Berlin. An gendergerechter Sprache scheiden sich die Geister. Verbote nehmen zu. Doch Schulen, Ämter und Rundfunk werden immer kreativer.
Gender-Sternchen, Binnen-I und substantivierte Partizipien sind längst Teil des Kulturkampfes, der die Gesellschaft spaltet. Phonetische Nuancen und schriftliche Kunstgriffe sorgen vor allem auf der konservativen Seite für Bestürzung. Diese Auseinandersetzung zieht immer mehr handfeste Gesetzgebung nach sich. Jüngstes Beispiel: Bayern. Nach Sachsen. Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein ist der Freistaat das vierte Bundesland, das die gendergerechte Sprache unter Verbot stellt – zumindest dort, wo das möglich ist. Dabei hatte geschlechterneutrale Sprache in progressiven Kreisen schnell erstaunliche große Räume der deutschen Öffentlichkeit erobert.
Dennoch schlugen die Wellen hoch, als „Heute Journal“-Moderator Klaus Kleber, ein Vertreter der älteren Männergarde im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, im Herbst 2020 plötzlich mit Gender-Gap sprach. Mit dieser kleinen Kunstpause per Glottisschlag in der Kehle nach dem Wort „Redakteur“, an die er dann mit einem völlig unbeeindruckten Gesichtsausdruck ein „*innen“ hängte. Anne Will kostete in ihren Talks die Kunstpause richtig aus, beim „*innen“ legte sie noch ein Crescendo drauf.
Und plötzlich war der Glottisschlag in aller Munde: ob in der Anmoderation der Flötenklasse beim Weihnachtskonzert, der Ansprache der Schulleitung bei der Vergabe der Abiturzeugnisse oder im Gespräch mit der genderbewegten Tochter. Gleichzeitig flatterte Behördenpost in die Briefkästen, in der von „Anwohner*innen“ die Rede war, und selbst die ein- oder andere Tageszeitung ließ Redakteurinnen und Redakteuren freie Hand.
Kurz: Es herrschte Aufbruchstimmung unter Feministinnen und in der LGBTQ-Bewegung. Ob Frauen, ob Männer, ob gender-divers: Alle sollten sich angesprochen und anerkannt fühlen. Einerseits. Denn gleichzeitig schlugen Sternchen, Doppelpunkt und Glottisschlag mitten in der tiefsten Pandemie einen dicken Keil in die Gesellschaft. Vor allem in konservativen Kreisen wird diese Form des Genderns als nicht hinnehmbarer Eingriff in die deutsche Sprache angesehen.
Gendern: Vor allem konservative Kreise lehnen Sternchen ab
So lehnt die Mehrheit (73 Prozent) Genderstern, Doppelpunkt und Gendergap ab, so das Ergebnis einer Forsa-Umfrage aus dem vergangenen Sommer. „Der Versuch, die Sprache durch Gendern zu verändern, war von Anfang an ein linkes und vor allem grünes Eliteprojekt“, kommentiert Johannes Winkel, Vorsitzender der Jungen Union, die Genderbewegung. Das Projekt sei gescheitert, „weil die Menschen in Deutschland sich eindrucksvoll dagegen gewehrt haben“.
Gemeint sind Menschen wie der Heidelberger Jurist Klaus Hekking: Er nennt das Gendern „sprachlichen Unfug“ und sammelte 14.500 Unterschriften gegen den Stern, Doppelpunkt und Binnen-I an Schulen und in Behörden im Ländle. Zwar scheiterte seine Initiative an formal-juristischen Fehlern. Doch der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) kündigte kürzlich eine Verwaltungsvorschrift an, in der Gendersternchen oder das „Binnen-I“ im Schriftverkehr von Ministerium oder Regierungspräsidien nicht mehr angeordnet werden dürfen.
Anti-Gendern-Aktivist Klaus Hekking frohlockte: „Damit ist die Sache in den Behörden tot, denn keiner will so reden.“ Zuständig für die offizielle Rechtschreibung in den Schulen und Behörden sind die Kultusministerkonferenz (KMK), die jeweiligen Landesregierungen und die Bundesregierung. Die KMK orientiert sich dabei an den Empfehlungen des „Rates für deutsche Rechtschreibung“. Von ihm gibt es alle fünf Jahre Vorschläge zur Anpassung und Fortentwicklung der Regeln.
Dem Rat für deutsche Rechtschreibung geht es um Verständlichkeit
Was das Gendern angeht, setzt der Rat auf Verständlichkeit. Texte sollen lesbar und vorlesbar sowie grammatisch und orthografisch korrekt sein. Unter diesen Gesichtspunkten wird der Genderstern vom Rat kritisch gesehen. Die Kultusministerkonferenz wiederum bleibt in ihren Leitlinien zur Sicherung der Chancengleichheit an Schulen knapp: „Sprache im Unterricht und in außerunterrichtlichen Kontexten beachtet geschlechtersensible Formulierungen.“
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Dies ist einigen Bundesländern offenbar nicht konkret genug – sie setzen auf weitreichende Verbote. So gelten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein Genderzeichen in der Schule als Rechtschreibfehler. Hessen hat sich im schwarz-roten Koalitionsvertrag darauf geeinigt, dass in „öffentlich-rechtlichen Institutionen auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird“. Seine Vorreiterrolle untermauerte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. So verabschiedete der Landtag im Freistaat ein striktes Gender-Verbot für Behörden, Schulen und Hochschulen. Sanktionen für Zuwiderhandlung inklusive. Auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gilt demnach: Sternchen, Binnen-I und Glottisschlag verboten.
Für die Bundesschülerkonferenz sind derartige Verbote ein klarer Angriff auf die freie Entfaltung. „Sprache ist sehr persönlich, wie ich mich ausdrücke, wie ich schreibe, wie ich spreche: Das solle jeder und jede für sich selbst entscheiden können“, sagt Schülersprecher Florian Fabricius. Ein Verbot sei eine klare Bevormundung. Gleiches gelte aber auch für den Zwang zum Gendern. „Wir fordern, dass es Schülern freigestellt wird, ob sie gendern oder nicht. Und Lehrkräfte sollten die Sprache der Schüler dann auch tolerieren.“
Wenn es Folgefehler durch das Gendern gibt, streichen Lehrer das an
Stefan Düll, Präsident des Lehrerverbandes, kann diese Forderung durchaus nachvollziehen, doch er schränkt ein: „Wenn ein Schüler oder eine Schülerin meint, den Stern benutzen zu müssen, dann ist das okay. Aber Satz- und Grammatikfehler, die daraus folgen, werden Lehrkräfte anstreichen.“ Für ihn gibt es viel kreativere Möglichkeiten als neue Satzzeichen. „Wenn ein Text von vorne bis hinten mit Sternchen gespickt ist, dann ist er sprachlich letztlich einfallslos formuliert“, sagt er. Und das könne durchaus in die Note eingehen.
„Mit korrektem Deutsch lässt sich ganz leicht von Menschen und Leuten sprechen, von Lehrkräften, Lernenden und Lehrenden, von Heranwachsenden und Jugendlichen“, erklärt er gegenüber dieser Redaktion. Er selbst habe auch eine Zeit lang den Genderstern in manchen Schreiben ausprobiert, ihn „letztlich aber wieder ad acta gelegt“.
Mehr Sprachgefühl, weniger Sternchen – sieht so also die Zukunft des Genderns aus? Die Sprachwissenschaftlerin Carolin Müller-Spitzer verweist auf Studien, die auf eine hohe Akzeptanz einer genderbewussten Sprache durch Neutralisierungen hinweisen. Formulierungen wie „Publikum“ statt „Zuschauer“, „Studierende“ statt „Studenten“ werden demnach von 63 beziehungsweise 56 Prozent als sehr gut oder gut eingestuft. Die Akzeptanz von Genderstern oder Doppelpunkt liege bei 35 Prozent.
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Das sei zwar deutlich weniger, aber immer noch eine nennenswerte Größe, betont die Professorin am Leibniz-Institut für deutsche Sprache in Mannheim. Sie hält auch Formen des Gendersterns für einen Teil des kreativen Umgangs. „Man sollte sich nur gegenseitig möglichst keine Vorschriften machen.“ Genauso hält es bislang der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Gendern, heißt es nahezu durchgängig bei allen Rundfunk- und Fernsehanstalten, sei die Angelegenheit der jeweiligen Moderatorin/des jeweiligen Moderators.
So erklärt der Deutschlandfunk: Die Debatte rund ums Gendern werde nach wie vor kontrovers geführt – sowohl in den verschiedenen Sendungen also auch mit Blick auf den eigenen Umgang damit. Es gebe Empfehlungen für eine gendergerechte Sprache, aber keine festen Richtlinien. Für Schülersprecher Fabricius ist der kreative Umgang ein guter Weg. Wer bewusst das Wort „alle“ statt „jeder“ verwende, habe bereits einen Denkprozess hinter sich, der über das Gendern hinausgehe. „Das betrifft generell die Frage, wie Sprache Menschen ausgrenzen und diskriminieren kann.“ Und darum gehe es letztlich doch.
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