Moskau. Im März wählt Russland. Nun stößt Boris Nadeschdin auf Interesse: Er will gegen den Präsidenten antreten – mit nur einer Forderung.
Schluss mit dem Krieg! Mit dieser Forderung will der 60-jährige Boris Nadeschdin bei den Wahlen vom 15. bis 17. März gegen Amtsinhaber Wladimir Putin antreten. Dieser habe, so steht es in Nadeschdins Wahlprogramm, mit der „Spezialoperation“ in der „einen fatalen Fehler begangen“. Keines der erklärten Ziele sei erreicht worden.
Lesen Sie auch: Der Kult um Lenins Leiche lebt – „Ich hatte Gänsehaut“
Nadeschdin ist weder Aktivist wie der inhaftierte Alexej Nawalny noch Newcomer wie Jekaterina Dunzowa, der die Kandidatur versagt bleibt, doch beide unterstützen ihn. Er ist Liberaler, ein Politprofi, gehört zum politischen Establishment Russlands. Jetzt zieht er mit schwerem Geschütz gegen Kremlchef Putin zu Felde: „Putin sieht die Welt aus der Vergangenheit und zieht Russland in die Vergangenheit. Russland braucht eine Zukunft – die Zukunft eines Landes, zu dem man aufschaut und in das freie und gebildete Menschen zurückkehren oder umziehen wollen.“
Selbsterklärter Kriegsgegner und Widerpart von Kremlpropagandisten
Geboren wurde Nadeschdin als Spross einer Musiker- und Wissenschaftlerfamilie in Taschkent, der damaligen sowjetischen Republik Usbekistan. Er ist verheiratet mit einer Psychotherapeutin, die beiden haben zwei Söhne. Seit 30 Jahren ist er in der Politik, eine herausragende Position hatte er nie. Eng zusammengearbeitet hat er mit dem 2015 ermordeten liberalen Politiker Boris Nemzow, aber auch mit Sergei Kirijenko, Putins rechter Hand im Kreml. Von 1999 bis 2003 war er für die liberale Partei „Union der rechten Kräfte“ stellvertretender Fraktionsvorsitzender im russischen Parlament. Heute ist er Abgeordneter in der Stadt Dolgoprudny, die an Moskau grenzt.
Russlands Fernsehzuschauer kennen den erklärten Kriegsgegner als Widerpart von Kremlpropagandisten in russischen TV-Talks. Seine Auftritte im Staatsfernsehen nahmen ihm russische Oppositionelle übel. Eine Art „Hofnarr“ sei er gewesen. Er trage das System mit, seine Auftritte signalisierten eine Art Pluralismus im russischen Fernsehen, den es in Wirklichkeit nicht gebe.
- Schreckliche Traumata: Verroht durch den Krieg: Junge Russen rasten immer öfter aus
- Expertin: „Putin versteht nicht, wen er hier gestärkt hat“
- Region Belgorod: Pro-ukrainische Milizen greifen Russland an – wer sind sie?
- Zielgenau und grausam:So sicherte sich Putin seine Macht
- Diktatur: Putins Propaganda verfängt bei Russen – enorme Zustimmung
- Putins Krieg gegen LGBTQ: „Wo ist denn dein Penis?“
Boris Nadeschdin: „Putins Abgang ist nur der erste notwendige Schritt“
Mittlerweile tritt er nicht mehr im TV auf. Sagt er doch in seinem Wahlprogramm: „Russland läuft Gefahr, vom europäischen Staat, den es jahrhundertelang angestrebt hat, zum Vasallen Chinas zu werden. Doch Putins Abgang ist nur der erste notwendige Schritt. Russland muss einen schwierigen Weg gehen, sich der Zukunft zuzuwenden und einen Zusammenbruch in Chaos und Katastrophe vermeiden.“
Seine Bewerbung ist in Russland auf unerwartet großes Interesse gestoßen. So groß, dass in der Zwischenzeit auch der Kreml reagiert hat. Ob er Nadeschdins Kandidatur als Bedrohung sehe, hatte ein Journalist Kremlsprecher Dmitri Peskow gefragt. „Wir betrachten ihn nicht als Rivalen“, wiegelte dieser ab.
Auch interessant: Ukrainer gewinnen ungleiches Duell gegen Putins Superpanzer
Ob er am Ende aber tatsächlich offiziell als Kandidat für die Wahl registriert wird, ist unsicher. Russlands Zentrale Wahlkommission fordert 105.000 Unterschriften von Unterstützern, die bis zum 25. Januar in verschiedenen Regionen gesammelt werden mussten. Nadeschdin weiß, dass viele Unterschriften nicht anerkannt werden könnten.
Nadeschdins Team hat das Soll übererfüllt und laut eigenen Angaben 200.924 Unterschriften bekommen. Denn immer wieder wurde in der Vergangenheit Oppositionspolitikern eine Kandidatur mit der Begründung verweigert, die von ihnen gesammelten Unterschriften seien angeblich fehlerhaft.
Russland: Polizei nimmt Wahlhelfer mit
Auch gibt es Berichte von Störungen bei der Sammlung von Unterschriften. So wurden in Petersburg, Nowosibirsk und in Obninsk Wahlhelfer des Politikers kurzzeitig von der Polizei mitgenommen. Die Unterschrift für Nadeschdin sei für die Menschen eine Möglichkeit, „ihre Unzufriedenheit“ zum Ausdruck zu bringen, „ohne Angst vor einer Festnahme oder einer Entlassung haben zu müssen“, sagt ein 19-Jähriger in der Warteschlange.
„Boris Nadeschdin ist kein neuer Mensch in der russischen Politik. Aber das ist ein Mann unserer Ansichten, mit dem die meisten von uns keine grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten haben. Er ist gegen den Krieg und scheut sich nicht, darüber zu sprechen“, so der oppositionelle Politiker Maxim Katz, der im Exil lebt. Bis 10. Februar muss die Wahlkommission entscheiden.
- Kriegsmaterial: Gehen Russland im Ukraine-Krieg die Panzer aus?
- Teure Produkte: Russen kaufen westliche Waren, die in Kiew niemand will
- Rüstungsmesse: Panzer, Drohnen – und die Rakete, die uns vor Putin rettet
- Militärexperte: Masala: „Auf der Krim hat die Ukraine jetzt die Initiative“