Berlin. Staatskrise in Deutschland? Das hätte man in manchen Ländern Südeuropas lange nicht für möglich gehalten. Das sind die Reaktionen.
Die geplatzte Koalition in Deutschland und die hektische Debatte über Neuwahlen – wann, wie, reicht das Papier – werden auch im Ausland beäugt. Teils mit Schadenfreude, teils mit großer Sorge, denn nach der US-Wahl und der bevorstehenden Rückkehr Donald Trumps braucht es in Europa Stabilität, um den wirtschaftlichen (Rezession) und politischen (Demagogen und Populisten) Herausforderungen etwas entgegensetzen zu können. Unsere Korrespondenten berichten, wie ihre jeweiligen Länder auf uns schauen.
Dirk Hautkapp, USA: Starke Rechte in Deutschland?
Amerika, was Wunder, schaut gerade auf sich selbst. Trotzdem beschäftigt die parallel zu Donald Trumps Rückkehr stattgefundene Implosion der Bundesregierung die Eliten in Washington. „Wall Street Journal“ und „New York Times“ bündeln die Sorgen: „Die Unsicherheit von Paris bis Berlin hat ein kontinentales Machtvakuum geschaffen, das Russland in seinem Krieg in der Ukraine ermutigen könnte. Es droht, die Fähigkeit Europas zu beeinträchtigen, auf einen globalen Handelskrieg zu reagieren, falls Herr Trump im nächsten Jahr schnell vorgeht, um hohe Einfuhrzölle auf Importe in die Vereinigten Staaten zu erheben.“
„Ein noch größerer Streit könnte unmittelbar bevorstehen. Herr Trump hat darauf gedrängt, dass Deutschland mehr für sein Militär ausgibt. Dies würde die Staats- und Regierungschefs dazu zwingen, neue Schritte zu unternehmen, um Geld zu leihen – oder über politisch schmerzhafte Kürzungen der inländischen Ausgaben nachzudenken, um mehr Geld für das Militär freizumachen. Was die Empörung der Wähler schüren und Parteien wie die rechtsextreme ‚Alternative für Deutschland‘ bei den Wahlen stärken könnte.“
Jo Angerer, Russland: Deutschland eine Bananenrepublik
Deutschland sei eine „Bananenrepublik“. Hämisch kommentiert Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, den Bruch der Ampel. Alles sei eine Folge der „US-Hörigkeit“ der Berliner Politik. „Berlin hat es versäumt, das für seine Bürger und seinen Industrie- und Wirtschaftskomplex lebenswichtige russische Gas zu behalten“, so Sacharowa weiter. „Global verliert das ganze Land und teilweise Europa“, kommentiert die Zeitung „Kommersant“. Und Wladislaw Below von der Russischen Akademie der Wissenschaft ergänzt: „Die meisten Deutschen befürworten einen Abgang von Scholz. Sie mögen Scholz nicht, seine Popularität und die der Regierung sind minimal.“
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Denis Trubetskoy, Ukraine: Unsicherheit in einem Moment, in dem sowieso viele unsicher wirkt
Das hat der Ukraine gerade noch gefehlt: Nachdem in den USA Donald Trump zum neuen Präsidenten gewählt wurde, zerfällt beim zweitgrößten Unterstützer Kiews im Abwehrkrieg gegen Russland die Regierungskoalition. Zwar war das Image der Ampel-Koalition in der Ukraine nicht ideal. Die Ukrainer zeigten große Dankbarkeit gegenüber der Bundesregierung, hatten aber wenig Verständnis für die sich im Kreis drehenden Debatten, etwa zu Kampfpanzern Leopard oder zum Marschflugkörper Taurus.
Dass Deutschland gerade am Rande des Trump-Sieges in die politische Krise stürzt, wird aber alles andere als positiv wahrgenommen. Allerdings gibt es durchaus Hoffnung, dass die vermutlich von CDU/CSU angeführte nächste Bundesregierung bei den Ukraine-Hilfen entschlossener vorgehen könnte. Zu groß ist allerdings die Unsicherheit für die Zwischenzeit, und zwar in einem Moment, in dem für Kiew sowieso vieles unsicher wirkt.
Stefan Brändle, Frankreich: Vollstes Vertrauen in die deutsche Demokratie
Der französische Außenminister Jean-Noël erklärte am Sonntag, er habe „volles Vertrauen“, dass „die deutsche Demokratie solide“ bleibe. Dagegen sieht das Wochenmagazin „Paris-Match“ in Deutschland hingegen eine „Katastrophe“ mit Fabrikschließungen und Energiekrise heraufziehen. Die konservative Zeitung „Le Figaro“ befürchtet, dass das langwierige Ende der Ampelkoalition auch das deutsch-französische Paar und die französische Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen wird. Die Zeitung würde eine CDU-Regierung unter Friedrich Merz deshalb begrüßen.
Gerd Höhler, Griechenland: Deutschland als wichtiger Partner
„Die Krise in Deutschland erschreckt Europa“, so die Schlagzeile in der griechischen Zeitung „Kathimerini“ am Freitag. „Die Ampel ist zum schlechtestmöglichen Zeitpunkt ausgegangen“, schreibt das Blatt. Die Wirtschaftszeitung „Naftemporiki“ bezeichnet die deutsche Regierungskrise als „Nachbeben der Trump-Wahl“. Die griechische Regierung hat sich offiziell bisher nicht zum Ende der Koalition in Berlin geäußert. In Regierungskreisen heißt es, man wolle die innenpolitischen Entwicklungen in Deutschland nicht kommentieren, beobachte sie aber genau. „Es ist wichtig, dass Deutschland eine handlungsfähige Regierung hat, gerade jetzt, wo sich die EU mit dem bevorstehenden Regierungswechsel in den USA und den handelspolitischen Plänen – Stichwort Zölle – der neuen Administration auseinandersetzen muss“, sagte der Insider.
Der konservative griechische Premier Kyriakos Mitsotakis fordert seit langem, Europa müsse sich außenpolitisch geschlossener aufstellen und mehr für seine Verteidigung ausgeben. Dabei sollte Deutschland eine tragende Rolle übernehmen, heißt es in Athen. Auch in der Migrations- und Asylpolitik ist Berlin für die griechische Regierung ein wichtiger Partner. Griechische Wirtschaftsmedien äußern am Freitag die Sorge, dass Deutschland infolge der Regierungskrise in den nächsten Monaten wirtschaftlich weiter abstürzt. Die Krise in der deutschen Autoindustrie wird auch in griechischen Medien verfolgt. Die Wirtschaft in Griechenland wächst zwar stärker als in den meisten anderen EU-Ländern. Aber wenn ein wichtiger Handelspartner wie Deutschland weiter stagniert oder in eine längere Rezession rutscht, könnte das auch die griechische Wirtschaft bremsen.
Micaela Taroni, Italien: Schadenfreude über das deutsche Chaos
Die Ampel-Koalition erlischt, und Rom beobachtet mit Schadenfreude das Polit-Chaos in Deutschland. Das wegen seiner häufigen Regierungswechsel und seiner chronischen politischen Instabilität bekannte Italien reagiert überrascht auf die Entlassung von Finanzminister Lindner. „Die deutsche Regierung ist ein Kranker im Endstadium, vorgezogene Wahlen sind die einzige Lösung. In Berlin herrschen inzwischen chaotische Verhältnisse, während in Rom die Rechtspopulistin Meloni fest im Sattel ist“, analysierte die Tageszeitung „Domani“.
Stefan Schocher, Österreich: Häme über den „Ampelschaden“
Was in Deutschland passiert, schwappt oft nach Österreich. In den österreichischen Medien nimmt Deutschland also viel Raum ein. Und so war das Platzen der Ampel-Koalition die zweite große Nachricht, die den österreichischen Medienkonsumenten nach der US-Wahl vorgesetzt wurde. Dabei war es vor allem Österreichs Boulevard, in dem die Wort-Kreationen nur so sprossen: Von „Ampelschaden“, „Ampel-Desaster“ oder auch „öffentlichem Untergang“ war da die Rede. Die Häme hat vor allem einen Grund: Österreich befindet sich selbst in der Phase der Regierungsbildung. Woran da gerade gebastelt wird, ähnelt dem, was in Berlin just in die Brüche gegangen ist: eine Ampel aus Volkspartei (ÖVP), Sozialdemokraten (SPÖ) und vermutlich den Liberalen NEOS.