Berlin. Angesichts des russischen Vormarsches gibt es Vorschläge, wie die Nato Kiew unterstützen kann – doch einige bergen enorme Risiken.

Die ukrainischen Truppen sind im Donbass schwer unter Druck. Jetzt gibt es Vorschläge, die militärische Hilfe der Nato-Länder massiv auszuweiten. Würde das Bündnis damit zur Kriegspartei? Ein Überblick über die Chancen und Risiken.

Vorschlag 1: Mit westlichen Waffen Ziele in Russland angreifen

Angesichts der wiederholten russischen Angriffe gegen ukrainische Städte fordert der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter (Grüne): Die Ukraine soll mit westlichen Waffen auch russisches Territorium angreifen dürfen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wies den Vorschlag bei einem „Bürgerdialog“ am Sonntag strikt zurück. Das Ziel seiner Ukraine-Politik sei die „Verhinderung, dass da ein ganz großer Krieg draus wird“.

Chancen: Mit westlichen Kurzstreckenraketen könnten Ziele in Russland getroffen werden, von denen aus die Ukraine angegriffen wird: Raketenabschussbasen, Artilleriestellungen oder Kampfjets. Würde der Westen das erlauben, müsste das russische Militär seine Angriffswaffen weiter ins Landesinnere verlegen. 

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Infrage kämen hierfür vor allem amerikanische ATACMS-Raketen, die je nach Typ eine Reichweite von 160 beziehungsweise 300 Kilometern haben. Auch die britisch-französischen Marschflugkörper Storm Shadow beziehungsweise Scalp, die auf eine Reichweite von bis zu 250 Kilometern kommen, wären dafür geeignet. Das größte Interesse haben die Ukrainer allerdings am Taurus-Marschflugkörper der Bundeswehr, der über eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern verfügt. Kanzler Scholz ist allerdings strikt gegen die Taurus-Lieferung.

Risiken: Kremlchef Wladimir Putin hat den Westen davor gewarnt, dass er automatisch zur Kriegspartei werde, wenn Waffen aus seinem Arsenal gegen Ziele in Russland eingesetzt würden. Er drohte mit schwerwiegenden Konsequenzen. Aber würde Putin ernsthaft Nato-Länder angreifen? Oder schwingt der russische Präsident die monumentale Verbalkeule, wie er es mit seinen wiederkehrenden Drohungen vom Einsatz atomarer Kurzstreckenraketen tut? Vieles spricht dafür, dass Putin vor allem auf die Einschüchterung der Öffentlichkeit im Westen abzielt und Gefahren durchaus nüchtern abwägt. Aber es bleibt ein Restrisiko. 

Vorschlag 2: Nato-Staaten installieren Flugabwehr für Westukraine

Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter macht sich dafür stark, dass westliche Staaten die Flugabwehr über der Westukraine übernehmen. Nato-Länder wie Polen oder Rumänien könnten die eigene Flugabwehr in einem Korridor von 70 bis 100 Kilometern ausdehnen.

CDU-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter
Roderich Kiesewetter (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, will, dass die Flugabwehr von der Nato übernommen wird. © DPA Images | Monika Skolimowska

Chancen: Durch den westlichen Luftabwehrschirm würde die Ukraine entlastet. Sie könnte sich auf die Luftverteidigung im stark unter Beschuss stehenden Osten des Landes konzentrieren. Dort sind die Lücken im Luftabwehrschirm besonders groß.

Risiken: Auch wenn das westliche Bündnis für Putin bereits heute Kriegspartei ist: Durch die Einrichtung eines Nato-Luftabwehrschildes für die Westukraine würde die Allianz noch mehr in den Ukraine-Krieg involviert. Es würde im Ernstfall bedeuten, dass westliche Flugabwehrsysteme von Nato-Territorium aus russische Raketen über der Westukraine abschießen. Das Risiko einer Eskalation steigt – auch wenn Putin derzeit kein Interesse an einer großen Konfrontation mit der Nato haben dürfte.

Vorschlag 3: Entsendung von Nato-Bodentruppen in die Ukraine

Der französische Präsident Emmanuel Macron schließt den Einsatz von Nato-Bodentruppen in der Ukraine nicht aus. Im Bündnis wurde dies auf breiter Front zurückgewiesen, auch von Kanzler Scholz. Kiesewetter stellt sich nun hinter den Macron-Vorstoß und fordert eine „Koalition der Willigen“.

Ist gerade in Deutschland, hat aber auch hierzulande nicht viele Befürworter seiner Idee von Bodentruppen für die Ukraine: Emmanuel Macron.
Ist gerade in Deutschland, hat aber auch hierzulande nicht viele Befürworter seiner Idee von Bodentruppen für die Ukraine: Emmanuel Macron. © AFP | Jens Schlueter

Chancen: Macrons Vorschlag ist keine Option für den Moment. Er ist ein Element der von Frankreich verfolgten Abschreckungspolitik der „strategischen Ambiguität“ – der Gegner soll im Unklaren gelassen werden, welche Mittel man anwendet. Konkret: Putin soll mit der Androhung eines potenziellen Nato-Truppeneinsatzes davon abgehalten werden, in der Ukraine einen Durchmarsch auf breiter Front vorzunehmen.

Risiken: Macrons Strategie kann nur aufgehen, wenn alle Nato-Länder hinter ihr stehen. Da dies nicht der Fall ist, hat sie nur einen Papiertiger-Effekt. Ein tatsächlicher Einsatz von Nato-Bodentruppen in der Ukraine würde Krieg zwischen dem westlichen Bündnis und Russland bedeuten. Daran ist niemand in der Allianz interessiert.