Berlin. Die Witze des großen Humoristen sind nicht politisch korrekt? „Ach was“, sagt unsere Kolumnistin. Sie wünscht sich Loriot zurück.
Stellen wir uns mal vor, da ruft der Chef seine Vorzimmerdame zu sich, fest mit dem Ziel, eine kleine, aber aufregende Liebelei mit ihr anzufangen. Und die Vorzimmerdame, sonst immer korrekt mit Dutt, Kostüm und Brille, gibt sich willig hin, haucht nur ab und zu: „Sie machen mich ganz verrückt, Herr Meltzer“.
Das wäre tatsächlich nicht mehr politisch korrekt, so eine Chef-Vorzimmerdame-Geschichte. Doch als eingefleischter Loriot-Fan antworte ich nur ganz knapp: „Ach was“. Und füge hinzu: „Der darf das“. Denn Loriot schafft es wie kein anderer, den ganz normalen, bisweilen spießigen Alltagswahnsinn so akkurat zu zerlegen, dass mir die Tränen vor Lachen aus den Augen schießen.
Nun ist Loriot oder Victor von Bülow tot; seit 12 Jahren schon. Vor kurzem wäre er 100 Jahre alt geworden. Das Suchinteresse im Netz, die vielen Sondersendungen, seine Sketche über Social Media aber zeigen: Womöglich war Loriot nie so lebendig wie heute.
Fräulein Dinkel: „Sie können mit Frauen umgehen, Herr Meltzer“
Doch zurück zum Chef und der Vorzimmerdame, die über eine ungeschickte Rangelei nicht hinaus kommen, da mag sie ihn anfeuern („Sie können mit Frauen umgehen, Herr Meltzer“, „Küssen Sie mich!“), da mögen die Haare verwuscheln und die Beine mit dem hochgezogenen Rock grotesk wie bei einer Werbung für Feinstrumpfhosen in die Luft ragen: „Es geht nicht“, sagt sie irgendwann. Und er: „Aber es muss gehen…andere machen es doch auch“. Letztlich verheddert sich der Akt der Versuchung in Unfähigkeit. Auf der Suche nach Erlösung findet Herr Meltzer eine alte Rechnung und beendet seine Avancen in einem Anfall von Pflichtbewusstsein.
Wer Loriot konsumiert, seine Filme, seine Sketche, seine Comics, dem wird schnell klar: Männer und Frauen können nicht miteinander kommunizieren. Mehr noch: Sie passen nicht zueinander, wie es Loriot einst selbst formulierte. Sie hören sich nicht zu, sind gefangen in ihren eigenen Gedankengängen, reden aneinander vorbei. Das Ergebnis ist gegenseitiger Psychoterror im banalen Alltag. Tatsächlich können sie sich noch nicht einmal ohne Mordgedanken über ein Frühstücksei unterhalten.
Zeternde Frauen und schweigsame, nichts-tuende Männer sind es sicher auch heute noch wert, genauer unter die Lupe genommen zu werden. Beides kenne ich in meinem Umfeld zur Genüge. So wie die Freundin, die bei einem gemeinsamen Urlaub permanent an ihrem Gatten herumnörgelte, während er einfach ausdruckslos blickte – und nichts tat. An dieser Stelle bin ich jetzt ehrlich: Ich gehe mir in dieser Hinsicht tatsächlich selbst auf die Nerven. Loriot anschauen, ist da eine unterhaltsame Therapie. Wäre vielleicht mal ein Ratschlag an Ehepaare, die sich nicht mehr aushalten.
Loriot ist geprägt von einem Weltbild, in dem Frauen den Haushalt führen
Nun ist die Zeit von Loriot geprägt von einem Weltbild, in dem Frauen den Haushalt führen und Männer mehr oder weniger erfolgreich ihrem Arbeitsleben nachgehen. Es kommt zu süffisanten Seitensprüngen, schwierigen Anbahnungen von Beziehungen, unendlich vielen Missverständnissen. Die Frage ist, wie er heute den Familienalltag darstellen würde: Die Vollzeit arbeitenden Eltern, die ihren Alltag nur dank des prallen Terminkalenders ihrer Kinder überhaupt erst bewältigen können. Die Ehefrau, die um ihren Gatten, ihren erwachsenen Sohn herumschwirrt („Soll ich noch das Püree aufwärmen“), ihn mästet und gängelt, müsste jedenfalls an den Alltag angepasst werden.
Und was wäre mit homosexuellen Paaren? Patchwork-Familien? LGBTQ+? Der woken Comunity, die „kulturelle Aneignung“ wittert, wenn sich Leute im Karneval als amerikanische Ureinwohner verkleiden? Und dann, das große Thema „Gendern“ – was würde er damit machen?
Der Horizont ist jedenfalls größer geworden. Ich bin mir sicher: Ein Loriot würde seinen Figuren auch in der heutigen Zeit den ganz großen Ernst geben, der uns so zum Lachen bringt. Potenzial hat da vor allem das Gendern: Loriot hätte ein riesengroßes Kommunikationschaos angerichtet. Eine Verkettung von Missverständnissen, die sich ähnlich potenzieren wie „Das Bild hängt schief“ (falls hier eine lesende Person nicht weiß, worum es geht: In dem Sketch versucht Loriot, ein Bild geradezurücken und verwüstet dabei ein Zimmer).
Falls jemand so richtig wütend über Doppelpunkt, Sternchen, den „Forschenden“ und „Lesenden“ wird oder andersherum: falls es jemand nicht erträgt, weil das generische Maskulinum immer noch unsere Sprache beherrscht: Sehen wir es mit den Augen von Loriot. Wir würden den Psychoterror, der in dem Thema stecken kann, in einer Lachsalve aufsteigen lassen. Ich wünschte wirklich, er würde noch leben.