Berlin.. Putin kann unnahbar wirken, aber er hat auch witzige Seiten, sagt Körpersprache-Experte Stefan Verra – und nennt eine typische Haltung.
Wladimir Putin inszeniert sich gern als undurchschaubar, gibt Rätsel auf und droht – Russland könne jederzeit Atomwaffen einsetzen. Doch was für Betrachterinnen und Beobachter im Westen verunsichernd sein mag, kann auf die Menschen in Russland eine ganz andere Wirkung haben. Der österreichische Körpersprache-Experte Stefan Verra beobachtet Putin schon seit Jahren. Er sagt, was der Kremlherrscher mit Angela Merkel und Olaf Scholz gemeinsam hat – und was für den 71-Jährigen typisch ist.
Herr Verra, wenn Sie Wladimir Putin in Videos und im Fernsehen anschauen, wie wirkt der Präsident auf Sie?
Stefan Verra: Er wirkt, als wäre er ein etwas zurückhaltender Mann, der sich scheinbar im Hintergrund wohler fühlt als auf offener großer Bühne. Der Punkt ist allerdings, dass die Körpersprache von jedem Menschen so eingeordnet wird, wie die emotionalen Bedürfnisse gerade sind. Somit zählt meine persönliche Meinung weniger als die neutrale Deutung seiner Signale.
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Welche Signale sendet er konkret aus?
Wladimir Putin hatte schon immer eine niederfrequente Körpersprache. Das bedeutet: Seine Bewegungen sind eher langsam. Salopp gesprochen, ist er kein Temperamentsbolzen. Diese Frequenz ist die erste Kenngröße, wenn es um die Analyse der Körpersprache geht.
Zur Person
Stefan Verra ist einer der gefragtesten Körpersprache-Experten. Zu seinen Auftraggebern zählen die Nato, US Navy sowie Unternehmen und Organisationen. Verra schreibt Bücher und gibt Körpersprache-Tipps in den sozialen Netzwerken.
Inwiefern hat sich seine Körpersprache verändert?
Sie ist über die Jahre noch niederfrequenter geworden. Das ist aber etwas ganz Natürliches, denn er ist inzwischen um Jahrzehnte älter. Das Temperamentvolle, das Kinder noch haben, das verlieren wir und wirken plötzlich alt, weil wir uns eben nur mehr langsam bewegen.
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Was haben Sie noch beobachtet?
Die zweite wichtige Kenngröße in meinem Feld ist die Amplitude, also der Umfang der Bewegungen. Man muss schon sagen, ein bisschen ähnelt Putin in dem Punkt Angela Merkel und Olaf Scholz – nicht politisch, nur körpersprachlich. Bei keinem der drei sehen wir besonders große Bewegungen.
Das heißt aber nicht, dass sie sich gut aufeinander einstellen können.
Genau, das hat damit überhaupt nichts zu tun. Viele denken, nur weil Menschen sich ähnlich sind, würden sie sich gut miteinander verstehen. Wir fühlen uns mit denen wohl, die das signalisieren, was wir gerade wollen. Und viele Russinnen und Russen wollen offensichtlich einen kühlen Strategen sehen. Das signalisiert Putin ziemlich gut.
Name | Wladimir Wladimirowitsch Putin |
Geburtsdatum | 7. Oktober 1952 |
Geburtsort | Sankt Petersburg |
Amt | Präsident der Russischen Föderation |
Im Amt seit | 2000 (Unterbrechung von 2008 bis 2012) |
Familienstand | Geschieden, mindestens zwei Kinder |
Größe | ca. 1,70 Meter |
Zurück zur Amplitude: Es kursieren Gerüchte, wonach Putin wegen übermäßigen Botox-Einsatzes im Gesicht kaum noch über Gesichtsregungen verfüge…
Ja, das hört man oft – auch, dass er keine Mimik habe. Das ist natürlich Quatsch. Stimmt schon, Augen und Mundwinkel sind bei ihm nicht so stark in Bewegung. Aber auch da gilt: Er ist älter geworden. Denken wir an die Bilder aus den 90er-Jahren: Da starrt er sein Gegenüber auch regungslos an. Diese Seite hat er also auch. Heutzutage löst er mit seiner Mimik immer noch Gefühle aus. Daher kommt wohl auch der KGB-Mythos, der ihn umgibt. Diese unbewegte Mimik passt einfach gut ins Bild eines Geheimdienstes. Manchmal heißt es, er sei vom KGB in seiner Körpersprache trainiert worden. Das ist aber der falsche Erkläransatz: Putin hat sich eben deshalb beim KGB durchgesetzt, weil er so eine reduzierte Körpersprache hat. Bei Berufsgruppen wie dem Militär, der Polizei, aber auch in der Medizin ist Stabilität in der Mimik besonders wichtig.
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Viele Menschen halten diese minimalistische Mimik für unnahbar…
Verständlich. Aber sie vermittelt auch Stabilität. Putin führt seit über zwei Jahren Krieg, und in der Bevölkerung macht sich Verunsicherung breit. Wenn jemand als Spitze des Staates bei jeder Ansprache relativ ruhig ist, signalisiert das den Bürgerinnen und Bürgern: Wir haben hier alles unter Kontrolle. Die stabile Mimik kann man also positiv einordnen. Zugleich kann man sie als verschlagen werten.
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Sendet Putin mit seiner Mimik bestimmte Signale bewusst aus?
Die Körpersprache passiert größtenteils vorbewusst. Das heißt, sie kommt nicht im Bewusstsein an. Der Großteil der Körpersprache ist bei jedem Menschen eine Kombination aus angeborenem Temperament und angewöhnten Routinen. Zu glauben, dass ein Spitzenpolitiker seine Körpersprache immer bewusst steuert, ist also Nonsens. Was Wladimir Putin aber zusehends macht, ist: Er verringert seine Breite in der Kommunikation.
Was bedeutet das?
Jeder Politiker, der sehr viele Menschen erreichen will, ist darauf angewiesen, dass er verschiedenen emotionalen Bedürfnissen Anknüpfungspunkte gibt. Das heißt, wenn Putin sich in Russland tatsächlich freien Wahlen stellen müsste, dann wäre er öfter mal lustig. Er würde viel öfter auf die Menschen zugehen, vielleicht auch mal lauthals lachen. Damit würde er die Menschen ansprechen, die sich nach Leichtigkeit sehnen. Je näher es in Deutschland etwa auf Wahlen zugeht, desto mehr versuchen Politiker, sich verschiedenen Gruppen anzunähern. Es gibt Politiker, die dafür eher untalentiert sind. Olaf Scholz zählt dazu, Angela Merkel auch.
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Putin kriegt das auch nicht hin?
Nein, er ist sehr eindimensional in seiner Wirkung. Im Mai hat er den „Tag des Sieges“ über Nazi-Deutschland mit einer großen Parade gefeiert. Er geht da also durchs Publikum, die Leute jubeln ihm zu. Aber Putin ist keine Rampensau. Er schafft es nicht, sich den Menschen zuzuwenden oder mal zu winken. Stattdessen schaut er einmal kurz zur Seite, dahin, wo die Zuschauer stehen – und wendet sich dann wieder seinen Vertrauten zu. Dabei hätte er auf diesen wenigen Metern wahnsinnig viele Menschen für sich einnehmen, Zugänglichkeit und Bindung zeigen können. Schließlich wurde das landesweit live übertragen.
Ist das einfach seine Art?
Manche haben ihm schon nachgesagt, er sei schüchtern oder habe Komplexe. Das ist aber eine unseriöse Ferndiagnose. Nichtsdestotrotz: Die Wirkung zählt! Es wirkt so, als wolle er nicht einmal seiner Bevölkerung nahe sein. Hinzu kommt: Er ist kein großer Redner. Ich habe ihn schon Reden halten sehen, wo er einfach alles runterliest. Und zwar aus einfachen Ringblöcken, in denen er Wörter unterstreicht, die er betonen will. Fast wie ein Schuljunge. Nur: Es ist ihm offenbar nicht wichtig, die Körpersprache gewinnender einzusetzen. Er bemüht sich aufgrund der Wahlumstände offenbar nicht einmal darum, das große Publikum hinter sich zu versammeln.
Sie meinen die gefälschten Wahlen in Russland.
Ja, die Wahlen sind nicht frei und demokratisch, er muss niemanden von sich überzeugen. Würde er seine Körpersprache ganz bewusst einsetzen, wäre es ein Leichtes für ihn, bei seinen großen Reden Enthusiasmus zu erzeugen. Dafür müsste man nicht einmal ein Temperamentbündel sein. Putin ist erfolgreicher, wenn er seine Gegner einfach stillstellt.
Deuten Deutsche manche Gesten aus kulturellen Gründen anders als Russinnen und Russen?
Grundsätzlich deuten wir Körpersprache universell. Das ist gut erforscht. Es gibt aber schon Unterschiede zu Deutschland. Oft heißt es, im Osten sei die Körpersprache martialischer. Dabei hat das weniger mit Russland als vielmehr mit wirtschaftlicher Entwicklung zu tun: Immer weniger Menschen müssen ihre Arbeit mit körperlicher Kraft verrichten.
Was schließen Sie daraus?
Wir leben in einer völlig entkoppelten Welt, was die körperliche Kraft anbelangt. Signale, die viel Machogehabe zeigen, verlieren an Bedeutung. Männer, die martialisch auftreten, bekommen zusehends Probleme, Partnerinnen zu finden. In der russischen Landbevölkerung aber, wo körperliche Kraft weiterhin wichtig ist, kommt so ein betont maskulines Auftreten wie von Putin immer noch gut an. In gentrifizierten Gegenden wie Berlin oder San Francisco wird man damit wahrscheinlich weniger punkten.
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Angela Merkel ist für ihre Raute berühmt geworden. Was würden Sie als charakteristisch für Putin bezeichnen?
Wladimir Putin neigt den Kopf sehr oft nach vorne und schaut sein Gegenüber aus tiefen Augen heraus an, fast schon taxierend – ohne dabei etwas an seiner Mimik zu ändern. Das ist ein typisch männliches Signal, unter Frauen quasi nie zu sehen. Es kommt eigentlich aus der Tierwelt: Wenn Steinböcke aufeinander zu rennen, nehmen sie auch diese Haltung ein. Sie zeigen damit, ich bin bereit zum Angriff.
Wie hat dieser überdimensionierte weiße Konferenztisch auf Sie gewirkt, mit dem Putin in der Corona-Zeit bekannt geworden ist?
Damit hat Putin innerhalb von Sekunden die Medienhoheit bekommen. Er stellt einen Tisch hin, der ja völlig absurd ist, lässt einen Macron und einen Scholz weit entfernt sitzen – und alle reden nur noch über den Tisch und nicht über das, was eigentlich Thema war. Gleichzeitig ist es ein Dominanzsignal: Putin hat bestimmt, wie nah ihm jemand kommen darf. Der Tisch war außerdem etwas zu hoch, die Regierungschefs saßen wie Schulkinder da. Putin konnte sich entspannt zurücklehnen, auch wenn er selbst nicht sehr groß ist. Wenn die Situation nicht so ernst wäre, müsste man sagen: Das ist Politik mit einem Augenzwinkern.
Suchen sich Politikerinnen und Politiker Coaches, um ihre körpersprachliche Wirkung bewusster zu steuern?
Körpersprachlich wird sehr wenig geschult. Wir würden sonst mitreißendere, charismatischere Politiker sehen. Politiker legen eher Wert auf die Rhetorik. Jedes Wort wird fünfmal umgedreht. Dabei entsteht die Bindung nicht durch den Inhalt, sondern durch die Emotionen, die ein Mensch auslöst. Und die entstehen immer nonverbal.
Welche Gefühle können Sie bei Putins Auftritten erkennen?
Da kann nur jeder für sich interpretieren. Allerdings ist unsere Sicht sehr geprägt vom Ukraine-Krieg und Putins Nähe zu China. Wir dürfen nicht ausschließen, dass jemand anders bestimmte Signale Putins ganz anders wahrnimmt. Nehmen Sie auch Donald Trump: Für den Großteil der Deutschen ist nicht nachvollziehbar, warum er möglicherweise bald wieder Präsident wird. Menschen wählen Politiker aber aus emotionalen Beweggründen. Putin etwa hat den Russen nach den chaotischen Jelzin-Jahren Stabilität gebracht. Ob er das auf korrektem Wege gemacht hat oder viel Selbstbereicherung im Spiel war, ist an der Stelle nicht so wichtig – entscheidend ist das Gefühl, das er bei der Bevölkerung ausgelöst hat. Das müssen wir verstehen. In der politischen Kommunikation wird dieser Faktor immer unterschätzt. In den USA sind die Wahlen frei, und trotzdem steht Trump in den Umfragen gut da. Warum? Weil er den Leuten das Gefühl gibt: ich bin einer von und für euch. Seine unperfekte Körpersprache ist genau dafür perfekt.