Moskau. Vor 100 Jahren starb Lenin. Und noch immer liegt der Tote öffentlich zugänglich im Mausoleum in Moskau. Doch das wirft eine Frage auf.
Wladimir Iljitsch Lenin lebt! Hunderte Lenin-Statuen werden in Russland gehegt und gepflegt, seinen einbalsamierten Leichnam können die Menschen im Moskauer Mausoleum an der Kreml-Mauer besuchen. Dort liegt Lenin in schummrigem Licht, wie schlafend, im feinen Anzug. Und Besucher, wie etwa die 62-jährige Jelena, kommen nach wie vor. „Wir mussten zuerst in der Schlange warten“, sagt sie unserer Zeitung. „Dann ging es in den Raum, in dem die Mumie liegt. Ich kann Ihnen meine Empfindungen nicht vermitteln, ich hatte eine Gänsehaut.“
Vor 100 Jahren ist er gestorben – und um den Lenin-Kult gibt es durchaus kontroverse Diskussionen. Da ist zum Beispiel Alexander. Er ist 43 Jahre alt, geboren noch zu Sowjetzeiten. Ins Mausoleum würde er nie gehen. „Schon als Kind fragte ich mich, warum ich diesen Opa Lenin lieben sollte, den die Erzieherin im Kindergarten und später die Grundschullehrerin so positiv beschrieben hatten.“ Und der 34-jährige Andrej ergänzt: „Es ist seltsam, dass Lenin im Mausoleum liegt, das entspricht nicht der christlichen Bestattungstradition. Sogar Stalin, Breschnew wurden in der Erde an den Kreml-Mauern begraben, was war an Lenin so groß?“
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Nach wie vor kommen Gäste aus aller Welt, ganze Schulklassen pilgern in Scharen in den vom bewaffneten staatlichen Wachdienst des Kreml beschützten Lenin-Tempel. Sie kommen, um die Mumie jenes Mannes zu sehen, der nach der sozialistischen Oktoberrevolution von 1917 fünf Jahre später den ersten sozialistischen Staat der Erde, einen Staat der Arbeiter und Bauern, gründete. Doch 100 Jahre nach seinem Tod ist Lenins Rolle nicht nur unter Historikern umstritten.
Lenin starb vor 100 Jahren – Todesursache: unklar
Russlands Kommunisten verehren den Erbauer einer neuen Weltordnung auch Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der von ihm gegründeten Sowjetunion. Am Sonntag, dem 21. Januar, legen sie zum 100. Todestag Lenins Blumen und Kränze nieder. Für andere, vor allem im Westen, ist Lenin der Wegbereiter des Roten Terrors. „Lenin leitete damals mit dem sozialistischen Experiment eine Zeitenwende ein. Und er war klar auch ein Wegbereiter für die Terror- und Gewaltherrschaft seines Nachfolgers Stalin“, so die Heidelberger Osteuropa-Historikerin Tanja Penter.
Lenins Nachfolger Josef Stalin steht für Diktatur, Repression, die vollständige Unterdrückung jeder Denk- und Meinungsfreiheit und für brutale Säuberungen. Millionen Menschen starben in den Straflagern, den Gulags, in denen die Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten. Vermeintliche und tatsächliche Gegner wurden verhaftet und in Schauprozessen abgeurteilt. Und auch Lenin sei ein Tyrann gewesen, „der seine Ziele rücksichtslos gegen alle Widerstände durchsetzte“, meint die Historikerin Penter. „Lenin war ein radikaler Erneuerer, der fanatisch an die Richtigkeit seiner Sache glaubte.“
Wladimir Iljitsch Lenin wurde am 22. April 1870 geboren. Er schloss sich den marxistischen Sozialdemokraten an, nachdem sein Bruder Alexander wegen eines geplanten Attentats auf den russischen Zaren hingerichtet worden war. Mehrfach musste Lenin ins Exil emigrieren, 1903 gründete er die spätere Kommunistische Partei Russlands. Im Alter von nur 53 Jahren starb Lenin. Warum so früh, das ist nicht restlos geklärt. Manche sagen, er habe einen Schlaganfall erlitten. Auch Verkalkung und Spätfolgen eines Attentats gelten als mögliche Gründe. Am 30. August 1918 hatte Lenin das Attentat der Anarchistin Fanny Kaplan überlebt.
Was passiert in der Zukunft mit Lenins Leiche
Seit kurz nach seinem Tod liegt Lenin einbalsamiert im Mausoleum am Roten Platz in Moskau. Die Leiche zu erhalten ist aufwändig. Wie genau die Balsamierung vor sich geht, das ist in Russland Staatsgeheimnis. Bekannt ist: Etwa alle zwei Jahre wird Lenins Leiche in einer Wanne im Russischen Forschungsinstitut für medizinische und aromahaltige Pflanzen in ein Gemisch gelegt oder es werden in Teile seines Körpers konservierende Substanzen gespritzt, das berichten russische Medien. Das Rezept für das angeblich farb- und geruchlose und ungiftige Präparat ist geheim. Aber überliefert ist, dass für die ersten Balsamierungen auch Formalin, Kalium und Glyzerin eingesetzt worden sind. Lenins Gehirn wird separat aufbewahrt.
Soll Lenin nicht doch beerdigt werden? Seit Jahren schon gibt es darüber Debatten. Die russisch-orthodoxe Kirche fordert das. Und laut Umfragen wollen das die meisten Russen. „Es ist eine dumme, heidnische Mission der Liebe zu Leichen, die wir auf dem Roten Platz haben“, sagte einst der prominente Kreml-Politiker Wladimir Medinski, der enge Beziehungen zur Kirche und zu Russlands PräsidentenWladimir Putin pflegt. „Experten wissen, dass nur noch zehn Prozent des Körpers erhalten sind.“
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Im Russland von heute ist Lenin allgegenwärtig. Nach wie vor. Allein in Moskau stehen mehrere riesige Lenin-Denkmäler. Die Nationalbibliothek und die weltberühmte Metro der russischen Hauptstadt tragen Lenins Namen. Und Kremlchef Putin betont, dass es noch immer viele Menschen in Russland gebe, die einen großen Teil ihres Lebens mit Lenin und „gewissen Errungenschaften der Vergangenheit, Errungenschaften der Sowjetunion“ eben mit ihm verbänden. Solange das so sei, solle sich an dem Personenkult nichts ändern, so Putin. „Was den Körper angeht, so sollte der nach meiner Meinung nicht angerührt werden.“
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