Berlin. Viruswellen, Lücken bei Arzneimitteln, überfüllte Arztpraxen: Hausärzte-Chef Beier sagt, wie man sich jetzt auf den Winter vorbereitet.
Wie erkennt man eine Grippe? Was gehört in diesem Winter in die Hausapotheke? Und warum sollten sich gerade junge Leute gegen Grippe impfen lassen? Markus Beier, Vorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, sagt, was man jetzt wissen muss, um gut durch Herbst und Winter zu kommen.
Wer sich einen Infekt eingefangen hat, will wissen: Ist das bloß eine Erkältung oder was Schlimmeres? Bei welchen Symptomen muss man in diesem Herbst alarmiert sein?
Markus Beier: Wenn man ein sehr plötzliches, sehr heftiges Krankheitsgefühl hat. Wenn es einem vorkommt, als sei man durch die Mangel gedreht worden. Das kann die Grippe sein. Vor allem dann, wenn auch noch hohes Fieber und starke Schmerzen dazukommen. Auch eine Corona-Infektion kann mit so heftigen Symptomen einhergehen, vor allem, wenn man nicht geimpft ist. Wenn das Fieber länger anhält, die Lymphknoten schwellen und Vereiterungen dazu kommen, können auch Bakterien dahinterstecken. Dann sollte man auf jeden Fall mit seinem Arzt reden.
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Experten warnen vor drei Infektionswellen: Grippe, Corona und RS-Virus. Drohen wieder Engpässe in den Hausarztpraxen?
Beier: Wir haben im vergangenen Winter gesehen, was passiert, wenn wir durch zeitgleiche Infektwellen sehr viele Menschen auf einmal betreuen müssen: Die Hausarztpraxen sind dann schnell am Limit. Das droht in diesem Winter wieder.
Womit rechnen Sie konkret?
Beier: Wenn viele gleichzeitig krank sind, müssen wir im Zweifelsfall Abstriche bei der Versorgung machen. Wer akut Hilfe braucht, bekommt sie, aber die Leute werden viel Geduld brauchen: Patienten werden telefonisch oft nicht durchkommen, sie werden länger auf Termine warten, es wird Warteschlangen vor den Praxen geben. Das liegt auch daran, dass sich die Lage für die Praxen seit dem vergangenen Winter nicht verbessert hat. Viele Kollegen sind inzwischen extrem frustriert. Die Politik scheint nur noch an die Krankenhäuser zu denken, wir Hausärzte werden vergessen. Wir verbringen immer noch zu viel Zeit mit Bürokratie, wir müssen die Apotheken abtelefonieren, weil Medikamente fehlen – und können nicht mal die Corona-Impfungen vernünftig planen.
Warum das?
Beier: Ein Beispiel: Der angepasste Impfstoff von Biontech, den die Bundesregierung massenhaft eingekauft hat, steht nicht als Einzeldosis zur Verfügung, sondern nur im Sechserpaket. Sie finden aber nicht jeden Tag sechs Impfwillige. Das führt zu einem enormen organisatorischen Mehraufwand. Ansonsten verfällt der Rest. Ein anderes Beispiel: Es gibt Patienten, die wollen unbedingt den neuen Impfstoff von Moderna. Es ist aber überhaupt nicht klar, ob wir Ärzte den verabreichen dürfen, ohne finanzielle Sanktionen fürchten zu müssen. Wir brauchen hier endlich klare Regeln, damit Ärzte nicht auf den Kosten sitzen bleiben – und die Impfungen sich nicht verzögern.
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Bei welchen Medikamenten drohen Versorgungslücken?
Beier: Es geht vor allem um Antibiotika für Kinder und Erwachsene. Engpässe gab und gibt es aber auch immer wieder bei Blutdruckmitteln, in der Vergangenheit zum Teil sogar bei Mitteln, die in der Krebsnachbehandlung eingesetzt werden, für die es dann auch keine Alternative gibt. Das ist dann eine echte Katastrophe.
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Welche Medikamente gehören in diesem Winter unbedingt in die Hausapotheke?
Beier: Das hängt von Alter und Vorerkrankungen ab. Wer zum Beispiel Kinder hat, sollte eine Flasche Fiebersaft im Haus haben. Natürlich ist es auch immer sinnvoll, Ibuprofen bzw. Paracetamol für Erwachsene im Haus zu haben. Wenn sich aber jeder zum Beispiel mit großen Mengen Fiebersaft eindecken würde, dann verstärkt sich das Problem natürlich. Ich glaube aber, dass die Menschen sich hier verantwortungsbewusst verhalten werden. Es gibt auch die klare Zusage von Politik und Herstellern, dass man dieses Jahr viel besser vorbereitet sein wird. Wir nehmen sie beim Wort, auch wenn unser Eindruck ist, dass die Kuh noch nicht vom Eis ist.
Die Stiko empfiehlt Älteren und Risikopatienten eine Impfung gegen Grippe und Corona. Wer sollte sich noch impfen lassen?
Beier: Da hilft ein Blick nach Australien: Wir haben gesehen, dass dort in dieser Saison die Influenza-Variante H1N1 grassiert. Diese Variante führt zu vielen Fällen, gerade auch bei Jüngeren. Unter ihnen ist die Impfquote auch besonders niedrig. Mein Rat: Wer viel Kontakt zu Menschen hat, wer morgens in der vollen U-Bahn oder im Bus sitzt, sollte sich deswegen in diesem Herbst gegen Grippe impfen lassen.
Und gleich auch gegen Corona?
Beier: Wenn man zur Risikogruppe zählt oder viele Kontakte hat, dann am besten gegen beides.
Wie hoch muss die Impfquote sein, damit sich keine gefährliche Welle aufbaut?
Beier: Ziel muss sein, dass deutlich mehr als fünfzig Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Dann steigen die Chancen, dass die Praxen die Grippewelle gut bewältigen können. In den vergangenen Wintern lag die Quote noch zu niedrig. Es sollten sich deswegen nicht nur Ältere und Risikopatienten impfen lassen, sondern alle, die im Alltag viele Kontakte haben.
Masken helfen gegen Atemwegsinfektionen aller Art – werden sie wieder zum Alltag gehören?
Beier: Wenn eine Infektionswelle rollt, ist es klug, in voll besetzten Bussen und Bahnen Maske zu tragen. Das gilt auch für volle Wartezimmer beim Arzt. Ich werde auf jeden Fall in der Infekt-Sprechstunde Maske tragen. Am Ende muss es aber jeder selbst entscheiden.
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Hart wird es auch für Allergiker: Auf was müssen sie sich in diesem Herbst und Winter einstellen?
Beier: Die pollenfreie Zeit wird auch durch den Klimawandel immer kürzer. Im Grunde gibt es Entspannung nur noch im November und Dezember. Ab Januar beginnt oft schon wieder die Haselnussblüte. Für die Hausarztpraxen bedeutet das mehr Beratung und Diagnostik und damit eine zusätzliche Belastung.
Am 1. Januar bricht ein neues Zeitalter in den Arztpraxen an: Sie sind verpflichtet, Rezepte digital auszustellen. Klappt das?
Beier: Es war falsch, den Start just in den Monat zu legen, wo die Praxen durch die Infektionswellen besonders belastet sein werden. Das Ausstellen von e-Rezepten oder der digitalen Krankschreibung dauert wegen der instabilen Technik aktuell oft länger als ein herkömmliches Rezept. Es ist bitter: Im Moment kostet uns die Digitalisierung nicht nur den letzten Nerv, sondern vor allem mehr Zeit, die beim Patienten fehlt. Dabei könnte sie, wenn sie gut umgesetzt wäre, eine echte Entlastung sein. Ich gehe aber davon aus, dass fast alle Praxen am 1. Januar dabei sein werden.
Fachärzte können Künstliche Intelligenz für eine bessere Diagnostik oder für die Optimierung von Medikamentenplänen nutzen. Welche Rolle wird KI in der Hausarztpraxis spielen?
Beier: Hausarztmedizin lebt von der Beziehung zwischen Patient und Arzt. Man muss den Menschen und seine Geschichte kennen, der vor einem sitzt. Es gibt aber Fälle, wo die KI helfen kann: Kommt ein Patient mit unklaren Symptomen, kann die KI bei der Diagnostik helfen. Das System sorgt dann dafür, dass man als Arzt wirklich an alle Möglichkeiten denkt – auch an extrem seltene Krankheiten.
Kann KI eines Tages den Hausarzt ersetzen?
Beier: Nein.
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