Berlin.. Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit fliegen die Grünen aus einem Landtag. Vor allem eine Zahl muss der Partei jetzt Sorgen machen.

Was für ein heftiger Schlag dieser Wahltag in Brandenburg für die Grünen war, das lässt sich gut an den Zahlen und Grafiken ablesen. Da ist natürlich die Zahl, die die Stimmeinbußen zeigt – minus 6,6 Prozentpunkte verglichen mit 2019, und damit raus aus dem Landtag. Oder die, die ihre enormen Verluste bei jungen Wählerinnen und Wählern zeigt: 21 Prozentpunkte weniger als vor fünf Jahren haben sie geholt, landen bei den 18- bis 24-Jährigen nur noch bei 6 Prozent. 

Doch die vielleicht wichtigste und für die Grünen schmerzhafteste ist die, in der die Demoskopen zeigen, wie viel Kompetenz die Menschen in Brandenburg der Partei noch zutrauen in Sachen Klima- und Umweltpolitik. Minus 25 Prozentpunkte stehen da, mehr als halbiert hat sich der Wert. Und Brandenburg ist kein Einzelfall – in Sachsen sah es ähnlich aus.

Die Klimakrise eskaliert, doch das Vertrauen in die Lösungsfähigkeit der Grünen sinkt

Die Klimakrise eskaliert zusehends, die Meldungen über Hochwasser, Extremtemperaturen, Brände auch in Europa reihen sich aneinander. Doch der Partei, für die der Kampf gegen diese Krise Kern ihrer Identität und ihrer Daseinsberechtigung ist, trauen offenbar immer weniger Menschen zu, Lösungen zu haben.

Als in der vergangenen Woche große Teile Österreichs, Polens und Tschechiens untergingen, meldete der grüne Vizekanzler Robert Habeck sich mit einem Video auf Instagram zu Wort. Ernst guckt er da in die Kamera, erklärt, dass die immer häufigeren Hochwasser eine Folge der Klimakrise seien. Dass die Projekte der Grünen in der Regierung – der Ausbau der Erneuerbaren Energien, die Wärmewende, die Umstellung der Industrie hin zur Klimaneutralität – alle am Ende dem Kampf gegen diese Krise und dem Schutz von Menschen dienen sollen.

Ähnliche Videos hatte Habeck schon zu anderen Themen aufgenommen, zu Krieg und Frieden in der Ukraine etwa, zur Situation in Israel. Doch während die auf ein großes Echo stießen, zum Teil als Kanzler-tauglich gelobt wurden, verhallte der Beitrag zum Hochwasser weitgehend ohne Echo.

Die grüne Kernklientel ist enttäuscht, der Rest ist veränderungsmüde

Martin Kaiser ist geschäftsführender Vorstand von Greenpeace. Die Organisation ist Teil des zivilgesellschaftlichen Vorfelds, das den Grünen seit langem besonders nahe steht – und wo man inzwischen ernüchtert ist über die Ergebnisse der Regierungsbeteiligung. Bei ihrer Kernwählerschaft, sagt Kaiser, würden den Grünen Teile der Politik der Ampel schaden. „Dass das Klimaschutzgesetz aufgeweicht wurde, maßgeblich durch das Wirtschaftsministerium, das merken die Leute“, sagt der Greenpeace-Chef, „auch dass mit grüner Zustimmung so viele Projekte des klimaschädlichen, fossilen Gases umgesetzt werden.“

Gleichzeitig sieht er außerhalb der grünen Kernklientel eine Krisenmüdigkeit, die sich in den Wahlergebnissen der Partei niederschlägt. Der Ukraine-Krieg, die Inflation, Angriffe auf die Demokratie, all das habe die Offenheit für die Transformation überlagert.

Grünen-Chef Omid Nouripour sieht einen „Trend, der für uns sehr negativ ist“

Tatsächlich zeigen die Wahlergebnisse und Nachwahlanalysen nicht nur eine geringe Zustimmung für die Grünen – sondern in Teilen der Bevölkerung auch eine ausdrücklich starke Abneigung gegen die Partei. In einer Nachwahlbefragung sagten 68 Prozent der Befragten in Brandenburg, die Grünen würden es „übertreiben“ beim Klimaschutz, 66 Prozent gaben an, die Grünen seien eine Partei, die den Menschen vorschreiben wolle, wie sie zu leben hätten.

Co-Parteichef Omid Nouripour sprach am Montag von einem „Trend, der für uns sehr negativ ist und den wir nicht über Nacht drehen können“.

Einen Teil der Verantwortung dafür sieht man auch bei der politischen Konkurrenz – vor allem bei der CSU, die seit Wochen keine Gelegenheit auslässt, um zu betonen, dass sie die Grünen für nicht regierungs- und koalitionsfähig hält. Das unterstrich am Montag noch einmal der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der der Schwesterpartei CDU mit einem Veto drohte, sollte da jemand auf die Idee kommen, nach der Bundestagswahl mit den Grünen zu koalieren: „Die CSU kann die Grünen verhindern und wir werden es auch tun.“

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Den Grünen, die in mehreren Ländern mit der CDU regieren und sich diese Option auch im Bund gern offenhalten wollen, bleibt als Antwort auf die Anwürfe aus Bayern regelmäßig nur der etwas hilflose Hinweis, dass es wenig klug sei, die Spielräume im demokratischen Lager ohne Not so zu verengen.

Ein Jahr vor der Bundestagswahl, in die sie eigentlich einmal als führende Partei des Mitte-links Lagers starten wollten, ist die Partei damit in einer schwierigen Ausgangssituation. Von der Idee einer erneuten Kanzlerkandidatur, dieses Mal mit Habeck, wollen die Grünen dennoch nicht lassen. In der Partei verweist man dabei gern auf die Umfragewerte die SPD, die nur wenige Prozentpunkte vor den eigenen liegen.

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Eine Situation wie in Brandenburg, wo die Partei auch deshalb so schlecht abschnitt, weil sie im Wettkampf der SPD gegen die AfD Stimmen an die Sozialdemokraten verloren, will man bei der Bundestagswahl in jedem Fall vermeiden. Man wolle „ein Angebot machen“, dass ein solches Zweierrennen auf ihre Kosten vermeidet, sagte Nouripour am Montag.

Etwa, indem man einen eigenen Kandidaten stellt. Katrin Göring-Eckardt, Ex-Fraktionschefin und jetzt grüne Bundestagsvizepräsidentin, sagte am Montag im Deutschlandfunk, es mache weiterhin Sinn für die Partei, das zu tun. „Manchmal ändern sich die Dinge sehr, sehr schnell“, sagte sie. Darauf müssen die Grünen jetzt hoffen.