Berlin. Der grüne Parteivorstand tritt geschlossen zurück. Für einen Neustart für die Partei – und um Habecks Kanzlerkandidatur zu retten.

Als Ricarda Lang und Omid Nouripour am Dienstag in der Bundestagsfraktion der Grünen waren, da war von dem Beben, das kommen würde, noch nichts zu spüren. Das miserable Ergebnis der Partei bei der Wahl in Brandenburg war Thema, auch, dass man daraus Konsequenzen ziehen werde. Aber dass diese Konsequenzen so schnell, so hart und vor allem: so persönlich ausfallen würden, das hat viele Grüne dann doch überrascht.

Denn der Dienstag war die letzte Fraktionssitzung für Lang und Nouripour als ordentliche Parteivorsitzende. Am Mittwochvormittag erklärten sie in einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz in der Berliner Geschäftsstelle der Grünen, dass der gesamte Parteivorstand mit Wirkung zum nächsten Parteitag im November sein Amt niederlegt. Bis dahin wird der sechsköpfige Vorstand geschäftsführend im Amt bleiben.

Gemeinsam mit Lang und Nouripour gehen damit auch die stellvertretenden Parteivorsitzenden Pegah Edalatian und Heiko Knopf, Geschäftsführerin Emily Büning und Bundesschatzmeister Frederic Carpenter. In der Partei war am Mittwoch aber zu hören, dass Edalatian, Knopf und Carpenter erneut kandidieren könnten.

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Der Rücktritt ist der Versuch eines Befreiungsschlags in einer Situation, die der scheidende Parteivorsitzende Omid Nouripour als „tiefste Krise unserer Partei seit einer Dekade“ bezeichnet.

Ablesen kann man diese Krise problemlos an den Wahlergebnissen: Seit 2023 haben die Grünen bei jeder Landtagswahl und auch bei der Europawahl in diesem Frühjahr Stimmen eingebüßt. Zuletzt verpassten sie in Thüringen und Brandenburg den Wiedereinzug in den Landtag. In Sachsen werden sie nicht mehr Teil der Koalition sein. Schon in den Jahren davor hatten sie zudem die Beteiligung an mehreren Landesregierungen verloren, etwa in Hessen und Berlin.

Lang: Braucht „neue Gesichter“ um die Krise der Grünen zu überwinden

Besonders groß waren die Stimmenverluste bei jungen Menschen. Nachwahlbefragungen hatten zudem zuletzt gezeigt, dass die Wählerinnen und Wähler der Partei selbst bei ihrem Kern-Thema Klima- und Umweltschutz inzwischen deutlich weniger Kompetenz zuschreiben. Keine gute Ausgangsposition, ein Jahr vor der Bundestagswahl.

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Diese Krise zu überwinden, sei „notwendig und möglich“ glaubt Omid Nouripour. Doch dafür brauche es Veränderung. „Es braucht einen Neustart.“ Ricarda Lang verwies auf die Wahl im kommenden Jahr. Die sei „nicht einfach irgendeine Wahl.“ Dort entscheide sich auch, welchen Weg Deutschland für die kommenden Jahre und Jahrzehnte einschlagen werde – und welche Rolle die Grünen künftig in einem Parteiensystem einnehmen würden, das sich gerade fundamental verändere. „Jetzt ist nicht die Zeit am eigenen Stuhl zu kleben“, sagte Lang. „Jetzt ist die Zeit, Verantwortung zu übernehmen.“ Das tue man, in dem man einen Neustart ermögliche. Es brauche neue Gesichter, um die Partei aus der Krise zu führen.

Lang und Nouripour waren Anfang 2022 als Co-Vorsitzende von Bündnis 90/die Grünen gewählt worden. Sie führten die Partei damit in der ersten Regierungsbeteiligung auf Bundesebene seit 2005.

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Die Grünen immer weiter in Richtung Fünf-Prozent-Hürde

Sich darauf einzustellen, fiel der Partei erkennbar nicht leicht. Während beim Koalitionspartner FDP Parteispitze und Finanzministerium in einer Hand liegen und in der SPD das Kanzleramt das letzte Wort hat, führten die Grünen mit Beginn der Regierungszeit erst einmal ein Gremium zur internen Abstimmung ein. Die sogenannte Sechser-Runde aus Parteispitze, Fraktionsspitze sowie Vizekanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock als ranghöchsten Kabinettsmitgliedern war in der Partei und auch bei Koalitionspartnern schon bald berüchtigt für schwierige Abstimmungsprozesse.

Gleichzeitig gelang es Lang und Nouripour aber, dass der Unmut an der Parteibasis trotz vieler dort sehr unbeliebten Entscheidungen der Ampel-Koalition nicht überkocht.

Raus aus mehreren Landtagen, verlorene Regierungsbeteiligungen

Die Verantwortung für die miserable Lage der Partei sah man innerparteilich zunehmend auch bei der Bundesgeschäftsstelle, bei den beiden Vorsitzenden und Bundesgeschäftsführerin Emily Büning, ebenfalls seit 2022 im Amt. Laute Forderungen nach einem Rücktritt waren trotzdem nicht zu hören gewesen.

Der geschlossene Abgang des Vorstands jetzt soll ein Signal sein: kein Weiter So, während die Partei immer weiter in Richtung Fünf-Prozent-Hürde taumelt. Stattdessen ein echter Schnitt, um einen Neustart vor dem Bundestagswahlkampf zu ermöglichen. In Umfragen steht die Partei bundesweit derzeit bei 10 Prozent. Im ersten Jahr der Ampel-Koalition waren es zeitweise deutlich über 20 Prozent.

Ob eine personelle Neuausrichtung allerdings reichen wird, um den Negativ-Trend für die Partei umzukehren, ist offen. Denn nahezu ebenso lang wie die Serie der Enttäuschungen der Partei an Wahlabenden dauert die innerparteiliche Debatte, welcher Kurs daraus folgen soll. Bei der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin, bei der die Partei sich deutlich mehr Stimmen erhofft hat, hatte man das Scheitern unter anderem darauf zurückgeführt, dass die Partei sich im Wahlkampf sehr auf Interessen ihrer in Berlin sehr linken Kernwählerschaft konzentriert hatte.

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Doch im selben Jahr verlor die Partei eben auch in Hessen, wo der Landesverband auf einen sehr pragmatischen Kurs setzt und zehn Jahre lang fast geräuschlos mit der CDU regiert hatte.

Robert Habeck lobte die Entscheidung von Lang und Nouripour als „großen Dienst an der Partei“. „Dieser Schritt zeugt von großer Stärke und Weitsicht“, sagt er. Hinter der Partei lägen harte Monate, „die Grünen standen voll im Gegenwind“. Die Niederlagen bei den letzten Wahlen seien unstrittig vom Bundestrend beeinflusst. „Wir tragen hier alle Verantwortung, auch ich. Und auch ich will mich ihr stellen.“ 

Brantner als mögliche neue Parteichefin wäre eine Habeck-Vertraute

Das allerdings bedeutet für Habeck: mehr Rampenlicht, nicht weniger. Offiziell ausgerufen ist der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister noch nicht als die Person, die die Grünen in den Bundestagswahlkampf führen soll. Dass er es wird, daran gibt es aber keine Zweifel.

Und trotz miserabler Werte in den Umfragen hält man in der Partei bislang auch daran fest, dass Habeck nicht Spitzen-, sondern Kanzlerkandidat werden soll – schon um nicht zerrieben zu werden in einem Wettkampf zwischen Friedrich Merz und Olaf Scholz. Aber auch, weil man sich eine Chance ausrechnet, dass es genug Wählerinnen und Wähler gibt, die keinen von beiden im Kanzleramt sehen wollen. Wie kaum ein anderer in der Partei steht Habeck für den pragmatischen Realo-Kurs und den Versuch der Grünen, die Mitte zu erobern.

Auf ihn als Frontmann der Partei dürfte bei der Neuaufstellung der Parteispitze auch das Personaltableau zugeschnitten sein – das zeigt mindestens einer der Namen, der für den Parteivorsitz gehandelt wird (s. Text unten). Mit Franziska Brantner aus Baden-Württemberg arbeitet Habeck schon jetzt eng zusammen.