Berlin. Militär-Experte Carlo Masala sagt, warum Russland massiv die Rüstungsproduktion hochfährt und was Putin nach dem Ukraine-Krieg vorhat.

Die USA haben bereits ATACMS-Raketen in die Ukraine gebracht, sie werden oft mit dem Taurus verglichen. Bundeskanzler Olaf Scholz spricht bei Waffenlieferungen immer vom Gleichschritt mit den USA. Wächst jetzt der Druck, doch noch Taurus-Raketen zu liefern?

Carlo Masala: Nein. Es gibt international keinen Druck auf Deutschland in dieser Frage. Das ist eine rein deutsche Debatte. Die USA hatten zuvor schon in kleinerem Umfang ATACMS geliefert, das hat die Haltung von Olaf Scholz nicht geändert. Es ist eine innenpolitische Entscheidung des Kanzlers, die aus spezifischen Bedenken im Kanzleramt resultiert. Deshalb gehe ich davon aus: Deutschland wird keine Taurus in die Ukraine liefern.

Kommt die Waffenhilfe der USA in Höhe von 61 Milliarden Dollar zu spät? Reicht das, um die Verteidigungslinien zu halten?

Das wird sich erst in den nächsten Tagen und Wochen entscheiden. Wenn die neuen ATACMS aus diesem Paket, wie man lesen kann, bereits nach Europa geschafft wurden, sie vielleicht schon in Ramstein oder anderswo lagern, dann könnten sie schneller an die Front kommen, als wir erwarten. Ob es den Ukrainern hilft, die Front zu stabilisieren, werden wir sehen. Bestenfalls gelingt das vielleicht. Es ist aber auch möglich, dass Russland seine Offensive, die alle Experten erwarten, jetzt vorzieht, um zu verhindern, dass alle Waffen schon da sind, wenn die Offensive läuft.

Carlo Masala lehrt an der Bundeswehruniversität in München und ist einer der profiliertesten Militär-Experten in Deutschland.
Carlo Masala lehrt an der Bundeswehruniversität in München und ist einer der profiliertesten Militär-Experten in Deutschland. © picture alliance / Geisler-Fotopress; AFP (Montage ZRB) | ZRB

Was die Ukraine auch dringend braucht, ist Luftverteidigung. Deutschland liefert ein zusätzliches Patriot-System. Doch die anderen EU-Staaten liefern zunächst nichts. Warum?

Wenn sie so entschieden haben, dann glauben sie, dass sie die Luftabwehr national nicht entbehren können. Es zeigt auch, dass man sich in Europa nicht einig darüber ist, dass man der Ukraine mit allem, was zur Verfügung steht, helfen muss.

Carlo Masala

Er ist einer der bekanntesten Militärexperten in Deutschland. Masala (Jahrgang 1968) lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Konflikt in der Ukraine.

Verlässt sich Europa immer noch zu sehr auf die USA?

Definitiv. Niemand in Europa wusste, ob das US-Hilfspaket im Repräsentantenhaus durchkommt oder nicht. Lange sah es nicht danach aus. Und Europa hat es in dieser Zeit nicht geschafft, substanziell etwas zu bewegen – weder in der Munitions- noch in der Luftverteidigungsfrage. Das zeigt, dass Europa keine Strategie hat.

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Verteidigungsminister Boris Pistorius hat darauf hingewiesen, dass der russische Präsident Wladimir Putin deutlich mehr Waffen und Munition produzieren lässt, als er derzeit für den Ukraine-Krieg braucht. Die Depots würden gefüllt. Was bedeutet das?

Das heißt: Russland bereitet sich bereits für die Zeit nach Beendigung des Ukraine-Kriegs vor. Russland rüstet auf mit Blick auf zukünftige militärische Herausforderungen und Aktivitäten. Es ist ein deutliches Indiz: Es wird nicht bei der Ukraine bleiben.