Berlin. Boris Pistorius will nicht Kanzlerkandidat der SPD werden. Das gab er in einem Video bekannt. Damit ist der Weg frei für Olaf Scholz.

Die SPD hat sich einen tagelangen Kampf um die Kanzlerkandidatur geliefert, nun ist die Auseinandersetzung beendet: Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius erklärte in einem am Donnerstagabend veröffentlichten Video: „Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, soeben habe ich unserer Partei- und Fraktionsspitze mitgeteilt, dass ich nicht zur Verfügung stehe für die Kandidatur für das Amt des Bundeskanzlers.“ Pistorius betonte: „Das ist meine souveräne, meine persönliche und ganz eigene Entscheidung.“

Amtsinhaber Olaf Scholz hatte zuletzt mehrfach deutlich gemacht, dass er sich bei den vorgezogenen Neuwahlen am 23. Februar als Kanzlerkandidat der SPD sieht. Auch die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil sowie der SPD-Generalsekretär Matthias Miersch und andere führende Sozialdemokraten hatten sich hinter Scholz gestellt. Zuletzt hatten sich aber auch zahlreiche SPD-Mitglieder dafür ausgesprochen, mit dem äußerst beliebten Pistorius ins Rennen zu gehen, anstatt mit Scholz, dessen Ansehen in der zerbrochenen Ampel-Koalition schwer gelitten hat.

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Meine schwerste Entscheidung

Neue Umfrage: Pistorius liegt deutlich vor Scholz

Die aktuellen Zustimmungswerte sind deutlich: In einer am Donnerstagabend vor dem Video von Pistorius veröffentlichten Umfrage des ARD-Deutschlandtrends sind sechs von zehn Befragten (60 Prozent) der Meinung, dass Pistorius ein guter Kanzlerkandidat für die SPD wäre. Nur jeder Fünfte (21 Prozent) hält Scholz für einen guten SPD-Kanzlerkandidaten. Die Umfrage ergab auch, dass die SPD in der Sonntagsfrage nur noch auf 14 Prozent kommt, das sind zwei Prozentpunkte weniger als vor dem Koalitionsbruch Anfang November. Damit liegen die Sozialdemokraten gleichauf mit den Grünen und deutlich hinter der Union (33 Prozent) und der AfD (19 Prozent).

Angesichts dieser Stimmung im Land, wuchs die Nervosität in der SPD in den vergangenen Tagen merklich. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich räumte ein, dass es ein „Grummeln“ in der Partei hinsichtlich einer erneuten Kandidatur von Scholz gebe. Das sahen die Kritiker des Kanzlers offenbar als Ermutigung. Scholz befand sich auf einer Auslandsreise zum G20-Gipfel in Brasilien, als die öffentlich angemeldeten Zweifel an seiner erneuten Kandidatur zu Wochenbeginn den Höhepunkt erreichten.

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Pistorius hatte sich immer eine Hintertür offengehalten

Am Rande des Gipfels musste sich Scholz zu den Querelen in seiner Partei äußern. Scholz gab sich gelassen und erklärte, dass er gemeinsam mit der SPD die Bundestagswahl gewinnen wolle. Die Debatte in der SPD nahm aber trotz dieser Erklärungen und trotz Wortmeldungen der Parteispitze zu Gunsten von Scholz auch kein Ende, da Pistorius sich trotz Bekenntnissen zu Scholz in seinen öffentlichen Äußerungen immer ein Hintertürchen offenließ. Wer sich Pistorius als Kanzlerkandidat wünschte, konnte immer noch Hoffnung haben.

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„In der Politik sollte man nie irgendetwas ausschließen“, sagte Pistorius etwa auf einer Veranstaltung. „Das einzige, was ich definitiv ausschließen kann ist, dass ich noch Papst werde.“ In dem am Donnerstag veröffentlichten Video stellte Pistorius nun klar: „Ich habe es in den letzten Wochen immer wieder betont – und ich sage es auch heute in aller Deutlichkeit: Wir haben mit Olaf Scholz einen hervorragenden Bundeskanzler. Er hat eine schon für normale Zeiten schwierige Koalition aus drei Parteien durch die vielleicht größte Krise der letzten Jahrzehnte geführt.“ Scholz stehe in Krisen- und Kriegszeiten für „Vernunft und Besonnenheit“. Pistorius fügte hinzu: „Olaf Scholz ist ein starker Kanzler und er ist der richtige Kanzlerkandidat.“

K-Frage der SPD: Weg für Scholz dürfte frei sein

Pistorius beendet mit seiner Stellungnahme nun eine tagelange Hängepartie. Der Weg für Olaf Scholz als Kanzlerkandidat ist damit frei. Scholz solle am Montag vom SPD-Vorstand als Kanzlerkandidat nominiert werden, kündigte Klingbeil an. Ein großer Schaden ist der Partei allerdings wohl bereits entstanden: In der SPD gibt es große Verärgerung über den Verlauf der vergangenen Tage. Dass die Frage der Kanzlerkandidatur so lange schwelen konnte, wird auch als Führungsversagen der SPD-Vorsitzenden Esken und Klingbeil gesehen. So wird etwa kritisiert, dass ein offizieller Beschluss in den Parteigremien nicht kurz nach dem Bruch der Ampel-Koalition am 6. November gefasst wurde.

Pistorius räumte in dem Video ein, dass die Debatte der Partei geschadet habe. „Die Diskussion um die Kanzlerkandidatur habe für „zunehmende Verunsicherung in der SPD und auch für Irritationen bei den Wählerinnen und Wählern gesorgt“, sagte der Niedersachse. „Das schadet meiner Partei, der ich jetzt seit 48 Jahren angehöre.“ Er habe diese Debatte jedoch nicht angestoßen oder gewollt, beteuerte der Pistorius. „Ich habe mich für nichts ins Gespräch gebracht.“ Das Amt des Verteidigungsministers sei für ihn kein Karrieresprungbrett, fügte Pistorius hinzu. Seine Arbeit sei noch nicht erledigt.

Pistorius ruft SPD zur Geschlossenheit auf

„Wir stehen jetzt gemeinsam in der Verantwortung, diese Debatte zu beenden, denn es geht um viel“, appellierte Pistorius an die Geschlossenheit der SPD. Auch SPD-Generalsekretär Miersch rief die Partei auf: „Nach den Debatten der letzten Tage ist jetzt der Zeitpunkt, zusammenzustehen“. Mit Scholz habe die SPD „den richtigen Kanzlerkandidaten, der Stabilität, Vernunft und Führungsstärke verkörpert“. Miersch begrüßte die Klarstellung von Pistorius. „Boris Pistorius zeigt, wie sehr er unsere Partei und das Land im Blick hat. Dafür gebührt ihm mein Respekt“, sagte der Generalsekretär dieser Redaktion.

Ende November richtet die SPD eine „Wahlsiegkonferenz“ in Berlin aus. Offiziell zum Kanzlerkandidaten gekürt werden soll Scholz am 11. Januar auf einem Parteitag. Viel Zeit für eine Aufholjagd bleibt ihm dann nicht mehr.