Brüssel. Ohne neuen Beschluss laufen die Sanktionen gegen Russland aus. Aber die Verlängerung stand auf der Kippe. Nun gibt es eine Entscheidung.
Es wäre ein großer Triumph für den russischen Präsidenten Wladimir Putin gewesen. Ein Albtraum für die Ukraine und für die Europäische Union: Die EU-Sanktionen gegen Russland standen plötzlich auf der Kippe – auch die Sperre von knapp 200 Milliarden Euro Staatsvermögen Russlands, das auf europäischen Konten eingefroren ist. Doch kurz vor dem Ernstfall hat Ungarn doch noch einlenkt, der Politkrimi fand ein glückliches Ende.
Hintergrund: Die EU-Sanktionen, die seit Kriegsbeginn vor knapp drei Jahren in 15 Paketen beschlossen wurden, müssen jedes halbe Jahr einstimmig von allen 27 Mitgliedstaaten verlängert werden. Am 31. Januar läuft die nächste Frist ab. Doch Ungarn versagte über entscheidende Wochen die Zustimmung, stellte Bedingungen für ein Ja zur Verlängerung der EU-Sanktionen. Wäre der ungarische Premier Viktor Orban auch in den nächsten Tagen stur geblieben, hätten die Sanktionen – Geldsperre, weitreichende Export- und Importverbote, Einreiseverbote für russische Funktionäre – erst mal nicht mehr weiter gegolten.
Putin hätte Zugriff auf das Staatsvermögen, das beim belgischen Zentralverwahrer Euroclear liegt. Unter Umständen wären die Milliarden schon am nächsten Tag in Russland, hieß es unter Vertretern der Mitgliedstaaten. Dabei ist das Geld längst verplant: Die Gewinne aus diesen Vermögenswerten sollten eigentlich zur Rückzahlung eines 50-Milliarden-Dollar-Kredits an die Ukraine verwendet werden. Und die russischen Devisen werden wohl auch Teil eines Waffenstillstandsabkommens. Diplomaten erklärten deshalb entsetzt: „Orban spielt mit dem Feuer.“
Putins Milliarden: Macht Ungarn ernst? Besorgnis vor dem Außenministertreffen
Der Premier forderte für ein Ja, Kiew solle die zu Jahresanfang geschlossene Gas-Pipeline von Russland über die Ukraine nach Mitteleuropa wieder öffnen – womit Ungarn wieder mehr russisches Gas beziehen könnte. Die Ukraine lehnt einen neuen Vertrag mit dem russischen Gaskonzern Gazprom aber ab; die EU erklärt, es gebe für alle Mitgliedstaaten Versorgungsalternativen. Doch im Staatsrundfunk sagte Orban: „Ich habe die Handbremse angezogen und die europäischen Staats- und Regierungschefs gebeten zu verstehen, dass es so nicht weitergehen kann. Die Ukrainer wollen zum Beispiel Hilfe, um Sanktionen gegen die Russen zu verhängen. Dann öffnen Sie bitte die Gasroute wieder.“
Außerdem forderte Ungarn, dass die Ukraine jene Pipelines, die weiter russisches Öl und Gas über Weißrussland und die Türkei nach Europa transportieren, vor ukrainischen Drohnenangriffen schützt. Dabei geht es vor allem um die durch den Balkan verlaufende Turkish Stream, die die Ukraine auf russischem Gebiet angegriffen hatte.
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Am Montag beriet Annalena Baerbock (Grüne) beim regulären Treffen mit ihren Außenministerkollegen in Brüssel auch über diese Krise. Die Hoffnung: Orban werde am Ende doch noch einlenken. Orban pokere nicht zum ersten Mal bei den Sanktionen hoch, um Forderungen zu erheben. Hoffnungen ruhten ausgerechnet vor allem auf US-Präsident Donald Trump: Der will zwar den Ukraine-Krieg zügig beenden, womit auch die Sanktionen hinfällig wären – aber um Putin überhaupt erst an den Verhandlungstisch zu zwingen, droht Trump dem russischen Präsidenten jetzt sogar mit einer Verschärfung der westlichen Sanktionen.
„Trump will Druck auf Putin machen. Das dürfte auch in Budapest gehört werden“, sagte ein Diplomat. Er sollte recht behalten. Die Regierung von Orban trug bei dem Außenministertreffen plötzlich doch die für das Weiterlaufen der Strafmaßnahmen notwendige Entscheidung mit. Die EU-Kommission und die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas waren Orban etwas entgegengekommen und gaben eine Erklärung zu seinen Forderungen ab. Darin wird Ungarn zugesichert, dass auf seine Sorgen um die Energiesicherheit eingegangen wird. Von einer Öffnung der Gaspipeline aus Russland durch die Ukraine ist aber keine Rede, dieser Schritt gilt weiter als ausgeschlossen.
Der ungarische Außenminister Péter Szijjarto teilte mit, Ungarn habe die geforderten Garantien hinsichtlich der Energiesicherheit erhalten. Die EU-Kommission habe sich verpflichtet, die Erdgas- und Ölpipelines zu den EU-Mitgliedstaaten zu schützen, und fordere nun von der Ukraine Zusicherungen, die Ölversorgung der EU sicherzustellen.
Orban hält die EU-Sanktionen grundsätzlich für falsch
Orban hatte argumentiert, die Sanktionen gegen Russland hätten die ungarische Wirtschaft seit 2022 19 Milliarden Euro gekostet, vor allem wegen der teureren Energie. Ungarn bezieht mehr als 80 Prozent seines Gas- und Ölbedarfs aus Russland. Die Ukraine habe das Problem noch verschärft, indem sie sich jetzt weigere, den Gastransitvertrag mit Gazprom zu verlängern. Ungarn erwarte von Kiew, dass es alle verbleibenden Routen für russische Energieimporte schütze, sagte er.
Schützenhilfe erhielt Orban vom slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico, auch der drängt auf die Wiederaufnahme russischer Gasimporte über die Ukraine. Die beiden Regierungschefs stehen in engem Kontakt, beide waren wegen der russischen Gasimporte kürzlich in Moskau. Doch Orbans Veto ist nicht nur taktisch bedingt: Er hält die EU-Sanktionen grundsätzlich für falsch, er glaubt, sie würden die europäische Wirtschaft in den Abgrund treiben. Deshalb wird in Brüssel befürchtet, dass Orban bald für eine neue Zitterpartie sorgt - wenn in einem halben Jahr die nächste Sanktionsentscheidung fällig ist.