Berlin. Eine Übung mit Nuklearwaffen? Putins Ankündigung ist bemerkenswert, sagt Militärexperte Masala. Doch sie offenbare vor allem eines.
Herr Masala, Putin hat eine ziemliche Show zur Amtseinführung veranstaltet, aber wenig Inhaltsreiches gesagt. Was lesen Sie daraus?
Carlo Masala: Mit diesem Prunk und dieser Selbstinszenierung macht Putin deutlich: Er sieht sich als eine Art neuer Zar. Seit seiner Herrschaft weiß man, Bescheidenheit ist im Kreml nicht mehr angesagt.
Wie schätzen Sie die russische Ankündigung ein, die taktischen Atomwaffen zu Übungszwecken einzusetzen?
Nun, Russland hat Nuklearwaffen. Diesen Faktor muss man immer im Kopf behalten. Dieses neue Manöver mit der nuklearen Komponente ist seit der In-Alarmbereitschaft-Versetzung der russischen Atomstreitkräfte am 27. Februar 2022 die konkreteste nukleare Drohung, die wir in diesem Krieg gesehen haben. In dieser Übung sollen der Prozess und die Einsatzfähigkeit getestet werden. Schon allein die Ankündigung ist ungewöhnlich. Aber auch die ausführliche Erklärung, warum man das macht – nämlich wegen der angeblichen Drohungen aus dem Westen – ist bemerkenswert. Das alles ist für mich ein Hinweis, dass man mit diesem Manöver bestimmte Staaten von bestimmten Handlungen abschrecken will.
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Sie spielen auf Emmanuel Macrons Erwägungen an, eventuell Bodentruppen in die Ukraine zu schicken.
Genau. Daraus kann man aber nicht ableiten, dass Russland nun vorhat, taktische Nuklearwaffen einzusetzen. Das wäre ein Fehlschluss. Russland zeigt hier lediglich eine Drohgebärde. Das Bundesverteidigungsministerium hat genau richtig reagiert: „Wir stellen fest, es gibt keine Veränderung der Bedrohungslage.“ Damit steigt man öffentlich gar nicht erst auf diese Eskalationsrhetorik ein, sondern ignoriert es im Grunde.
Carlo Masala
Er ist einer der bekanntesten Militärexperten in Deutschland. Masala (Jahrgang 1968) lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Konflikt in der Ukraine.
War Macrons Äußerung ein Fehler?
Nein, das war genau richtig. Diese Drohgebärde Putins zeigt einfach, wo Russlands Schwächen sind und was der Kreml fürchtet. Auch die britische Bekräftigung, die Ukraine dürfe mit Raketen Ziele in Russland beschießen, scheint den Russen Sorge zu machen. Deswegen glauben sie, dass sie jetzt aggressiver auftreten müssen. Genau so wie Macron und der britische Außenminister David Cameron es gemacht haben, muss man mit den Russen umgehen – sie im Ungewissen darüber lassen, was man zu tun bereit ist. Zudem muss man den Ukrainern die Möglichkeit geben, diesen Krieg so zu führen, wie ihn Deutschland, Frankreich und Großbritannien selbst führen würden.
Können Sie verstehen, dass sich viele Menschen angesichts solcher Drohgebärden Sorgen machen?
Natürlich. Deswegen macht Putin das ja – seine Drohungen zielen nicht nur auf Regierungen, sondern auch darauf, in der Bevölkerung Panik zu schüren.
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