Berlin. An der Front sind Panzer leichte Beute für Drohnen. Sie brauchen mehr Schutz. Die Russen haben eine Idee – aber die sieht seltsam aus.
Jeden Tag kursieren im Netz Fotos oder Videos von Panzern, die im Ukraine-Krieg zerstört wurden. Beide Seiten erleiden herbe Verluste. Momentan müssen die Russen außerdem viel Spott ertragen – Memes und Witze machen die Runde, weil Panzer mit einer seltsamen Haube gesichtet wurden: mit einem Dachschirm.
Es sieht aus, als würden die Panzer mit und unter einer Garage herumfahren. Ob der Bilder, die auf X kursieren, ahnt man, wie groß, Russlands Schutzbedürfnis angesichts der Gefahr durch ukrainische Angriffe aus der Luft sein muss. Die Methode ließe sich wahrscheinlich auf viele andere Waffen ebenfalls anwenden – etwa auf Raketenwerfer oder fahrbare Haubitzen.
Lesen Sie auch: Ukraine in Bedrängnis: Setzte Putin Datum für neues Ziel?
Zu Beginn des Krieges setzte die ukrainische Armee schultergestützte Raketen des Typs Javelin ein. Angeblich hat sie 1026 russische Panzer zerstört und so damals einen schnellen Vorstoß auf Kiew gestoppt. Der Soldat visiert das Ziel mit einem Bildschirmsystem an und feuert, dann findet die Rakete ihr Ziel selbstständig. Deswegen spricht man von eine „Fire and Forget“-Waffe. In jenen Februartagen 2022 nannte man sie den gefährlichsten Panzer-Killer der Welt.
Aber so eine Rakete hat auch Nachteile: Sie ist an die 20 Kilogramm schwer. Der Soldat, der sie trägt, muss bis auf zwei Kilometer an sein Ziel herankommen. Obendrein ist sie teuer. Der Stückpreis der Waffe soll rund 180.000 Dollar betragen.
Lesen Sie auch: Nach Angriff auf Ukraine: Tupolew stürzt brennend auf Feld
Russland im Krieg: Seltsamer Schutz gegen Kamikaze-Drohnen
Längst fanden beide Seiten eine bessere und zumeist billigere Abstandswaffe: Drohnen. Mittlerweile gehen die meisten Verluste auf sie zurück. Oft werden ganze Schwärme eingesetzt; so viele, dass ein Verteidigungssystem „übersättigt“ wird, weil es nicht alle Angriffe gleichermaßen abwehren kann. Am ehesten helfen Flakpanzer und Störsender. Sie sollen Flugobjekte vom Kurs abbringen. Es sind auch neu entwickelte Laserwaffen im Gespräch; angeblich ist so eine britische Laserkanone in der Ukraine im Einsatz.
Der Erfolg der Drohnen ist das Problem der Panzer, die eine leichte Beute sind. Längst wird in Militärblogs diskutiert, ob Panzer aus der Zeit gefallen; ob sie die Dinosaurier der Militärs sind. Neue Panzer wie der Skyranger werden mit Systemen entwickelt, die sie gegen Drohnen schützen sollen, insbesondere gegen Drohnen im Sturzflug. Allein, wie schützt man ältere Fahrzeuge, kurzum: die meisten Panzer im Ukraine-Krieg?
Drohnen an der Front: Wurde die russische Schildkröte zerstört?
Die Russen haben sie oft mit einem Gitteraufbau versehen, der wie ein Baldachin aussieht. Drohnen legen ähnlich wie die Javelin-Raketen oft eine steile Flugbahn zurück. Sie steigen in die Höhe und stürzen sich auf den Panzer; dort, wo die Panzerung bei herkömmlichen Modellen meist nicht besonders dick sein soll. Wenn sie am Baldachin einschlagen, ist die Chance größer, Panzer und Besatzung zu schützen. Israel hat die russische Methode im Gaza-Krieg kopiert und den Merkava-Panzer ähnlich geschützt.
Auch interessant: Mit Drohnen trägt die Ukraine den Krieg nach Russland hinein
Die Erfolgsquote ist offensichtlich nicht zufriedenstellend. Sonst wäre Russlands Armee zuletzt nicht auf die Idee gekommen, einige Panzer komplett mit einer Schale zu schützen. Die Methode kennt man aus der Natur: von Schildkröten.
Ihr Panzer umschließt das ganze Tier. Schildkröten mögen langsam sein, aber sie kommen gut geschützt voran. Schon spotten Nutzer in den sozialen Medien über den „Turtle-Tank“. Auf Schildkröten-Art sollte dem Vernehmen nach ein russischer Panzer T-72 gegen Beschuss durch Granaten oder Drohnen geschützt werden.
Das könnte Sie auch interessieren: Keine Waffen, aber Rohstoffe – Entscheidet China den Krieg?
Historisch ist es nicht das erste Mal, dass Militärs eine Anleihe aus der Natur nehmen. Schon die Römer nannten eine erfolgreiche Formation von Legionären „Testudo“ (Schildkröte). Mit Schilden formten sie den größtmöglichen Schutz vor einem Geschosshagel.
Mehr Reportagen von Kriegsreporter Jan Jessen
- Aus der Ukraine entführt: „Sie erzählen, dass wir Kinder bei lebendigem Leib essen“
- Vor Ort: Isjum in der Ukraine kämpft ums Überleben – Bürgermeister redet Klartext
- Erschreckende Aufnahmen: Diese Bilder zeigen das ganze Grauen russischer Kriegsgefangenschaft
- Ukraine: Oleh wollte Bein opfern, um dem Krieg zu entkommen – und starb
- Geheimer Ort: Reporter trifft russische Kriegsgefangene – bei einer Frage schweigen sie
Lehrer verriet Geodaten an Ukraine: Ruhe an der Schildkrötenfront
Womöglich wären Spott und Memes ausgeblieben, wäre die russische Schildkröte so erfolgreich wie die römische gewesen. Seit dem 9. April wurde allerdings keine weitere russische Schildkröte an der Front beobachtet. Ein Lehrer aus Krasnodar hatte sie geortet und die Geolokalisierungsdaten der Ukraine gegeben – für einen Angriff. Seither herrscht Ruhe an der Schildkrötenfront.
Noch immer haben beide Seiten furchtbare Verluste zu tragen, die Ukraine selbst bei modernsten Panzern wie Leopard 2. Die holländische Webseite Oryx führt Buch über jeden Verlust. Die Zahl der russischen Panzer, die zerstört, beschädigt, verlassen oder erbeutet wurden, gibt sie mit 2931 an. Militärökonomen fragen sich, wie lange Kremlchef Wladimir Putin einen so verlustreichen Feldzug durchhalten kann.
Lesen Sie auch: Auf Putins Abschussliste: Hohe Verluste bei Leopard-Panzern
Oryx dokumentiert nur Abschüsse, von denen Foto- oder Videobeweise vorliegen. Bei der russischen Schildkröte steht der Beweis aus. Gesichert ist hingegen der Spott im Netz. Ein User stellt ob der Schildkröte halb verwundert, halb ironisch fest, „die zweitgrößte Armee der Welt sucht verzweifelt nach Lösungen“.
- Kriegsmaterial: Gehen Russland im Ukraine-Krieg die Panzer aus?
- Teure Produkte: Russen kaufen westliche Waren, die in Kiew niemand will
- Rüstungsmesse: Panzer, Drohnen – und die Rakete, die uns vor Putin rettet
- Militärexperte: Masala: „Auf der Krim hat die Ukraine jetzt die Initiative“