Moskau. Es gibt noch Widerstand, doch das Ergebnis ist erwartet eindeutig. Die Wiederwahl zementiert Putins Macht. Und hat bittere Folgen.
Die „Wahlfarce“, wie die russische Opposition die Präsidentschaftswahl nennt, ist gelaufen. Die Zentrale Wahlkommission verkündete am Montagmorgen: Wladimir Putin habe die Wahl mit 87,34 Prozent der Stimmen gewonnen.
Die Wahlbeteiligung wurde mit mehr als 70 Prozent angegeben, dem höchsten Wert jemals bei einer russischen Präsidentenwahl. Bei der letzten Präsidentschaftswahl im Jahr 2018 hatte die Zahl bei 67,54 Prozent gelegen. Das Rekordergebnis soll zeigen: Ganz Russland steht hinter seinem Präsidenten.
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Der Wahlsieg war genau durchgeplant. Von der Wahlkommission wurden die erklärten Kriegsgegner Jekaterina Dunzowa und Boris Nadeschdin schon im Vorfeld der Wahl aus formalen Gründen abgelehnt. Putins drei Mitbewerber, der Kommunist Nikolai Charitonow, Leonid Sluzki von der nationalistischen Partei LDPR und der Liberale Wladislaw Dawankow, sind auf Linie des Kremls und waren chancenlos.
Molotow-Cocktail auf Wahllokal – Proteste in ganz Russland
Rentnerin Natascha hat bereits am Freitag, am ersten Tag der Wahl, abgestimmt. „Natürlich für Putin“, sagte sie unserer Redaktion. Vereinzelt gab es in den ersten beiden Tagen auch Protestaktionen. In Sankt Petersburg warf eine 21-Jährige einen Molotow-Cocktail auf die Veranda eines Wahllokals. Und in fünf Wahllokalen in Moskau, Woronesch, Rostow und Karatschai-Tscherkessien gossen Wähler grünliche Farbe in die Wahlurnen. Auch Cyber-Angriffe auf das Wahlsystem und die Computer der Regierungspartei „Einiges Russland“ hat es wohl gegeben.
Für den letzten Tag der Wahl hatte zudem das Team des verstorbenen Kremlkritikers Alexej Nawalny zu einer besonderen Aktion aufgerufen: „Mittag gegen Putin“. Punkt 12 Uhr sollten sich die Menschen in langen Schlangen vor den Wahllokalen versammeln und anschließend ihre Stimmzettel ungültig machen. „Ich glaube daran, dass das russische Volk heute eine Chance hat, seine Einstellung zu dem zu zeigen, was passiert“, kommentierte der nicht zur Wahl zugelassene Kandidat Boris Nadeschdin die Aktion. Tausende Menschen haben sich in Moskau und Sankt Petersburg an dem stillen Protest beteiligt.
Auch im äußersten Osten Russlands, in Wladiwostok, in Nowosibirsk, Omsk, Irkutsk und anderen sibirischen Städten waren viele Menschen mit dabei, wie das Nawalny-Team in einem Livestream bei Youtube zeigte. Bürgerrechtlern zufolge wurden Dutzende Menschen festgenommen. Insgesamt zählte die Organisation Ovd-Info bis Sonntagnachmittag landesweit über 60 Festnahmen – fast die Hälfte davon in der Stadt Kasan.
Angriffe pro-ukrainischer russischer Milizen auf die Grenzgebiete Belgorod und Kursk hielten den Kreml in Moskau in Atem. Präsident Putin werde ständig über die Angriffe informiert, sagte dessen Sprecher Dmitri Peskow am Samstag. In Belgorod wurden zwei Menschen durch Raketenbeschuss getötet. Russland meldete zudem am Sonntag den Abschuss von 35 ukrainischen Drohnen in acht Regionen – darunter auch im Moskauer Gebiet.
Russland: Berichte über Wahlfälschung direkt an der Urne
Schon vor der Wahl hatte die unabhängige Wahlbeobachtungsorganisation Golos Manipulation vor allem bei der Online-Abstimmung befürchtet. Eine ganz klassische Methode der Wahlfälschung wurde in Krasnodar im Süden Russlands beobachtet: Ein Mitglied einer Wahlkommission warf zahlreiche ausgefüllte Stimmzettel in die Urne ein. Laut dem Onlineportal „Meduza“ erhielten kritisch eingestellte Wählerinnen und Wähler Warnungen auf ihre Handys.
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„Meduza“ veröffentlichte Screenshots aus Moskau, auf denen Sätze zu lesen waren wie: „Unabhängig davon, dass du Ideen extremistischer Organisationen unterstützt, freuen wir uns, dass du in Moskau wählen wirst.“ Die Empfänger sollten „ruhig“ an der Wahl teilnehmen – „ohne Warteschlangen und Provokationen“. Wer hinter den Nachrichten, verschickt über Telegram und Signal, steckt, ist nicht bekannt. Auch nicht, wie die Empfänger ausgewählt wurden.
Trotz aller Proteste und möglicher Manipulationen: Der alte Präsident ist auch der neue. Mit möglichen zwei weiteren Amtszeiten könnte Putin bis 2036 im Amt sein. Er wäre dann der am längsten amtierende Staatschef Russlands – seit Katharina der Großen im 18. Jahrhundert. Doch was wird sich ändern in Russland?
Politologin: „Krieg fängt an, Putin seine Regeln zu diktieren“
Sicher ist, Putin wird den Weg in Richtung einer Sowjetunion 2.0 weiter gehen. Mit einem neuen Geschichtsbild und Militärunterricht an den Schulen. Mit Unterdrückung der Opposition und Diskriminierung von Minderheiten wie Schwulen und Lesben. Aber, sagt die Politologin Tatjana Stanowaja, „der Krieg fängt an, Putin seine eigenen Regeln zu diktieren. Der Präsident und sein engster Kreis sind gezwungen, sich der neuen Kriegsrealität zu unterwerfen, die sie selbst geschaffen haben.“
Der Krieg in der Ukraine wird weitergehen, die besetzten Gebiete wird Putin nicht räumen. Soldaten und Munition hat Russland genug, die Rüstungsindustrie läuft auf Hochtouren. Aber das alles kostet Geld. Viel Geld, das an anderer Stelle fehlt. In diesem Winter versagten in vielen Orten in Russland die Heizungen, Warmwasserrohre platzten. Dringend müsste saniert werden, dafür muss Geld her. Der Unmut unter der Bevölkerung wächst.
Dann sind da noch die Kriegsheimkehrer, viele schwer verletzt. „Es ist kein Zufall, dass einige von Putins ersten Terminen im Jahr 2024 darin bestanden, verwundete Soldaten in einem Krankenhaus zu besuchen und sich mit den Familien von Militärangehörigen zu treffen“, sagt Stanowaja. Die Unterstützung der Kriegsversehrten, auch das kostet Geld.
Was kommt nach der Wahl? Waschmaschinen aus China
Putin will Russland zur Großmacht mit weltpolitischer Bedeutung umgestalten. Dabei muss er die Fehler vermeiden, die letztendlich zum Zusammenbruch der damaligen Sowjetunion geführt haben. Sprich: Die Wirtschaft muss florieren. Nicht nur die Rüstungswirtschaft, auch die Konsumgüterindustrie. „Es scheint, dass Putin die endgültige Entscheidung getroffen hat, die Wirtschaft mit Liquidität zu versorgen, anstatt die Inflation einzudämmen“, sagt der Politologe Igor Gretskiy, der bis Frühjahr 2022 Professor an Universität Sankt Petersburg war. „Es wird ein Wirtschaftswachstum geben, das sich über das ganze Land ausbreiten und die Unterstützung sowohl für den Krieg als auch für Putin festigen wird.“
Vor der Wahl gibt es Geschenke, nach der Wahl kommt dann das Unbequeme. In Russland werden wohl die Steuern erhöht werden, das hat der Präsident schon angekündigt. Und die Menschen werden sich daran gewöhnen müssen, dass ihre Autos und Waschmaschinen in Zukunft aus China kommen werden. Politischer Protest und Meinungsvielfalt dürften in Zukunft noch stärker unterdrückt werden. Mancher wird darüber nachdenken, Russland für immer zu verlassen.
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