Berlin. Das deutsche Recht erlaubt Bundespolizisten, Menschen aus „sicheren Drittstaaten“ abzuweisen. Doch das EU-Recht gibt etwas anderes vor.
Es ist eine Idee, die die Unionsparteien in der Diskussion um Migration seit Tagen besonders umtreibt: Personen ohne Einreiseerlaubnis sollen an der deutschen Grenze künftig direkt zurückgewiesen werden. Eine Forderung, die CDU und CSU am Dienstag mit Vertretern der Bundesländer und der Ampel-Regierung beraten will. Doch was einfach klingt, ist rechtlich kompliziert. Denn das Asylrecht in Deutschland ist ein Geflecht aus deutschen, europäischen und internationalen Regeln.
Grundsätzlich regelt Artikel 16a des Grundgesetzes das Recht auf Asyl für politisch Verfolgte. Doch auf Schutz kann sich demnach nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der EU oder aus einem anderen „sicheren Drittstaat“ einreist, also etwa Österreich oder Polen. Nach deutschen Gesetzen dürfen Grenzbeamte diesen Personen die Einreise verweigern, also zurückweisen in Richtung Frankreich, Österreich oder Polen.
Nur: Das deutsche Recht wird überlagert von europäischem. Und danach gilt, dass die EU als ein gesamter Grenzraum zu betrachten ist. „Sichere Drittstaaten“ können demnach nur außerhalb der EU liegen, also etwa Albanien oder Georgien. Gerichtsurteile bekräftigen diesen Vorrang des EU-Rechts.
Bundespolizisten berichten von einem Dilemma
Das stelle die Bundespolizisten vor ein rechtliches Dilemma, sagt ein erfahrener Bundespolizist im Gespräch mit dieser Redaktion. In der Praxis weisen Bundespolizisten an deutschen Grenzen dennoch zurück, etwa wenn eine „Wiedereinreisesperre“ vorliegt, weil eine Person schon einmal abgeschoben worden ist. Dies sei jedoch nur in sehr wenigen Fällen der Grund, hebt ein anderer Bundespolizist hervor.
In einem Brief an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verlangt die Gewerkschaft der Polizei (GdP) „Rechtssicherheit für unsere Kolleginnen und Kollegen und Gewährung von dienstlichem Rechtsschutz bei Verfahren gegen vollziehende Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“. So heißt es in dem Schreiben, das der Bundesvorsitzende Jochen Kopelke sowie weiteren Gewerkschaftsfunktionären unterzeichnet ist und dieser Redaktion vorliegt.
Zurückgewiesen werden kann auch, wenn die Einreisebedingungen nach Deutschland nicht erfüllt werden, etwa wenn Visa ausgelaufen sind. Das kann zum Beispiel ein chinesischer Student sein, oder ein argentinischer Tourist. Oftmals treffen Zurückweisungen demnach gar nicht die Menschen, die eigentlich alle im Kopf haben, wenn von Zurückweisungen die Rede ist: etwa den syrischen Geflüchteten, der über Österreich oder Polen nach Deutschland will. Genaue Zahlen hat unsere Redaktion beim Bundesinnenministerium angefragt, bisher jedoch keine Rückmeldung.
Deutsche Grenzbeamte können diese Personen nur zurückweisen, wenn sie kein „Asyl“ beantragen. Der mögliche afghanische oder syrische Geflüchtete muss das ausdrücklich an der Grenze sagen, um in das Asylverfahren zu kommen. In diesem Fall greift mit der Dublin III eine weitere europäische Verordnung. Diese regelt, welches EU-Land zuständig ist, ein Asylverfahren durchzuführen, generell Land an den Außengrenzen, in dem ein Antragsteller die EU betreten hat.
Polizisten wissen nicht, ob derselbe Geflüchtete eine Woche oder einen Tag später wieder einreist
Aber festzustellen, welches Land zuständig ist, ist ein aufwändiger Prozess, in dem die Geflüchteten auch die Möglichkeit haben, gegen einen möglichen Bescheid juristisch vorzugehen. Einfach an der Grenze durchführen lässt sich das kaum. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags beschäftigte sich Anfang des Jahres mit der Frage und kam zu dem Schluss, dass „die im deutschsprachigen Raum heute wohl herrschende Meinung“ davon ausgeht, dass die Dublin-Verordnung das deutsche Recht überlagert.
Anders ist es, wenn eine geflüchtete Person keinen Anspruch auf Asyl erhebt. In diesem Fall können die Bundespolizisten ein Zurückweisungsverfahren einleiten. Dann bekomme die Person einen Bescheid, innerhalb einer bestimmten Frist auszureisen, so der Bundespolizist.
Wieder anders ist es direkt an der Grenze, etwa an einer Brücke zwischen Brandenburg und Polen. Hier können die Beamten einen Schutzsuchenden zurückweisen, wenn er kein Asyl beantragt, oder anderes gegen die Einreise spricht, wie eine Wiedereinreisesperre. Dann übergeben die Beamten die Person an die polnischen Grenzbeamten. Allerdings: Die deutschen Polizisten wissen nicht, ob derselbe Geflüchtete eine Woche oder einen Tag später am gleichen Grenzübergang – oder an einem der vielen anderen unkontrollierten Straßen nach Deutschland einreist. Und dann doch Asyl beantragt.
Union hält Zurückweisungen für rechtlich möglich
Was ein Bundespolizist zudem hervorhebt, nicht immer nehmen die anderen Staaten wie Polen oder Frankreich oder Österreich eine Person auch an. Klar wird: Vieles ist rechtliche Grauzone, vieles hängt von den Entscheidungen der Beamten vor Ort ab. Auf beiden Seiten der Grenze.
In der Union geht man trotzdem davon aus, dass Zurückweisungen an der Grenze mit geltendem Recht vereinbar sind. Thorsten Frei, Innenpolitiker und Vize-Chef der Unionsfraktion, verwies am Dienstag im Deutschlandfunk, neben Artikel 16 des Grundgesetzes auch auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, bei dem es um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit geht. An die Dublin-Verordnung würden sich ohnehin nur noch Deutschland halten und Länder, die nicht betroffen seien, sagte Frei. Er sei „felsenfest überzeugt“, dass Zurückweisungen rechtskonform möglich sind.
Voraussetzungen für all das sind allerdings Kontrollen, bei denen die Menschen schon an der Grenze Polizeibeamten überhaupt begegnen. Als während der Fußball-EM im Sommer an allen deutschen Grenzen kontrolliert wurde, wurden 1.600.000 Menschen überprüft, und bundesweit rund 6.000 Zurückweisungen bundesweit vorgenommen. Umsetzbar war das nur mit vielen Überstunden und Urlaubssperren für die Polizei.
Irene Mihalic, Innenexpertin der grünen Bundestagsfraktion, hält das dauerhaft kaum für umsetzbar. „Das würde voraussichtlich das ganze System unter übergroßen Druck setzen“, sagte sie dieser Redaktion. Auch wenn die EU-Regelungen nicht zufriedenstellend funktionieren würden, seien sie deshalb immer besser für Deutschland als nationale Alleingänge.