Berlin. Erstes Ziel von Autokraten sind oft die Gerichte. Mit Erstarken der AfD werden Appelle laut, die Verfassungsrichter besser zu schützen.
Auch an diesem Wochenende waren sie wieder auf den Straßen: Mindestens eine halbe Million Menschen in der ganzen Republik demonstrierten gegen das Erstarken des Rechtsextremismus. Die Frage, ob sich der Aufstieg der AfD bremsen lässt, und was droht, falls das nicht gelingt, beschäftigt das Land seit den Enthüllungen des Recherche-Zentrums „Correctiv“ wie nie zuvor.
Der Blick ins Ausland, etwa nach Polen oder Ungarn, zeigt: Gelangen autokratische Parteien an die Macht, steht an erster Stelle häufig ein Umbau der Justiz. Noch ist die AfD, bundesweit zuletzt in manchen Umfragen wieder unter 20 Prozent, zwar weit davon entfernt, im Bund Teil der Regierung zu sein. Und doch laufen in Berlin bereits Überlegungen, wie die Unabhängigkeit vor allem des Bundesverfassungsgerichts gesichert werden könnte für den Fall, dass sich das eines Tages ändert.
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Gleich aus zwei Ampel-Fraktionen wurden dazu am Wochenende Überlegungen laut. Johannes Fechner, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD im Bundestag, schlug vor, die Hürden für die Änderungen des Bundesverfassungsgerichts-Gesetzes zu erhöhen. Das Gesetz regelt die Arbeitsweise des höchsten Gerichts und kann mit einfacher Mehrheit im Bundestag geändert werden. „Daraus sollten wir eine Zwei-Drittel-Mehrheit machen“, sagte Fechner der „Welt am Sonntag“.
Viele Strukturen des Gerichts lassen sich mit einfacher Mehrheit ändern
Stephan Thomae, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, plädierte gegenüber dem Blatt dafür, wichtige Strukturen des Gerichts nicht nur in einem einfachen Gesetz, sondern in der Verfassung zu verankern. Dass diese Debatte jetzt geführt werde, sei gut, sagt Michael Hein, Politikwissenschaftler und pädagogischer Mitarbeiter an der Volkshochschule Altenburger Land in Thüringen. Grundsätzlich, sagt er, gebe es zwei Strategien, die autokratische Parteien anwenden würden, um die Verfassungsgerichte unter ihre Kontrolle zu bringen.
Eine ist bekannt unter dem Begriff „court packing“: „Man ändert die Struktur des Gerichts, sodass die Möglichkeit entsteht, viele neue Richter zu ernennen, und verschafft sich so kurzfristig Einfluss auf Personalauswahl und Gerichtsentscheidungen“, erklärt Hein. Das ist möglich, in dem man etwa einen weiteren Senat schafft.
Die zweite Strategie: Änderungen an den Regeln, nach denen ein Verfassungsgericht arbeitet. „Wenn man zum Beispiel festlegt, dass das Bundesverfassungsgericht Verfahren nach Reihenfolge des Eingangs bearbeiten muss, legt man das Gericht effektiv lahm“, sagt der Politikwissenschaftler. Schaffe man dann noch das Kammerverfahren ab, in dem ein Großteil ähnlich gelagerter Verfassungsbeschwerden entschieden wird, habe das Gericht kaum noch eine Chance, sich den wichtigen Sachen zuzuwenden. „Das Gericht wäre auf Jahre blockiert.“
Gerichte in Gefahr: In Fraktionen wird über Schutzmaßnahmen nachgedacht
Auf Landesebene unterscheiden sich die Festlegungen rund um die Landesverfassungsgerichte und ihre Strukturen. In Thüringen etwa ist in der Verfassung des Freistaats festgeschrieben, dass Richterinnen und Richter am Landesverfassungsgericht mit einer Mehrheit von zwei Dritteln gewählt werden müssen. Doch diese Hürde ist zweischneidig, wie Hein erklärt. Sollte bei der Landtagswahl im Herbst die AfD ein Drittel der Mandate erhalten, „hätte die Mehrheit keine andere Chance, als sich mit der AfD zu arrangieren, oder zuzusehen, wie durch das Ausscheiden von Richtern über die Zeit die Arbeitsfähigkeit des Gerichts schwindet“, sagt er. Die AfD könnte über eine Sperrminorität den Kurs des Gerichts beeinflussen.
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Überlegungen, wie eine Vereinnahmung vor allem des Bundesverfassungsgerichts durch die AfD verhindert werden kann, gibt es seit längerem, die Innenpolitiker mehrerer Fraktionen sind dazu im Gespräch. Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz betont gegenüber unserer Redaktion, dass es wichtig sei, dabei von Anfang auch mit der Union als größter Oppositionsfraktion zu sprechen. „Wir müssen das für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat so extrem wichtige Bundesverfassungsgericht besser schützen“, sagte von Notz.
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Sich nun gemeinsam darüber auszutauschen, wie dies konkret geschehen könnte, sei notwendig und richtig. „Wir halten es für zwingend geboten, CDU und CSU von Beginn an vollumfänglich in die Beratungen mit einzubeziehen.“ Der Union komme eine entscheidende Rolle für das Gelingen des Prozesses zu. In der CDU-CSU-Fraktion im Bundestag teile man die Sorge der parteipolitischen Einflussnahme auf die Justiz und insbesondere das Bundesverfassungsgericht, sagte die stellvertretende Fraktionschefin Andrea Lindholz dieser Redaktion auf Anfrage. „Dieses wichtige Thema sollte auf breiter Basis diskutiert werden.“
AfD und Justiz: Bundesinnenministerin Faeser sieht ein Bedrohungsszenario
Im Innenministerium kennt man die Warnungen. Zu möglichen konkreten Schutzmaßnahmen für die Justiz äußert Ministerin Nancy Faeser (SPD) sich zwar nicht. Doch auch sie sieht ein Bedrohungsszenario. „Autoritäre Kräfte wollen die Demokratie und den Rechtsstaat von innen zerstören, indem sie die unabhängige Justiz und die demokratischen Institutionen angreifen“, sagte sie dieser Redaktion. Das wisse man aus der jüngsten Vergangenheit in europäischen Nachbarländern.
Zunächst gelte es deshalb, in der politischen Auseinandersetzung dafür zu sorgen, dass Demokratiefeinde nicht den Einfluss gewinnen, um ihre Pläne in die Tat umsetzen zu können. „Und zugleich gilt es, die Widerstandskraft unserer Demokratie und unseres Rechtsstaats zu stärken.“ Dass darüber jetzt im Bundestag, in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit debattiert wird, zeige, dass viele die Gefahren erkannt hätten.
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