Berlin. Der Kanzler verfolgt gegen Putin eine Doppelstrategie. Doch wie sehr hilft Olaf Scholz damit der Ukraine? Ein Experte ist skeptisch.

Deutlich wie noch nie hat Olaf Scholz zuletzt seine Grenzen zur Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland deutlich gemacht. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron inszeniert sich derweil als Gegenpol. Europa befinde sich in einem Moment, „in dem es angebracht ist, nicht feige zu sein“, mahnt der Franzose in offenkundiger Abgrenzung zum Kanzler. Scholz spielt jedoch eine gewichtige Rolle bei der Unterstützung der Ukraine – und verfolgt eine doppelte Strategie.

Rote Linien ziehen

Seit Kriegsbeginn fürchtet Scholz, dass die Nato und somit auch Deutschland in einen Krieg mit Russlands Machthaber Wladimir Putin und dessen Atomwaffenarsenal hineingezogen werden könnten. Deswegen tastete sich Scholz trotz massiver Kritik vorsichtig voran, wenn es um die Lieferung immer schlagkräftigerer Waffen ging. Nicht voranpreschen, immer im Gleichschritt mit den wichtigsten Verbündeten, lautet seine Devise.

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Jetzt zog Scholz allerdings energisch rote Linien. Keine Bodentruppen der Nato in der Ukraine (Macron hatte laut mit diesem Gedanken gespielt). Keine deutschen Marschflugkörper Taurus für die Ukraine. Der Kanzler will nicht, dass deutsche Soldaten an der Zielprogrammierung der Taurus beteiligt sind. Den Ukrainern will er die Marschflugkörper aber auch nicht unbeaufsichtigt überlassen – denn mit einer Reichweite von 500 Kilometern könnten sie Moskau treffen.

Kritiker werfen Scholz vor, mit solchen Festlegungen nicht nur der Ukraine auf dem Schlachtfeld zu schaden, sondern auch gegenüber Putin sein Blatt offenzulegen. Sie halten Scholz zudem eine übertriebene Angst vor Putins Atomdrohungen vor. „Bundeskanzler Scholz ist viel zu langsam, viel zu zögerlich“, kritisiert etwa der frühere Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Scholz beobachtet allerdings genau die Umfragen, in denen die Ängste der Deutschen vor einer Eskalation abzulesen sind. „Ganz viele Menschen schauen abends Fernsehen und hoffen, dass der Kanzler die Nerven behält“, ist sich Scholz sicher.

Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Besuch in der Ukraine: Scholz spielt eine gewichtige Rolle bei der Unterstützung der Ukraine – und verfolgt eine doppelte Strategie. 
Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Besuch in der Ukraine: Scholz spielt eine gewichtige Rolle bei der Unterstützung der Ukraine – und verfolgt eine doppelte Strategie.  © picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Verantwortung übernehmen

Die Vorsicht ist eine Seite der Kanzler-Strategie, die stetige Unterstützung der Ukraine die andere. Scholz haftete lange das Image des Zauderers und Zögerers an, die Ukraine warf Deutschland mangelnde Hilfe vor. Inzwischen ist der Ton zwischen dem Kanzler und dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj freundlich. „Lieber Olaf, ich schätze es sehr, dass du uns beistehst“, dankte Selenskyj bei seinem letzten Berlin-Besuch.

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Scholz hat der Ukraine seit Kriegsbeginn Waffen im Wert von 28 Milliarden Euro geliefert oder zugesagt. Nur die militärische Unterstützung der USA ist größer. Inzwischen gibt sich Scholz sogar als Antreiber in Europa, um der an der Front massiv unter Druck stehenden Ukraine zu neuem Kriegsgerät zu verhelfen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wird die Militärhilfe ins Verhältnis zur jeweiligen Wirtschaftskraft gesetzt, liegen kleine Staaten wie die baltischen Länder oder Dänemark deutlich vor Deutschland.

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    Mit gezielten Waffenlieferungen helfen

    Anfangs hatte Deutschland sich mit den Waffenlieferungen an die Ukraine blamiert. Erinnert sei an die von der damaligen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht mit großer Geste angekündigten 5000 Helme oder an die Flugabwehrraketen aus DDR-Beständen, die sich zu einem guten Teil als vergammelt herausstellten. Mittlerweile erhält die Ukraine hochmodernes Gerät aus Deutschland, das gezielt helfen soll. Das gilt besonders für Flugabwehrsysteme vom Typ Iris-T SLM und Patriot, die der Ukraine helfen, sich gegen Russlands Raketenangriffe zu schützen.

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    Außerdem beteiligt sich Deutschland aktiv an der Beschaffung von Geschossen. „Das, was der Ukraine gegenwärtig vor allem und zuallererst fehlt, ist Munition, Munition und Munition“, warnt Scholz. Nun wurde bekannt, dass die Bundesregierung einen dreistelligen Millionenbetrag für die Beschaffung Hunderttausender Artilleriegranaten ausgibt. Auf Initiative Tschechiens sollen in Staaten außerhalb der EU 800.000 Granaten für die Ukraine eingekauft werden.

    Einen langen Atem haben

    Der Kanzler warnt öffentlich, dass der Krieg nicht nur in diesem, sondern auch im nächsten oder gar übernächsten Jahr noch nicht beendet sein könnte. Eine baldige Entscheidung auf dem Schlachtfeld erwartet er offenbar nicht. Experten geben zu bedenken, dass auch Putin auf Zeit spiele: Der setze darauf, dass Donald Trump im November die US-Präsidentschaftswahl gewinnt und dann der Zusammenhalt der Nato zerbricht.

    „Wir müssen lange durchhalten“, mahnt der Kanzler. Das ist auch eine Botschaft an die deutsche Bevölkerung: Ich tue alles, um uns vor einem Krieg zu bewahren, aber eine baldige Rückkehr zur Sorglosigkeit wird es in Europa nicht geben. Mit Selenskyj hat Scholz eine langfristige Sicherheitsvereinbarung geschlossen. Darin sagt Deutschland der Ukraine anhaltende Unterstützung zu, auch für den Fall, dass Russland nach einem etwaigen Kriegsende erneut angreifen sollte.

    Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Ukraine seit Kriegsbeginn Waffen im Wert von 28 Milliarden Euro geliefert oder zugesagt. 
    Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Ukraine seit Kriegsbeginn Waffen im Wert von 28 Milliarden Euro geliefert oder zugesagt.  © picture alliance/dpa/dpa-Pool | Kay Nietfeld

    Russland isolieren

    Scholz ist viel um die Welt gereist, um Verbündete gegen Russland an die Seite des Westens zu holen. Er war in Südamerika, Afrika und Asien, damit die großen Staaten dort Putin unter Druck setzen. Doch diese Strategie ist gescheitert. Ein Erfolg war allerdings sein Besuch in China im November 2022, bei dem der Kanzler Staatschef Xi Jinping dazu brachte, Putin öffentlich vor dem Einsatz von Atomwaffen zu warnen. Im April will Scholz Berichten zufolge erneut nach Peking reisen. Dann wird es ihm wieder darum gehen, dass China seinen Einfluss nutzt, um Putin Grenzen zu setzen.

    Geht die Taktik des Kanzlers auf?

    Die Antwort hängt davon ab, was erreicht werden soll. „Ein grundsätzliches Dilemma in der westlichen Unterstützung der Ukraine ist, dass die Regierung in Kiew und vor allem zentrale westliche Akteure in Washington und Berlin unterschiedliche Kriegsziele definiert haben“, schreibt Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in einer aktuellen Analyse. Während Selenskyj das Maximalziel einer Rückeroberung aller besetzten Gebiete inklusive der Krim anstrebe, gehe es wichtigen westlichen Bündnispartnern bisher „nur“ darum, dass die Ukraine den Krieg nicht verliere.

    „Läuft der Krieg so weiter wie bisher, spielt die Zeit verstärkt gegen die Ukraine, aber auch gegen die westlichen Verbündeten“, erwartet der Außenpolitikexperte. Zwar sei es der Ukraine gelungen, die Hälfte des von Russland nach Februar 2022 okkupierten Territoriums zu befreien. Aber der Westen sei bisher nicht bereit, der Ukraine die Waffen zu liefern, die sie benötige, um weiteres besetztes Gebiet zurückzuerobern. Dahinter stehe die Erwartung, irgendwann mit Putin über einen Waffenstillstand zu verhandeln. Meister warnt davor, dass die Ukraine dann in einer zu schwachen Ausgangslage sein könnte: „So würde das Land erneut Kompromissen zustimmen, die keine dauerhafte Befriedung garantieren.“

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