grenzen zurückzuweisen. Dann hätte nationales Recht Vorrang. Welche Auffassung korrekt ist, müssten im Zweifel Gerichte entscheiden.
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