Berlin. Ein Haus, Sicherheit, eine Chance auf einen Neuanfang: Drei Menschen, die geerbt haben, erzählen, wie das Erbe ihr Leben verändert hat.

Immobilien, Bargeld, Firmen: In Deutschland wird viel vererbt. 61,2 Milliarden Euro waren es laut Statistischem Bundesamt 2023. Dabei sind die Erbschaften sehr unterschiedlich verteilt. Während manche gar nichts erben, kommen andere auf diese Art zu Millionen. Gesprochen wird darüber wenig, obwohl Erbschaften zu den wichtigsten Treibern von Ungleichheit in Deutschland gehören. Denn mit dem Geld kommen Chancen: Drei Menschen, die geerbt haben, erzählen, wie das ihr Leben verändert hat.

Lukas Schäfer*, 40, hat sich die Zeit zum Schreiben finanziert

„Vor drei Jahren starb die Lieblingstante meiner Mutter. Weil Mama, die für sie wie eine Tochter war, schon vor zehn Jahren an Krebs gestorben ist, ging das Erbe an mich und meinen Bruder. Für uns kam das total überraschend. Auf einmal hatten wir ein Haus in Bayern. Von den 300.000 Euro aus dem Verkauf waren nach Steuern noch 100.000 Euro für jeden von uns übrig. Das war richtig viel Geld. Und es hat für mich sehr viele Fragezeichen und Stress weggewischt.

Ich habe damals Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Das hat zwar Spaß gemacht, war aber schlecht bezahlt und bot wenig Sicherheit. Nebenbei habe ich versucht, zu schreiben. Ich will Geschichten schreiben, seit ich richtig lesen kann. Aber neben dem Job blieb wenig Zeit und wenig Energie. Als ich geerbt habe, war mir deshalb schnell klar: Das ist die Chance, aus dem Hamsterrad rauszukommen.

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Ich habe meinen Job aufgegeben und eineinhalb Jahre nur gemacht, was mich interessiert. Vormittags habe ich geschrieben, nachmittags habe ich Programmierkurse besucht. Und Türkisch gelernt, und Urlaub gemacht habe ich auch. Die Hälfte des Erbes habe ich auf diese Art ‚runtergelebt‘. Die andere Hälfte des Geldes habe ich in ETFs investiert. Auch das ist ein gutes Gefühl. Plötzlich kann man ruhiger schlafen, ein existenzieller Druck ist weg.

Ich hatte Glück; es ist reiner Zufall, dass ich die Gelegenheit hatte, das zu machen. In Deutschland wird so viel vererbt – ich fände es gut, wenn man ein Stück von diesem großen Erbe-Kuchen abschneidet und dafür sorgt, dass jeder junge Mensch so eine Chance kriegt. Ich bin mir sicher, dass die Leute etwas Sinnvolles damit machen würden. Vermögen sind extrem unfair verteilt, und Erbe verstärkt das über Generationen hinweg. Da umzuverteilen, ist einer der großen politischen Hebel, um eine fairere Gesellschaft zu schaffen.

Dass ich in der Zeit programmieren gelernt habe, ist jetzt übrigens auch die Basis für meinen neuen Job: Seit ein paar Wochen bin ich Trainee, um Data Analyst zu werden. Ich schreibe auch immer noch. Aber ich merke schon: Neben dem Job ist das wieder schwieriger.“

Christina Seiffert*, 54, ist mit Familie in ein geerbtes Haus gezogen

„Anfang des Monats sind wir – mein Mann, unsere drei Kinder und ich – von Fürstenfeldbruck in ein Haus in Kempten gezogen, das wir von den Eltern meines Mannes geerbt haben. Im Mai 2023 ist meine Schwiegermutter gestorben. Mein Schwiegervater hat dann noch kurze Zeit allein im Haus gewohnt, ist dann allerdings in ein betreutes Wohnen gezogen.

Christina Seiffert ist in das Haus ihrer Schwiegereltern gezogen. Eigentum zu besitzen, sagt sie, schenke ihr eine andere Art von Sicherheit.
Christina Seiffert ist in das Haus ihrer Schwiegereltern gezogen. Eigentum zu besitzen, sagt sie, schenke ihr eine andere Art von Sicherheit. © Getty Images | sommart

Im gleichen Zeitraum hat sich mein Mann beruflich neu orientiert und schließlich ein Jobangebot in Kempten bekommen. Da das für uns dann natürlich sehr gut gepasst hat, haben wir beschlossen, selbst in das Haus einzuziehen. Es war auch ein Wunsch meines Mannes und meines Schwiegervaters, dass das Haus in der Familie bleibt. Für mich persönlich war die Entscheidung aber gar nicht so leicht, weil ich in Fürstenfeldbruck Wurzeln geschlagen hatte.

Der Wert der Immobilie wurde auf 300.000 Euro geschätzt. Bisher gehört uns tatsächlich nur ein Teil des Hauses. Das ist der Teil, den mein Mann von seiner Mutter geerbt hat. Er hat zwei Schwestern, die ebenfalls einen Teil bekommen haben. Mein Schwiegervater will seinen Kindern allerdings jetzt das gesamte Haus überschreiben, sodass uns dann ein Drittel gehört.

Am Anfang habe ich mir schon Sorgen gemacht, wie das mit meinen Schwägerinnen wird. Wir wollten natürlich nicht, dass es zu einem Erbstreit kommt. Aber die Schwestern meines Manns haben kein Interesse daran, in das Haus zu ziehen und wir haben uns jetzt so mit ihnen geeinigt, dass wir die beiden über die nächsten zehn Jahre hinweg ausbezahlen, sodass uns irgendwann das gesamte Haus gehören wird. Bisher haben wir überall nur zur Miete gewohnt.

Dass wir jetzt in einem Haus leben, das unser Eigentum ist, beziehungsweise sein wird, gibt uns schon eine ganz andere Art von Sicherheit. Gleichzeitig hätten wir das Erbe aber nicht gebraucht. Uns geht es finanziell gut. Deswegen empfinden wir das schon als sehr großes Privileg. Wir haben nichts dafür getan, dass wir das Haus jetzt bekommen haben. Da habe ich schon oft ein schlechtes Gewissen anderen gegenüber, die bestimmt genauso viel geleistet haben in ihrem Leben, aber trotzdem kein Erbe bekommen.“

Daniel Boehme*, 27, hat vor zehn Jahren eine große Summe geerbt

„Ich habe relativ früh in meinem Leben geerbt. 2014 ist meine Tante bei einem Unfall gestorben. Ihr Tod war für uns alle ein echter Schock. Da sie keine Kinder hatte, ging ihr gesamtes Erbe an mich und meine Cousinen und Cousins. Das kam damals total überraschend für mich. Ich hatte mir vorher nie Gedanken darüber gemacht, was mal mit dem Vermögen meiner Tante passieren könnte. Rund ein Jahr später ist dann meine Mama an Krebs gestorben. Von ihr habe ich auch noch mal etwas Geld geerbt.

Insgesamt waren es rund 1,5 Millionen Euro. Der Großteil kam allerdings von meiner Tante, die ein eigenes Unternehmen geführt hat. Das Ding mit dem Geld ist aber: Ich habe es nur, weil ich zwei Menschen verloren habe. Vor allem der Tod meiner Mama hat mich extrem mitgenommen. Wenn ich könnte, würde ich das Geld sofort wieder gegen die Personen tauschen.

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Am Anfang hat sich alles total surreal angefühlt. Man fragt sich natürlich: Was bedeutet das jetzt, so viel Geld zu haben? Als meine Tante gestorben ist, war ich 17 Jahre alt. Plötzlich musste ich zu Terminen mit Anwälten gehen oder mich mit Miet- und Steuerrecht auseinandersetzen. Ich hatte ganz andere Themen als meine Freunde. Das macht natürlich etwas mit einem. Und dann kam auch noch die Krankheit meiner Mama. Ich habe mich damals oft wie ein Alien gefühlt.

Es hat lange gedauert, bis ich das alles verarbeitet hatte. Ich habe immer noch das Gefühl, dass das gar nicht mein Geld ist, sondern das Geld meiner Familie. Deswegen will ich das auch nicht einfach für irgendwelche Dinge ausgeben. Der Großteil des Geldes ist in Immobilien oder Aktien angelegt. Das war schon so, als ich es geerbt habe. 2017 habe ich mir außerdem eine weitere Wohnung gekauft. Durch die monatlichen Einnahmen aus den Mieten müsste ich wahrscheinlich gar nicht unbedingt arbeiten. Aber ich will es trotzdem. Durch das Geld bin ich allerdings entspannter, was Gehalt angeht. Vor vier Jahren habe ich ein Start-Up gegründet, da habe ich am Anfang natürlich nicht so viel verdient.

Ein Luxusleben habe ich trotz des Geldes nicht. Es würde sich falsch anfühlen, es einfach auszugeben. Das Geld gibt mir aber natürlich eine krasse Sicherheit im Leben. Mein Plan ist es, das Erbe zu erhalten, im besten Fall zu vermehren, und dann irgendwann weiterzugeben.

In Diskussionen über Erbschaften gibt es ja immer die einen, die Erben grundsätzlich ungerecht finden, und die anderen, die es als ungerecht empfinden, dass man auf Erbe überhaupt Steuer zahlen muss. Ich glaube, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Natürlich ist es so, dass ich an sich keine Leistung erbracht habe, um dieses Geld zu verdienen. Aber jeder sollte entscheiden dürfen, wer nach dem Tod sein Eigentum bekommt. Das Erbschaftssystem in Deutschland findet hierfür meiner Meinung nach einen guten Kompromiss.“

*Die Namen der Protagonisten wurden auf ihren Wunsch hin geändert. Die echten Namen sind der Redaktion bekannt.