Paris. Mit seinen jüngsten Aussagen zum Ukraine-Krieg hat Bundeskanzler Olaf Scholz nun endgültig den Spott Frankreichs auf sich gezogen.
Die ständigen Sticheleien aus Deutschland haben das französische Verteidigungsministerium dazu gebracht, über seinen Schatten zu springen. Am Montag lüftete es den aus Prinzip gewahrten Schleier der Geheimhaltung in Bezug auf den genauen Umfang der Pariser Waffenlieferungen an die .
Der veröffentlichten Liste lässt sich entnehmen, dass bislang Waffen in einem Wert von 3,8 Milliarden Euro nach Kiew geschickt wurden. Damit hinkt Frankreich zwar weit hinter den Summen her, die von den USA oder der Bundesrepublik aufgewendet worden sind, übertrifft jedoch deutlich die vom Kieler Institut für Weltwirtschaft angeführten Schätzungen (700 Millionen Euro).
„Wir brauchen uns sicher nicht zu verstecken“, kommentiert ein ranghoher französischer Militär die unerwartete Öffentlichkeitsoffensive gegenüber unserer Redaktion. Und er betont, dass das von den Franzosen gelieferte Rüstungsmaterial „gerade mit Blick auf den Krieg in der Ukraine“ auch an seinem militärischen und politischen Wert zu messen sei. Es sei eben ein Unterschied, ob man hochmoderne und für die eigenen Truppen vorgesehen Waffensysteme zur Verfügung stelle „oder auf Lagerbestände mit bereits ausgemustertem Kriegsgerät wie dem deutschen (Flugabwehrpanzer) Gepard zurückgreift“.
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Frankreich: Spott über Scholz‘ Begründung für Taurus-Absage
Von ungefähr kommt dieser Seitenhieb keineswegs. Vielmehr spiegelt er den Groll wider, den sich Olaf Scholz in französischen Militär- wie Regierungskreisen zugezogen hat. Schon dass der deutsche Kanzler wenige Stunden vor dem Beginn einer vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron organisierten Ukraine-Unterstützerkonferenz erklärte, keine Taurus-Marschflugkörper für Kiew freigeben zu wollen, sorgte an der Seine für Verärgerung. Doch dass Scholz die Absage mit der Begründung garnierte, er wolle auf keinen Fall deutsche Soldaten, die zur Betreuung des Waffensystems nötig wären, in die Ukraine schicken, wurde in Paris wie in London als eine indirekte und empörende Bloßstellung aufgefasst.
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Frankreich wie Großbritannien nämlich haben bereits Marschflugkörper geliefert und es ist richtig, dass sich Soldaten beider Staaten genauso wie der USA in der Ukraine befinden – als Berater, Ausbilder oder Beobachter. Allerdings werden solche für jeden Verteidigungsexperten „normalen“ Vorgänge nicht an die große Glocke gehängt, sondern systematisch verschwiegen. Geheimnisverrat ist es also nicht, was Scholz vorgeworfen wird, wohl aber mangelnde Solidarität mit den Verbündeten und, man kann es wohl so hart sagen, Duckmäusertum. „Wenn Putin hustet, sucht Scholz sofort nach einem Bunker“, spottete vergangene Woche ein Berater Macrons.
Frankreich spricht über „panische“ Abwehrreaktion des Kanzlers
Als völlig überzogen wird auch die aus französischer Sicht „panische“ Abwehrreaktion des Kanzlers auf die Aussage Macrons angesehen, der den Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine nicht ausschließen mochte. Es gehöre schließlich zum Einmaleins der psychologischen Kriegsführung, einen Gegner über die eigenen Absichten im Unklaren zu lassen, kommentiert der französische Militärexperte Pierre Servant. Worte, die das Pariser Unverständnis über die Haltung von Scholz beleuchten. Moskau detaillierte Auskünfte über Rüstungslieferungen zu geben oder die Grenzen der westlichen Unterstützung für die Ukraine aufzuzeigen, gilt links des Rheins als taktische Riesendummheit.
Dass Macron und Scholz nicht auf derselben Wellenlänge sind, ist keine Neuigkeit. Leider gilt das auch oder zunehmend im Fall des Ukraine-Kriegs. Während Macron, der sich vom Kanzler vorgeführt fühlt, auf eine offensive Strategie der Abschreckung setzt, übt sich Scholz, der sich von dem Franzosen nicht überrollen lassen will, in vorsichtiger Zurückhaltung. Und wenn man sich ohnehin nicht grün ist, muss das über kurz oder lang vom mühsam kaschierten zum offenen Streit führen.
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