Berlin. Menschen mit Fluchtgeschichte, aber auch Obdachlose und Vorbestrafte bekommen kaum Therapieplätze. Der Gesundheitsminister will das ändern.
Mit einem Messer tötete Enamullah O. in Aschaffenburg ein kleines Kind, gerade zwei Jahre alt, und einen 41 Jahre alten Passanten. Der Täter ist ein Geflüchteter aus Afghanistan. Die Tat ist ein Extremfall – und doch kein Einzelfall, bei dem ein Mensch mit Fluchtgeschichte in Deutschland ein schweres Verbrechen begeht. Was auffällt: Immer wieder gibt es bei den Angreifern deutliche Hinweise auf eine schwere psychische Erkrankung.
Der Fall in Aschaffenburg hat auch eine Debatte anwachsen lassen über die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen, speziell wenn sie Geflüchtete sind. Psychosoziale Zentren beklagen seit Jahren, dass Therapieplätze für junge Menschen aus Syrien oder Afghanistan fehlen. Oftmals haben die Menschen in ihrem Heimatland oder auf der Flucht Gewalt erlebt, häufig sind sie traumatisiert. Das erhöht das Risiko, dass diese Menschen selbst gewalttätig werden.
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Lauterbach warnt vor Sicherheitsrisiko
Nun schaltet sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in die Debatte ein. Der SPD-Politiker warnt vor einem „Sicherheitsrisiko“ durch psychisch erkrankte Geflüchtete. Zugleich verwies der Minister auf eine Rechtsverordnung, die eine Zulassung für Ärzte und Psychotherapeuten erleichtern soll, die sich um besonders vulnerable Erkrankte kümmern.
„Deutschland hat ein Sicherheitsrisiko. Viele Menschen, die nach Kriegs- und Fluchterfahrung zu uns kommen, entwickeln schwere psychische Erkrankungen und sind daher häufig eine Gefahr für sich und andere“, sagte Lauterbach unserer Redaktion. „Ohne Therapie, das darf niemand leugnen, stellen sie eine Gefährdung dar.“
Zugleich hob der SPD-Politiker hervor, dass es für Asylsuchende, Obdachlose, Vorbestrafte oder Drogenabhängige „fast keinen Zugang zu ambulanten Therapieplätzen“ gebe. Lauterbach ergänzte: „Deswegen schaffen wir spezielle Niederlassungen für Ärzte und Psychotherapeuten, die genau diese Kranken und andere besonders vernachlässigte Patienten behandeln.“
Vorstoß: „Zielgerichtet und niedrigschwellig“ Behandlungskapazitäten bereitstellen
Der Gesundheitsminister verwies auf eine Rechtsverordnung, die seit November vergangenen Jahres vorliege und nach Angaben der Regierung im Februar im Bundesrat beschlossen werden soll. Mit der Verordnung will das Ministerium einen neuen „Ermächtigungstatbestand für Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten“ in der Zulassungsverordnung schaffen. Damit würden „zielgerichtet und niedrigschwellig zusätzliche ambulante psychotherapeutische und psychiatrische Behandlungskapazitäten bereitgestellt“, heißt es in dem Entwurf zu der Verordnung.
Laut Bundesregierung können künftig Ärzte und Psychotherapeuten eine Zulassung bekommen, wenn sie ausschließlich „genau diese vulnerablen Patientinnen und Patienten“ behandeln. Die Regelung sieht demnach auch eine Pflicht zur Kooperation mit geeigneten Einrichtungen oder Diensten vor, wie etwa der Sucht- oder Krisenhilfe.
Kassenärztliche Vereinigung kritisiert Lauterbach-Vorstoß
Von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) kommt Kritik an dem Vorstoß von Lauterbach. Die KBV könne „keine Notwendigkeit erkennen, besondere Ermächtigungstatbestände für die ärztliche Versorgung von Behandlungszentren“ zu schaffen. Schon heute sei die Zulassung von Ärztinnen und Ärzten zu diesem Zwecke möglich. Neue Regeln bedürfe es nicht, so die Vereinigung.
Die Kassenärzte üben vielmehr Kritik an den nach ihrer Einschätzung hohen bürokratischen Hürden bei der Zulassung von Therapiepraxen. „Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels“ könnten offene Arztstellen nicht schnell nachbesetzt werden.
Am Mittwoch hatte in Aschaffenburg mutmaßlich ein 28 Jahre alter Asylsuchender aus Afghanistan ein kleines Kind und einen 41 Jahre alten Mann mit einem Messer erstochen. Der Afghane war bereits mehrfach mit Gewalttaten aufgefallen. Zudem war er mehrfach für kurze Zeit durch die Polizei in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden, wurde jedoch nach kurzer Zeit entlassen. Hintergründe zum Täter ermittelt die Polizei derzeit. Aktuell ist der Beschuldigte in einer forensischen Psychiatrie untergebracht.
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