Berlin. Der Westen müsste endlich entschlossen gegen Teheran handeln, doch die Chancen stehen schlecht, sagt Nahost-Experte Guido Steinberg.
Guido Steinberg ist Experte für den Nahen Osten und für islamistischen Terrorismus. Der 55-Jährige forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin und beschäftigt sich schon lange mit Iran.
Herr Steinberg, Benjamin Netanjahu hat angekündigt, den iranischen Angriff erwidern zu wollen. Die USA wiederum wären bei einer größeren Operation nicht dabei. Wie könnte der Gegenschlag aussehen?
Guido Steinberg: Die Israelis haben mehrere Optionen, um gegenüber Iran Vergeltung zu üben. Sie könnten ebenfalls Luftangriffe auf Iran starten. Sie könnten iranisches Militär und iranische Verbündete im Irak, in Syrien und im Libanon angreifen. Und sie können natürlich verdeckte Operationen starten, also Revolutionsgardisten oder andere Regimekräfte gezielt töten. Die Optionen der Israelis sind sehr viel vielfältiger als die, die Iran hat.
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Halten Sie es für wahrscheinlich, dass so etwas passieren wird?
Es gibt in Israel eine sehr ernsthafte Debatte darüber, inwieweit das Land jetzt erneut Stärke zeigen muss. Mein Eindruck ist, dass diese Debatte noch nicht entschieden ist. Ein wichtiges Argument gegen eine unmittelbare Reaktion ist, dass die USA das nicht wollen. Ein Argument dafür ist, dass die iranischen Angriffe so viel Aufsehen erregt haben, dass es Israel als Schwäche ausgelegt werden könnte, wenn es nicht reagiert.
Wie würde sich Donald Trump in der jetzigen Lage verhalten?
Trump zeichnet sich vor allem durch Unberechenbarkeit aus. Wir müssten in einer solchen Krise davon ausgehen, dass er rhetorisch gegenüber Iran viel aggressiver auftreten würde als Präsident Biden. Gleichzeitig hat er immer wieder klargemacht, dass er keinen neuen Krieg im Nahen Osten will. Einen Militärschlag würde er daher ablehnen oder ihn den Israelis überlassen. Es könnte also sein, dass seine Reaktion faktisch ganz ähnlich aussähe wie die der Biden-Administration.
Übersehen wir in Europa, wie gefährlich Iran ist?
Ich würde sagen, der Konflikt zwischen Iran und seinen Gegnern ist mittlerweile viel folgenreicher und größer als der zwischen Israelis und Palästinensern. Nach der Aufkündigung des Atomabkommens durch die USA 2018 haben Deutschland und Europa kein Konzept mehr für den Umgang mit Iran.
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Iran hat seine Uran-Anreicherung im letzten Jahr massiv hochgefahren, die Mullahs sind auf Konfrontationskurs … Was erwarten Sie für die Entwicklung Irans?
Das System der Islamischen Republik ist aus meiner Sicht stabil. Das kann sich nach einem Tod des Revolutionsführers ändern. Die aktuellen gegenseitigen Angriffe werden aus meiner Sicht die Iraner in dem Wunsch bestärken, von der Schwellen- zur Nuklearmacht zu werden.
Werden sie das in den nächsten fünf Jahren?
Das hängt davon ab, ob Israelis und USA glaubwürdig mit Angriffen auf das Atomprogramm drohen können. Tun sie das, dann kann es sein, dass die Iraner vorerst auf eine nukleare Bewaffnung verzichten. Tun sie es nicht, werden die Iraner sich sehr schnell nuklear bewaffnen. Insgesamt bin ich der festen Überzeugung, dass Iran schon bald Nuklearmacht sein wird.
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Wie stehen die Chancen für eine entschlossene Reaktion des Westens?
Schlecht, denn Israel ist nicht alleine in der Lage, Iran und sein Atomprogramm effektiv zu bekämpfen. Dazu sind die Entfernungen zu groß, das Land Iran ist zu groß, die israelische Luftwaffe zu schwach. Israel braucht die USA – die aber wollen sich in ihrer Außenpolitik künftig auf Ostasien und China konzentrieren und sich aus dem Nahen Osten zurückziehen. Darin sind sich Trump und Biden übrigens einig. Deshalb wird der Druck des Westens auf Iran nachlassen.
Ayatollah Chamenei ist 85 Jahre alt, gilt als unantastbar, obwohl die Iraner ziemlich unzufrieden sind. Was könnte folgen, wenn er stirbt?
Bisher ist die Machtbasis des Regimes vollkommen intakt. Die einzige Möglichkeit, dieses Regime zu gefährden, sind Bruchlinien innerhalb der Machtelite. Es gibt aber keine Hinweise auf größere Konflikte unter den Anhängern Chameneis. Das könnte sich unter einem Nachfolger ändern. Allerdings ist das noch nicht abzuschätzen, weil wir noch nicht wissen, wer der Nachfolger sein wird.
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