Berlin. Erfolgreich auch ohne Studium: Für junge Menschen passte das lange nicht zusammen. Doch ein Zimmerer aus Berlin beweist das Gegenteil.
Die Erkenntnis, dass ein Studium einfach nichts für ihn ist, kam Camillo Weber im Hörsaal. „Ich saß in der Vorlesung und wusste plötzlich: Ich packe das nicht. Das ist nicht mein Weg, hier zu sitzen und theoretische Inhalte zu lernen“, erinnert sich der 25-Jährige. Weber hatte nach seinem Abitur ein Physik-Studium in Berlin angefangen – obwohl er ursprünglich gar nicht an eine Universität wollte. „Eigentlich bin ich mit dem festen Vorhaben aus dem Abi herausgegangen, nicht zu studieren. Aber nach einem Jahr reisen und arbeiten habe ich mich dann doch dafür entschieden“, sagt er.
Auch, weil es der Weg gewesen sei, den alle in seinem Umfeld eingeschlagen hätten. „Ein Studium war einfach die naheliegendste und vielleicht auch bequemste Option“, erzählt Weber. Doch schon nach wenigen Monaten stellte er dann fest, dass das Lernen an der Universität nichts für ihn war – und beschloss, eine Ausbildung zu machen. „Mir war klar, dass ich irgendwas mit Holz machen möchte, weil mich das schon immer interessiert hat“, sagt er. Zuerst habe er über Tischler nachgedacht, doch dann sei er auf Zimmerer gekommen. Nach kurzer Suche fand er schließlich einen Ausbildungsplatz in Bayern – bei einer kleinen ökologischen Zimmerei südlich von München.
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Der 25-Jährige ist kein Einzelfall. Immer mehr Abiturientinnen und Abiturienten entscheiden sich für eine Ausbildung. Das zeigt eine Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS), die im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellt und im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde. Demnach ist die Zahl der Auszubildenden mit Abitur im dualen Ausbildungssystem in den vergangenen zehn Jahren von 35 Prozent im Jahr 2011 auf 47,4 Prozent im Jahr 2021 angestiegen.
Nach dem Abi ins Handwerk: „Ich habe mich nützlich gefühlt“
Es ist eine Entwicklung, die zunächst scheinbar gegen den Trend läuft. Oftmals ist in Deutschland von einer drohenden „Über-Akademisierung“ die Rede, weil immer mehr junge Menschen ein Studium anfangen, und von unbesetzten Ausbildungsstellen. Richtig ist: Die Gesamtzahl der neuen Ausbildungsverträge geht seit 15 Jahren zurück. Eine Wende bringen auch Azubis mit Abitur nicht. Gleichzeitig wird eine Ausbildung für Abiturienten dennoch immer attraktiver.
Dass die Gesamtzahl der Azubis mit Abitur steigt, liegt auch daran, dass es insgesamt mehr Studienberechtigte gibt – allerdings nicht nur. „Wir sehen hier einen Strukturwandel innerhalb des Ausbildungssystems, der über die demografischen Entwicklungen hinausgeht“, erläutert Studienautor und Bildungsexperte Dieter Dohmen. Das zeigt sich auch in den relativen Zahlen: Setzt man die Gesamtzahl der Studienberechtigten mit denen ins Verhältnis, die eine Ausbildung beginnen, hat sich der Ausbildungsanteil in den vergangenen 15 Jahren von 25 auf 36 Prozent erhöht.
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Die Ursachen dafür seien unterschiedlich, sagt Dohmen: „Ein Grund ist sicherlich, dass man sich in den vergangenen Jahren stark darauf fokussiert hat, Abiturienten ins Ausbildungssystem zu bringen.“ Hinzu komme, dass mit steigenden Anforderungen in bestimmten Berufen auch der Druck wachse, besser qualifizierte Jugendliche einzustellen.
Ausbildung statt Studium: „Studieren, um studiert zu haben“
Für Weber war nach seinem Wechsel schnell klar, dass seine Entscheidung richtig war. „Ich habe meine Ausbildung angefangen und habe direkt gemerkt, dass das einfach passt“, sagt der 25-Jährige. Das habe auch an seinem jungen Chef und vielen Kolleginnen und Kollegen in seinem Alter gelegen.
„Die Menschen im Betrieb waren ein bisschen wie meine Familie“, sagt er. Einer der größten Vorteile der Ausbildung sei für ihn die finanzielle Unabhängigkeit gewesen. Hinzu komme die Selbstwirksamkeit: „In der Ausbildung habe ich mich nützlich gefühlt und in allem, was ich gemacht habe, einen Sinn gesehen. Das hatte ich im Studium nicht.“
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Für Florian Limmer stand hingegen schon während des Abiturs fest, dass er eine Ausbildung machen wollte. Zum Zeitpunkt der Prüfungen hatte der 21-Jährige seinen Vertrag für die Ausbildung als Veranstaltungstechniker an einem Münchner Theater bereits in der Tasche. „Ich bin über eine Schul-AG in die Veranstaltungstechnik reingekommen und wusste deswegen schon früh, dass ich das auch in meinem Berufsleben machen möchte“, erzählt der Münchner. Der beste Weg, um in den Beruf zu kommen, sei dann die Ausbildung gewesen. Er habe auch über ein Studium nachgedacht, sagt er, aber für seinen Job hätte es einfach keinen Sinn gemacht: „Am Ende hätte ich nur studiert, um studiert zu haben.“
Auch, ob das theoretische Lernen im Studium überhaupt etwas für ihn gewesen wäre, da ist sich der 21-Jährige nicht sicher: „Das praktische Arbeiten liegt mir deutlich besser.“ Gerade deswegen habe ihn das Konzept der dualen Ausbildung überzeugt – also Theorie zu lernen, die dann direkt in der Praxis angewendet werden kann. „Ich hätte mir allerdings gewünscht, in der Berufsschule mehr Theorie zu lernen“, sagt er. Oft habe er das Gefühl gehabt, dass die Lehrenden unmotiviert waren und nicht wirklich Interesse daran hatten, den Berufsschülerinnen und -schülern Wissen zu vermitteln.
Verdrängen Auszubildende mit Abitur andere Jugendliche?
In seinem Freundeskreis ist Limmer fast der Einzige, der sich für eine Ausbildung entschieden hat. Für seinen Weg habe er dennoch fast ausschließlich Unterstützung bekommen. „Die meisten haben gesagt: Mach das, das passt perfekt zu dir.“ Er würde sich wünschen, dass eine Ausbildung als Option nach dem Abi stärker thematisiert wird, sagt er. „Wenn es am Gymnasium um Berufsberatung geht, dann wird fast nur darüber gesprochen, wie und was man studieren könnte. Die Frage, ob man überhaupt studieren möchte, kommt eigentlich gar nicht vor.“
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Experte Dohmen hält die wachsende Zahl der Azubis mit Abitur grundsätzlich nicht für eine verkehrte Entwicklung. Er fügt allerdings hinzu: „Das darf nicht dazu führen, dass andere Jugendliche weniger Chancen auf einen Ausbildungsplatz haben.“ Denn auch das ist ein Ergebnis der Studie: Während die Zahl der Azubis mit Abitur steigt, machen immer weniger Jugendliche mit Hauptschulabschluss eine Ausbildung. Ob es einen Verdrängungseffekt gebe, sei schwer nachzuweisen, sagt Dohmen, in einigen Bereichen aber durchaus möglich.
„Ich komme nach Hause und weiß: Ich habe ein Dach gebaut“
Der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) widerspricht. Hauptschüler und Abiturienten würden nicht um dieselben Ausbildungsplätze konkurrieren, sagt Friedrich Hubert Esser. So würden Abiturienten vorwiegend eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich, dem IT-Bereich sowie im Bereich der freien Berufe – also etwa als Steuerfachangestellte – machen. Jugendliche mit Hauptschulabschluss seien in diesen Bereichen zwar auch zu finden, für sie spiele aber das Handwerk eine deutlich größere Rolle. Esser sieht die Entwicklung daher grundsätzlich positiv – gerade in Zeiten des massiven Fachkräftemangels.
Camillo Weber ist mittlerweile zurück nach Berlin gezogen und arbeitet hier als selbstständiger Zimmerer. „Ich komme abends nach Hause und weiß: Heute habe ich ein Dach gebaut. Das ist schon ein gutes Gefühl“, sagt er. Über die Frage, ob er sich nochmal dazu entscheiden würde, das Studium abzubrechen, muss er nicht lange nachdenken: „Ja, definitiv“, sagt Weber. Und fügt hinzu: Auf seine Ausbildung könne er auch jetzt immer noch ein Studium draufsetzen, zum Beispiel in Holztechnik. Vielleicht mache er das noch, sagt er. Aber sicher sei er nicht. Erstmal will er jetzt weiter praktisch arbeiten.
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