Moskau. Verliert Putin seinen Statthalter in Grosny, hat er ein Problem. Nun läuft die Suche nach einem Nachfolger – auch in dessen Familie.
Das Video tauchte im August des vergangenen Jahres im Netz auf: Ramsan Kadyrow, Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, forderte darin die Aufhebung westlicher Sanktionen gegen seine Mutter. Die Forderung war wenig überraschend, Kadyrows Zustand allerdings schon. Sein Gesicht sah geschwollen aus, mit dem Sprechen tat er sich schwer. Schon damals schien der autoritäre Machthaber schwer angeschlagen. Kurze Zeit später machten in tschetschenischen Telegram-Kanälen Gerüchte die Runde, Kadyrow liege im Koma oder sei bereits tot.
Wie krank ist Kadyrow wirklich? Etwas Licht ins Dunkle bringt die Zeitung „Nowaja Gaseta Europe“ mit einer angeblichen Diagnose. Ramsan Kadyrow leide unter einer unheilbaren Erkrankung der Bauchspeicheldrüse, berichtete die Zeitung unter Berufung auf mehrere Quellen. Aus Kadyrows Machtapparat gibt es dazu keine Stellungnahme. Auf seinem Telegram-Kanal wurde unterdessen ein Video veröffentlicht, das ihn bei einer Sitzung der Regionalregierung in Tschetscheniens Hauptstadt Grosny zeigen soll.
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Die Aufnahme dürfte allerdings kaum dafür sorgen, dass die Spekulationen um den Gesundheitszustand des Politikers schnell abreißen: Kadyrow sitzt beinahe reglos am Tisch und spricht nur langsam und offenbar mit Mühe. Ein weiterer Clip zeigte Kadyrow beim Stemmen von Gewichten im Fitnessstudio – für den früheren schwedischen Ministerpräsidenten Carl Bildt ein klares Indiz dafür, dass der als „Putins Bluthund“ bekannte Machthaber alles andere als fit wie ein Turnschuh ist.
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Russlands Präsident Putin braucht Kadyrow als Statthalter in Grosny
Ramsan Kadyrow ist für seinen autoritären Führungsstil im muslimisch geprägten Tschetschenien bekannt. Er folgte seinem 2004 ermordeten Vater Achmat nach. Mitte der 1990er Jahre kämpften Vater und Sohn noch im ersten Tschetschenien-Krieg gegen Russland. Im zweiten Tschetschenien-Krieg wechselten sie die Seiten, zu dieser Zeit begann auch der Aufstieg Ramsans. Er regiert die russische Teilrepublik mit eiserner Hand, vorgeworfen werden ihm Folter, Entführungen und Morde.
In die Schlagzeilen gerieten Kadyrow und sein 15-jähriger Sohn Adam im September 2023. Voller Stolz stellte Kadyrow ein Video ins Netz. Zu sehen ist darauf, wie sein Sohn in einem Untersuchungsgefängnis brutal auf ein wehrloses Opfer einschlägt. Es handelte sich um einen 19-jährigen Mann, der wegen einer öffentlichen Koran-Verbrennung in Wolgograd festgenommen und später nach Tschetschenien verlegt worden war. Bestraft wurde Adam nicht. Ganz im Gegenteil: Sein Vater ernannte ihn zu seinem Sicherheitschef. Und der Kreml in Moskau schwieg zu der Prügelorgie.
Zu sehr braucht Russlands Präsident Wladimir Putin wohl Ramsan Kadyrow als Statthalter in Grosny. Zudem kämpfen dessen Achmat-Soldaten in der Ukraine. „Ich werde die Geschichte mit Kadyrows Sohn nicht kommentieren“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow gegenüber Reportern. Auf die Frage, warum er sich zu diesem Thema nicht äußern wolle, antwortete er: „Das möchte ich nicht.“
Kadyrow unterzog sich laut Bericht mehreren chirurgischen Eingriffen
Laut „Nowaja Gaseta“ soll Kadyrow vergangenen Herbst im Krankenhaus der russischen Präsidialverwaltung behandelt worden sein. Sein langer Aufenthalt in der Moskauer Klinik sei als Krankenbesuch bei einem Onkel getarnt worden, so die Zeitung. In Wirklichkeit aber sei Kadyrow selbst der Patient gewesen, davon sind die Journalisten überzeugt. „Der Gesundheitszustand des 47-Jährigen lässt keine Hoffnung auf Heilung. Und Moskau muss nun operativ entscheiden, wie die Stabilität gewahrt wird, wenn der harte tschetschenische Diktator nicht mehr ist“, bewertet die „Nowaja Gaseta“ die Situation.
Seit 2019 unterzog sich Kadyrow demnach mindestens zweimal im Jahr „regelmäßigen, einschließlich chirurgischen“ Eingriffen. Die Zeitung behauptet, dass Kadyrow im Sommer 2020, nachdem er sich vom Coronavirus erholt hatte, „mit schwerwiegenden Problemen mit dem endokrinen System belastet war“. Im Frühjahr 2022 hätte sich sein Zustand rasant verschlechtert. Als Folge von Nierenversagen und Flüssigkeitsstau in der Lunge hätte Kadyrow Kurzatmigkeit bekommen, er habe „Schwierigkeiten beim Sprechen“. Letzteres ist zumindest auf dem Video vom vergangenen August zu sehen.
Kreml sucht bereits nach einem Nachfolger, um Aufstand vorzubeugen
Kadyrows Gesundheitszustand wird für den Kreml zunehmend zum Problem. Man macht sich wohl schon auf die Suche nach einem möglichen Nachfolger. Im Gespräch dafür soll Medienberichten zufolge Apti Alaudinow, der Kommandeur der in der Ukraine kämpfenden Achmat-Soldaten, sein. Alaudinow ist kremltreu, befürchtete Aufstände in Tschetschenien würde er verhindern. 2022 wurde ihm der Titel „Held Russlands“ verliehen, im Jahr 2023 wurde er „Held Tschetscheniens“.
Jüngst band Putin Alaudinow noch enger an den Kreml, ernannte ihn per Erlass zum stellvertretenden Leiter der Hauptdirektion für militärpolitische Arbeit des russischen Verteidigungsministeriums. Es gäbe aber auch mögliche weitere Kandidaten – in Kadyrows weitläufiger Familie. Sohn Achmat beispielsweise. Kremlchef Putin traf den 27-jährigen im März in Moskau. Putin soll ihm angeblich nahegelegt haben, die Familiengeschichte als Herrscher über Tschetschenien fortzuführen.
Achmat Kadyrow ist im tschetschenischen Regionalvorstand der Kinder- und Jugendorganisation „Bewegung des Ersten“. Deren Ziel, unter anderem: „Die Wahrung der Einheit der Völker Russlands“. Darum geht es Putin bei der Suche nach einem Kadyrow-Nachfolger: Aufstände, oder gar Abspaltungsversuche möchte er unter allen Umständen vermeiden. Denn ein neuer Krieg um Tschetschenien könnte drohen, sollte Kadyrow tatsächlich demnächst sterben.
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