Berlin. Bei der Landtagswahl in Sachsen hat der Linke Historisches erreicht. Doch sein Erfolg macht eine Regierungsbildung noch komplizierter.

Zur Heim-WM 2006 veröffentlichte Herbert Grönemeyer seinen Hit „Zeit, dass sich was dreht“. Damals war Nam Duy Nguyen zehn Jahre alt und die Linke zweitstärkste Kraft im sächsischen Landesparlament. Nam Duy Nguyen ist inzwischen 28 und die Linke hat es ihm zu verdanken, dass sie überhaupt noch in den Landtag von Sachsen einzieht. Denn der Deutsch-Vietnamese hat etwas geschafft, was außer ihm nur einer anderen Linken und im ganzen Bundesland gelungen ist: Er hat ein Direktmandat gewonnen. Sein Wahlkampfmotto: „Zeit, dass sich was dreht“.

Fast 10.000 Stimmen machen am Ende den Unterschied, fast 40 Prozent für Nguyen im Wahlkreis Leipzig I. Ein Riesenerfolg mit Konsequenzen: Denn durch dieses zweite Direktmandat greift eine Sonderregel im sächsischen Wahlrecht und die Linke zieht auch mit ihrem Zweitstimmenergebnis in den Landtag ein. Das bedeutet: Sechs Sitze für die Linke, respektabel für eine Partei, die bundesweit schwächelt. Es bedeutet aber auch: Eine Koalition der Mitte kann es nicht geben.

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Denn rein rechnerisch, kann sich keine Mehrheitskoalition bilden, die nicht entweder die gesichert rechtsextremistische AfD oder das bisher kaum einzuordnende BSW einbindet. Ohne die Extra-Sitze für die Linke wäre eine Kenia-Koalition, also eine Koalition aus CDU, SPD und Grünen, zumindest möglich gewesen. Die Regierungsfindung wird eine Herausforderung. Das alles, weil Nam Duy Nguyen vor rund einem Jahr in einer Kneipe beschloss, etwas zu versuchen, was seit 15 Jahren nicht mehr gelungen war: Ein zweites Direktmandat für die Linke zu erringen. Doch wie ist ihm das gelungen?

Ungewöhnliche Strategie von Nam Duy Nguyen: 41.133 Klinken putzen

Ein Blick auf seine Website zeigt klassische linke Inhalte: „bezahlbarer Wocheneinkauf, bezahlbare Mieten und kostenloser, gut ausgebauter ÖPNV“. Eine Besonderheit: Nguyen, der bisher in einem Bildungsverein arbeitet, will sein eigenes Einkommen als Abgeordneter im Landtag auf 2500 Euro deckeln. Alles darüber hinaus will er spenden. „An Menschen in Notlagen, soziale Initiativen und die Linke.“ Im Wahlkampfvideo wird Nguyen dann persönlich.

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Er berichtet von seiner Biografie und der seiner Eltern, zeigt sich beim Fußball spielen und bei der Parteibasis. Sein Alleinstellungsmerkmal: Die Eltern kommen aus dem Vietnam, er selbst ist in Sachsen geboren. Sein Erfolg wird ihn zur ersten Person of Colour im sächsischen Landtag machen.

Während viele Linke-Wähler zum BSW wechselten, ist Nguyen geblieben

Das Erfolgsrezept? Harte Arbeit. Jeden einzelnen der rund 50.000 Wahlberechtigten in seinem Wahlkreis wollten Nguyen und sein Team persönlich treffen. Dafür klingelten sie nach eigenen Angaben bis zum vergangenen Dienstag an 41.133 Haustüren, oft mehrfach. Mehr als 300 Unterstützer seien dafür gekommen, aus ganz Deutschland. Nguyen zeigt sich gerne als normaler Typ. Er spielt Kreisklassen-Fußball für die dritte Mannschaft von Roter Stern Leipzig, erzählt von seinen Erfahrungen mit Armut und Rassismus.

Bei der Linken ist er seit 2015. Während viele Linke-Wähler zum BSW wechselten, ist er geblieben. „Meine Partei hat nicht alles richtig gemacht in der letzten Zeit“, schreibt er. Trotzdem steht er zu ihr, anders als Bodo Ramelow, der in Thüringen ganz ohne das Parteilogo plakatierte. Für ein Sommerfest im August warb Nguyen aber tatsächlich nur mit seinem Namen. Der Instagram-Post ist mit einem Lied hinterlegt, dass Herbert Grönemeyer 2024 zusammen mit dem Rapper $oho Bani neu veröffentlichte: „Zeit, dass sich was dreht“.