Berlin. Experten fordern eine Reform der Abtreibungsregeln. Die Regierung zögert – sie fürchtet eine Spaltung der Gesellschaft. Das ist bitter.

Der 15. April 2024 war ein historischer Tag: Exakt um 13 Uhr traten drei Ampel-Minister in Berlin vor die Kameras und waren sich ausnahmsweise mal einig. Nicht in der Sache, soweit reichte die Einigkeit nicht. Einig waren sich Karl Lauterbach (SPD), Marco Buschmann (FDP) und Lisa Paus (Grüne) aber in der gemeinsamen Sorge: dass Deutschland eine neue Mega-Debatte drohen könnte, die das Zeug hat, die Gesellschaft zu spalten. Eine Debatte über die Frage, ob Abtreibung in Deutschland grundsätzlich erlaubt sein sollte – oder wie bisher unter strengen Auflagen allenfalls straffrei bleibt. Kurz: ob Paragraf 218 reformiert werden muss oder nicht.

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Paragraf 218: Experten empfehlen Legalisierung zumindest in den ersten 12 Schwangerschaftswochen

Experten empfehlen eine solche Reform. Eine Regierungskommission hat bereits einen konkreten, klugen Vorschlag gemacht, der das Recht der Frauen und den Lebensschutz des Ungeborenen neu abwägt: Auf dem Tisch liegt jetzt die Idee für eine Legalisierung zumindest in den ersten 12 Schwangerschaftswochen. Doch die Ampelleute, die mal als gesellschaftliche Liberalisierer angetreten waren, wollen sich an dem Thema auf den letzten Metern ihrer Regierungszeit nicht noch die Finger verbrennen.

Politik-Korrespondentin Julia Emmrich
Politik-Korrespondentin Julia Emmrich © Anja Bleyl | Anja Bleyl

Sicher, die Sorge, dass der Streit um Paragraf 218 das Land aufwühlt, ist berechtigt. Doch wo sind wir gelandet, wenn Debatten aus Angst vor Spaltung nicht mehr geführt werden? Genau. Im Jahr 2024. Und damit in einer Zeit, wo es tatsächlich schwer geworden ist, mit kühlem Kopf ethische Grundsatzdebatten zu führen. Doch gerade deshalb sollte man es tun.

Hintergrund: Die FDP stellt sich quer - Werden Abtreibungen doch nicht legal?

Die Ampel aber hat keine Kraft mehr dafür. Oder, freundlicher gesagt: SPD, Grüne und FDP brauchen ihre verbliebene Energie dafür, Deutschland krisenfest zu machen, einen Haushalt für das nächste Jahr zusammenzusparen und bei den anstehenden Wahlen im Juni und September nicht komplett abzuschmieren. In einer solchen Lage würde jeder Coach davon abraten, sich ohne Not noch in neue Kämpfe zu verstricken. Zumal in der Wahrnehmung vieler Deutscher die jetzige 218-Regelung schon ein guter Kompromiss ist.

Der Bundeskanzler jedenfalls hat wenig Interesse an neuem Streit: Es gebe bei dem Thema ein großes Potenzial zur Polarisierung, glaubt Olaf Scholz. Mit anderen Worten: Vorsicht, Leute! Seine grüne Familienministerin dürfte ohnedies mit ihren verunglückten Plänen zur Kindergrundsicherung so viel zu tun haben, dass sie nicht zwingend auch für eine Abtreibungsreform in den Ring steigen will. Die FDP schließlich warnt vor einem Nein des Verfassungsgerichts zu einer weiteren Liberalisierung. Auszuschließen ist das nicht. Bei etwas mehr Ehrgeiz für die Sache wäre es aber einen Versuch wert gewesen.

Abtreibung: Die Reform liegt auf Eis

Mehr als einen Monat nach dem denkwürdigen Auftritt der drei Minister zeichnet sich nun klar ab, dass die Reform des Paragrafen 218 auf Eis gelegt wird. Die Koalition wird kurzfristig keinen eigenen Gesetzentwurf liefern. Und ob das Parlament ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl den Anlauf für eine fraktionsübergreifende Reformdebatte nimmt, ist höchst fraglich.

So erklärbar das alles ist, so bitter ist es auch. Wichtig wäre es deswegen jetzt, dass zumindest die Lage für Schwangere in Not kurzfristig besser wird. In Deutschland gibt es aktuell zu wenige Angebote für Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch planen, mahnen Experten. Mindestens hier MUSS die Ampel handeln: Die Möglichkeit, die Schwangerschaft zu beenden, darf nicht davon abhängen, wo jemand lebt.