Berlin. Schutz gegen Influenza und RSV: Bislang bremst die Stiko. Mitte März wird das Gremium neu besetzt. Was Eltern jetzt wissen müssen.
Tetanus, Masern, Keuchhusten – die Liste der Impfempfehlungen für Kinder ist lang. Jetzt könnte sie noch länger werden: Kindermediziner fordern eine jährliche Grippeschutz-Impfung für alle und eine Immunisierung gegen das RS-Virus. Bislang bremst die Ständige Impfkommission (Stiko). Mitte März wird das Gremium neu besetzt. Was Eltern jetzt wissen müssen.
Was fordern die Kinderärzte?
Der Münchner Kindermediziner Florian Hoffmann will zwei Ziele erreichen: Die Kinder schützen und die Kinderkliniken entlasten. „Um durch eine Absenkung der winterlichen Infektionswellen das Gesundheitssystem zu entlasten, brauchen wir von der Stiko neue Impfempfehlungen.“ Hoffmann ist Vizepräsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) sowie Leiter der Notfallmedizin am Dr. von Haunerschen Kinderspital München der LMU München.
Sein Vorschlag: „Alle Kinder, die älter als 24 Monate alt sind, könnten jedes Jahr im Herbst mit einem nasalen Impfstoff gegen Influenza geimpft werden. Alle Säuglinge im ersten Lebensjahr sollten zudem im Herbst gegen das RS-Virus geimpft werden.“ Diese passive Immunisierung mithilfe einer einmaligen Dosis Antikörper halte sechs bis neun Monate.
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„Wenn wir auf diese Weise eine hohe Impfrate in Deutschland erreichen könnten, hätten wir einen guten Schutz für die Kinder und eine dramatische Entlastung des Systems“, sagte Hoffmann dieser Redaktion. Die ersten Daten aus anderen Ländern zeigten, dass diese Strategie aufgehe: „In Spanien ist die Zahl der stationären Aufnahmen von Kindern mit RSV nach der Impfkampagne um mehr als 70 Prozent zurückgegangen. Sollte uns das gelingen, würde die Virus-Saison ihren Schrecken verlieren.“
Sollten Eltern ihre Kinder jetzt noch gegen Grippe impfen lassen?
Im aktuellen Winter, so Kindermediziner Hoffmann, sei es nun jedoch nicht mehr nötig, Kinder gegen Grippe oder RSV zu impfen. „Das Schlimmste scheint jetzt überstanden. Es wird keine massive Welle mehr geben.“ Damit Deutschland im kommenden Winter vorbereitet sei und die begrenzten pädiatrischen und kinderintensivmedizinischen Ressourcen optimal ausgenutzt werden könnten, müsste die neue Stiko die Empfehlungen allerdings rasch anpassen.
Zum Schutz gegen das RS-Virus gibt es bislang noch keinerlei Stiko-Empfehlung. Mit Blick auf die Grippe geht es nur um eine sehr kleine Zielgruppe. Bislang empfiehlt die Stiko die jährliche Grippeimpfung allen Kindern ab sechs Monaten, die ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf der Grippe haben, weil sie unter bestimmten Vorerkrankungen leiden – zum Beispiel Asthma oder Diabetes.
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Michael Hubmann, Präsident des Bundesverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), hatte bereits Anfang des Jahres eine Ausweitung der Grippe-Empfehlung auf alle Kinder gefordert. Sein Argument: Auch gesunde Kinder seien sehr oft Überträger der Grippeviren. Oft komme es vor, dass ein infiziertes Enkelkind nur leicht erkranke, seine Großeltern aber steckten sich bei ihm an und bekämen die gefährliche Influenza. „Unser Ziel muss es sein, die Ausbreitung des Virus durch Impfung zu verhindern und damit die Krankheitslast für alle zu mindern.“
Was ändert sich durch die neue Stiko?
Während der Pandemie stand die Stiko oft in der Kritik: Die Entscheidungen für Impfempfehlungen gegen das Coronavirus galten vielen als zu langsam und zu zögerlich. Unnötige „Bedenkenträgerei“ – so der gängige Vorwurf. Hinter der Kritik steht allerdings ein Dilemma: Während in der Politik viele Impfungen als Instrument des Bevölkerungsschutzes sahen, pochten viele Stiko-Mitglieder darauf, dass Impfungen in erster Linie dazu da seien, das individuelle Krankheitsrisiko zu senken. Ob sich das mit der neuen Besetzung ab Mitte März ändert? Offen. Die Vorgabe von BundesgesundheitsministerKarl Lauterbach ist klar: Die Stiko „berücksichtigt sowohl den individuellen Nutzen für geimpfte Personen als auch den Nutzen für die gesamte Bevölkerung“. Dass die Experten Kinder-Impfungen allein deshalb empfehlen, um die Kinderkliniken mit ihrem notorischen Bettenmangel zu entlasten, ist allerdings unwahrscheinlich.
Kinderärztepräsident Hubmann hofft dennoch auf und mehr Tempo bei den Impfungen: Die Stiko müsse frei von politischer Einflussnahme oder gesellschaftlichem Druck arbeiten. „Wir brauchen aber eine schnellere Umsetzung der Beschlüsse der Stiko.“ Nötig sei eine schlagkräftige Organisation, die sich um Impfkampagnen in Deutschland kümmere. Denn die Impfung sei eben nicht nur eine persönliche Entscheidung, sondern sie schütze die ganze Gemeinschaft vor schweren Krankheiten. Bei der Influenza erreiche Deutschland nicht einmal die Zielgruppen, für die die Impfung am dringendsten empfohlen werde. Bei RSV gebe es neue Möglichkeiten, die viel zu spät in der Versorgung angekommen seien. Wichtig sei zudem eine Impfkampagne gegen HPV (Humane Papillomviren): „Hier liegen wir in Europa abgeschlagen auf den hintersten Plätzen.“
Am 12. März kommen die 19 Mitglieder der Stiko in neuer Besetzung zusammen: Das Gremium sei „jünger und noch interdisziplinärer besetzt“, so Lauterbach. Neben Expertinnen und Experten aus den Bereichen Immunologie, Virologie, Mikrobiologie, Pädiatrie, Gynäkologie, Allgemein- und Arbeitsmedizin wird die Stiko künftig auch um eine Kommunikationsexpertin erweitert.
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