Berlin. Fast 1000 Tage ist Russlands Angriff auf die Ukraine her. Nun sprach der Kanzler seit langer Zeit wieder direkt mit Präsident Putin.
Nach fast zwei Jahren hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Freitag erstmals wieder direkt mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gesprochen. „Der Bundeskanzler verurteilte den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und forderte Präsident Putin auf, diesen zu beenden und Truppen zurückzuziehen“, teilte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, nach dem rund einstündigen Gespräch mit.
Die Ukraine ist auf dem Schlachtfeld in der Defensive. Es wird erwartet, dass Russland die harten Wintermonate erneut nutzt, um durch Luftschläge gezielt die ukrainische Energieversorgung zu zerstören. Zudem muss die Regierung in Kiew um die militärische Unterstützung aus dem Ausland bangen. Scholz drängte nach Angaben der Bundesregierung in dem Telefonat mit Putin „auf eine Bereitschaft Russlands zu Verhandlungen mit der Ukraine mit dem Ziel eines gerechten und dauerhaften Friedens“.
Krieg in der Ukraine: Diese Rolle will Donald Trump spielen
Für die Ukraine läuft möglicherweise die Zeit ab. Der künftige US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, schnell das Ende des Krieges herbeiführen zu wollen. Die Ukraine und ihre Verbündeten befürchten, dass Trump die Militärhilfe der USA einstellt – die Ukraine könnte dann früher oder später dazu gezwungen sein, unter für Russland günstigen Bedingungen einem Ende des Krieges zuzustimmen. Die USA sind vor Deutschland mit Abstand der größte Lieferant von Waffen an die Ukraine.
Der Kanzler betonte in dem Telefonat mit Putin nach Angaben der Bundesregierung „die unverbrüchliche Entschlossenheit Deutschlands, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Aggression so lange wie nötig zu unterstützen“. Scholz habe Putin gesagt, dass die Hilfe für die Ukraine langfristig ausgerichtet sei und der russische Präsident nicht damit rechnen könne, dass die Zeit auf seiner Seite ist, hieß es.
Vor Gespräch mit Putin: Scholz stimmte sich mit Selenskyj ab – doch der reagiert wütend
Aus deutschen Regierungskreisen verlautete weiter, Scholz habe gegenüber Putin die russischen Luftangriffe gegen zivile Infrastruktur in der Ukraine verurteilt. Scholz stimmte sich vor dem Telefonat mit dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj ab. Dies werde der Bundeskanzler nun auch „im Nachgang zu dem Gespräch mit dem russischen Präsidenten tun“, teilte Regierungssprecher Hebestreit mit.
Kiew reagierte trotzdem verärgert. „Der Anruf von Olaf öffnet meiner Meinung nach die Büchse der Pandora“, sagte Selenskyj mit Nachdruck in seiner abendlichen Videobotschaft. Scholz habe mit seinem Anruf Putins langgehegten Wunsch erfüllt, Russlands Isolation zu verringern und mit Gesprächen zu beginnen, die zu nichts führen werden. Putin habe dies jahrzehntelang so gemacht, sagte Selenskyj. „Das hat es Russland erlaubt, nichts an seiner Politik zu ändern, im Grunde nichts zu tun, und das führte gerade zu diesem Krieg“, betonte der Präsident.
Wie sehr die Ukraine unter Druck steht, dürfte sich auch in den kommenden Tagen in Rio de Janeiro zeigen. Dort findet ab Montag der G20-Gipfel großer Industriestaaten statt. Brasiliens Präsident Lula da Silva hat sich als Gastgeber dafür entschieden, Selenskyj nicht einzuladen. Russland wird voraussichtlich von Außenminister Sergej Lawrow vertreten.
Scholz will auch mit Xi über Putins Krieg reden
Der Krieg in der Ukraine wird bei dem Gipfel jedoch nur in den Gesprächen am Rande eine Rolle spielen, auf der offiziellen Tagesordnung findet sich dazu keine Sitzung. Ein Treffen von Scholz mit Lawrow in Brasilien ist nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen nicht geplant. Der Bundeskanzler hat jedoch eine Unterredung mit Chinas Staatschef Xi Jinping verabredet, dem wichtigsten Unterstützer Putins.
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Scholz will mit Xi über den Krieg in der Ukraine reden und dabei auch den Einsatz nordkoreanischer Soldaten an der Seite der russischen Armee zur Sprache bringen. Aus der Bundesregierung heißt es, man sehe dadurch Befürchtungen bestätigt, dass der Krieg weltweite Auswirkungen habe. „Das ist eine neue Dimension. Das ist eine neue Eskalation“, sagte ein Regierungsvertreter.
Den Einsatz der Truppen des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un kritisierte Scholz nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen auch in dem Telefonat mit Putin. Damit sei eine „gravierende Eskalation und Ausweitung des Konflikts verbunden“, sagte der Kanzler demnach.
Letztes Gespräch zwischen Scholz und Putin im Dezember 2022
Das letzte direkte Gespräch des Kanzlers mit dem russischen Machthaber fand am 2. Dezember 2022 statt. Zu dem Zeitpunkt war es gut neun Monate her, dass die russischen Truppen die Ukraine überfallen hatten. Inzwischen beherrscht der Krieg seit fast 1000 Tagen das Leben in der Ukraine und die Sicherheitslage in Europa. „Das ist schon ein sehr markantes und sehr erschreckendes Datum“, heißt es dazu aus deutschen Regierungskreisen.
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