Berlin. Für Donald Trump läuft es vor Gericht mittelmäßig. Doch auch Präsident Joe Biden hat ein Problem, sagt US-Experte Julius van de Laar.
Herr van de Laar, was war in den vergangenen Tagen der bemerkenswerteste Moment in den USA?
Julius van de Laar: Das Hauptaugenmerk liegt auf den Pro-Gaza-Protesten und den Zusammenstößen an den US-Universitäten. Das hat die Stimmung aufgeheizt. Joe Biden sah sich genötigt, endlich etwas zu sagen und die Protestierenden anzusprechen.
Wie werden sich die Proteste auf den Wahlkampf auswirken?
Es gibt keine Hoffnung, dass das schnell nachlässt. Der Druck auf die Biden-Administration steigt, für mehr Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu sorgen. Die beste Lösung für Biden wäre, wenn Netanjahu zurückträte oder es zu Neuwahlen in Israel käme. So ein Neuanfang würde eine neue Dynamik in die Situation bringen.
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Lassen Sie uns auf die Umfragewerte schauen…
Harvard und Harris haben eine spannende Umfrage durchgeführt. Wer ist wirklich verantwortlich für den Zustand in Gaza, wurde da gefragt. 29 Prozent sagten: eher Israel. 71 Prozent wiesen der Hamas die Verantwortung zu. Betrachtet man aber nur das Segment der Jungwähler, also zwischen 18 und 24 Jahren, sagen 49 Prozent, Israel sei verantwortlich, 51 Prozent nennen die Hamas. Damit sieht Joe Biden: Er hat ein Jungwähler-Problem. Trump liegt da zum ersten Mal in den Umfragen auch vorn.
Zur Person
Julius van de Laar ist ein international tätiger Politikstratege und Kommunikationsberater. Er lebte 7 Jahre in den USA. Nach dem Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaften an der Furman University in den USA arbeitete er in den US-Präsidentschaftswahlkämpfen 2008 und 2012 als hauptamtlicher Wahlkämpfer für Barack Obama.
Was sagt die Situation über das gesellschaftliche Klima in den USA aus?
Sie wird Joe Biden und die Demokraten bis zum Wahltag verfolgen. Denken Sie zurück: 2020 waren es die Proteste nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd und die daraus entstehende Black-Lives-Matter-Bewegung. 1968 waren es die Demonstranten, die aus Protest gegen den Vietnam-Krieg den Parteitag der Demokraten in Chicago gestürmt haben. Die Demokraten könnten auch diesmal gewaltig unter Druck geraten, wenn so massive Proteste bis zur Wahl immer wieder aufflammen. Rein politisch wäre es für Biden klug, jetzt Stärke zu zeigen und zu signalisieren, dass er auf der Seite von „Law and Order“ — Recht und Ordnung — steht und den Demonstranten entschieden entgegenwirkt. „Es gibt das Recht auf Protest, aber nicht das Recht, Chaos zu stiften“, hat er gesagt. Das ist zwar ausgewogen, aber auch politisches Niemandsland. Würde Biden jetzt hart durchgreifen, hätte er die älteren Stammwähler hinter sich.
Was sind seine Optionen?
Donald Trump würde sagen: Schickt das Militär! Das würde Biden nicht tun. Doch jede Universität hat das Recht, auch mit Polizeigewalt den Campus zu räumen.
Trump hat dem „Time“-Magazin ein umfangreiches Interview gegeben…
Nicht sein Lieblingsmedium … er nutzt es aber dennoch, um eine breite Öffentlichkeit, die über seine Wählerschicht hinausgeht, zu erreichen.
In dem Gespräch schließt er den Einsatz des Militärs im Inland gegen Migranten nicht aus, was verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist. Er behauptet, es gebe 15 bis 20 Millionen illegale Zuwanderer in den USA, was ein Faktencheck des Magazins postwendend widerlegte. Wie kann sich das Thema Migration im Wahlkampf noch entwickeln?
Trump sagt über die Migranten, sie seien „keine Zivilisten, sie sind Illegale in unserem Land“. Überhaupt ist der erste Satz des Interviews bezeichnend – als größten Fehler seiner ersten Amtszeit sieht Trump, dass er „zu nett“ gewesen sei. Man sieht in dem Interview die Härte, die er an den Tag legen will, sollte er noch einmal Präsident werden. Er spricht wörtlich von Massendeportationen von illegalen Einwanderern. Er würde in Erwägung ziehen, alle wegen des Sturms auf das Kapitol Verurteilten zu begnadigen. Als der Reporter auf Trumps Äußerung anspielt, er wolle „einen Tag lang Diktator sein“, und fragt, ob das nicht eine problematische Aussage sei, hat Trump eine klare Antwort: „Nein, ich glaube, vielen Menschen gefällt das.“ Trump spricht damit die Gefühlslage des Landes an: Es ist zu viel im Argen, die Menschen sind frustriert. Trumps Botschaft: Jetzt braucht es einen starken Mann, der einmal durchgreift.
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Ein anderes Thema, zu dem es hoch hergeht, sind die Regelungen zur Abtreibung. In Arizona wurde ein strenges Abtreibungsverbot nun fast vollständig vom Senat des Bundesstaates gekippt …
Ja, selbst Republikaner merken nun: Das ist zu extrem. Es ist eine Position, die mit dem Durchschnittsamerika nicht vereinbar ist. Auch Trump will das in der Schärfe nicht, denn er weiß, dass dieses Thema politisch heikel für ihn ist, und flüchtet sich auf die Position, man solle es die Bundesstaaten entscheiden lassen. Aber er sagt auch: Wir brauchen einen Kompromiss. Er weiß genau, dass extreme Regeln wie jetzt in Florida …
… wo Schwangerschaftsabbrüche nach der sechsten Woche nun verboten sind …
… ihm schaden werden. Indem er den Bundesstaaten nun die Verantwortung über die Regeln zuschiebt, versucht er, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Er spricht ihnen aber gleichzeitig Macht zu, indem er fallen lässt, sie dürften nachverfolgen, ob Frauen eine Abtreibung vornehmen lassen. Diese Vorstellung ist untragbar, selbst in den konservativen Teilen Amerikas.
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Wie läuft es im Schweigegeld-Prozess für Trump?
Ich bin zwiegespalten. Einerseits ist es seine Chance, sein Narrativ weiter zu zementieren. Wenn auch nur ein Juror sagt, ich bin unsicher, ob Trump schuldig ist, kippt die ganze Anklage. Sein Team würde das als Freispruch darstellen. Andererseits war es immer Trumps Stärke, auf irgendeiner Bühne im Mittleren Westen zu stehen und dort den Saal zum Kochen zu bringen. Das hat er besser gemacht als jeder andere. Diesen Trump sehen wir jetzt aber nicht. Wir sehen einen Trump, der tagsüber im Gerichtssaal verschwindet, der als schläfrig und vornüber gebeugt sitzend dargestellt wird. Es ist quasi das Bild eines 800-Pfund-Gorillas, der in einem kleinen Käfig eingesperrt ist und verkümmert. Für einen Kandidaten, der sonst auf der Bühne wie ein Löwe schreit und jetzt auf einmal ausgebremst und wie gefangen wirkt, ist das ein katastrophales Bild.
Wie bewerten Sie die Auftritte von Michael Cohen im New Yorker Prozess?
Cohen weiß viel. Trumps Verteidigung versucht nun, ihn als korrupt, illoyal und geldgierig darzustellen: Cohen sei aus Trumps innerem Zirkel herausgeflogen und versuche jetzt, Trumps schmutzige Wäsche zu waschen. Das ist die Strategie. Fraglich ist, wie die Jury das betrachten wird. Michael Cohens Aussagen, er sei von Trump beauftragt worden, zeigen, dass es eine klare politische Motivation gab, die Schweigegeldzahlungen zu vertuschen.
Wie könnte es jetzt konkret im Prozess weitergehen?
Zunächst einmal muss Trump zahlen für den Verstoß gegen die „Gag Order“, mindestens 9000 Dollar, möglicherweise wird es noch mehr. Es tut ihm natürlich nicht weh. Kommt es dazu, dass er Hausarrest bekommt und mit einer Fußfessel im Trump Tower bleiben muss? Die nächste Eskalationsstufe wäre, ihn in Beugehaft zu nehmen. Das kann ich mir aber nicht vorstellen.
Die Fußfessel schon?
Ich bezweifle es. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das der Secret Service zulassen würde.
Was war für Sie der emotionalste Moment der Woche?
Kristi Noem, eine potenzielle Kandidatin für die Vize-Präsidentschaft unter Trump, hat ein Buch veröffentlicht und beschrieben, wie sie ihren Hund in die Kiesgrube geführt und knallhart erschossen hat. Wir haben alle irgendwelche Stereotype von Amerika im Kopf, aber dass eine Republikanerin einfach ihren Hund erschießt, ist unvorstellbar.
Damit dürfte sie sich als „running mate“ für Trump disqualifiziert haben…
Nicht unbedingt. Das sind Geschichten, die man jetzt einmal erzählt, um sie aus dem Weg zu räumen. Denken Sie an Obama, der vor der Wahl zugab, als Student schon mal gekifft zu haben. Nichtsdestotrotz war das erstmal ein ziemlicher Schock für die Amerikaner.
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