Kiew. Seit Kriegsbeginn haben die Ukrainer alles aus Putins Reich verbannt. Nun feiert ausgerechnet eine russische Fernsehserie Erfolge.
Russlands Angriffskrieg hat in der fast alles, was irgendwie russisch war oder klang, aus dem Land verbannt. Doch plötzlich ist es zurück: Die neue russische Serie „Das Wort des Jungen“, die über kriminelle Jugendgangs in der Region Tatarstan Ende der 80er Jahre erzählt und gleich extrem beliebt wurde, hat nicht nur im Heimatland für Wirbel gesorgt. In Russland wird die Serie für ihre künstlerische Qualität gelobt, doch es gab auch Kritik. Wegen der Romantisierung der Jugendgewalt forderten Politiker sogar, sie zu verbieten. Und obwohl Serie von einer Kreml-nahen Organisation mitfinanziert wurde, hat sich „Das Wort des Jungen“, in der Muttersprache „Slowo pazana“, plötzlich auch zu einem Erfolg auch in der Ukraine entwickelt.
Der Titelsong aus der Serie erreichte zeitweise die Nummer eins der ukrainischen Apple Music- und Spotify-Charts. Auch in den sozialen Netzwerken wird über „Das Wort des Jungen“ diskutiert. Damit kehrt ein Kult um russische Pop-Kultur zurück, der bis zum 24. Februar 2022 vollkommen normal war.
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Russland: Selenskyi moderierte noch 2013 die Silvestergala im Staatsfernsehen
Eine gemeinsame kulturelle Tradition war selbst nach der Annexion der Krim und dem Beginn des Donbass-Krieges im Frühjahr 2014 noch Standard. Zwar gingen positive Äußerungen über die russische Politik massiv zurück und eine größere Gesellschaftsgruppe lehnte auch die russische Pop-Kultur zunächst ab. Und doch lebten und fühlten drei Viertel der ukrainischen Gesellschaft einen gemeinsamen kulturellen Raum mit Russland – und zwar bis zum 24. Februar 2022, dem Tag, als der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begann.
Russische Pop- und Rap-Musik lagen regelmäßig ganz oben in den ukrainischen Charts. Gleiches galt für russische Comedy-Sendungen auf YouTube oder für Fernsehserien. Andersherum: Ukrainische Pop-Musiker, die auf Russisch sangen, waren in Russland extrem erfolgreich – und stellten die einheimischen Sängerinnen und Sänger oft in den Schatten. Und auch im Fernsehen waren die Serien der Produktionsfirma Kwartal 95 vom heutigen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bis zu seinem Wahlsieg im Frühjahr 2019 sehr beliebt – obwohl Selenskyj selbst Russlandbesuche seit 2014 vermied. Zuvor hatte er in der Neujahrsnacht 2013/2014 noch eine Silvestergala im russischen Staatsfernsehen moderiert, was aus heutiger Sicht unvorstellbar erscheint.
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In der Ukraine sorgt der Erfolg der russischen Serie auch für Empörung
Die meisten vorher in Russland beliebten ukrainischen Musiker sind nach dem 24. Februar 2022 ins Ukrainische gewechselt – und singen nicht mehr auf Russisch. Außerdem befindet sich die ukrainischsprachige Stand-up-Comedy auf der Erfolgsspur und überholte die russischen YouTube-Komiker. Der Vorteil der Comedy: Man kann auch in Kriegszeiten gleichzeitig lachen – selbst Alltagsscherze bleiben derart tagesaktuell und an den Krieg gebunden, dass man sich dabei nicht schlecht fühlt. Dass aber ein russisches Lied wie im Falle des Soundtracks von „Das Wort des Jungen“ oben in den ukrainischen Charts steht, passiert äußerst selten – und wenn überhaupt, dann ist das einem Trend auf TikTok geschuldet.
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Daher sorgt der Erfolg der neuen russischen Serie in der Ukraine bei vielen für Empörung. Mehrere Stars äußerten ihr Unverständnis. Und auch das Kulturministerium in Kiew sprach davon, dass im „Das Wort des Jungen“ „feindliche Propaganda“ zu finden sei, deren Existenz zur Kriegszeit nicht tolerierbar sei. Die Serie fördere „direkt Gewalt, Kriminalität und für das Land des Aggressors gewöhnliche Ästhetik“, so das Ministerium. Nicht ganz zu Unrecht: Neben kremlnaher Finanzierung ist die Serie voller antiamerikanischen Ressentiments, einer der Protagonisten heißt wie eine russische ballistische Rakete. Abgesehen davon propagiert „Das Wort des Jungen“ ganz klar das Recht des Stärkeren.
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Diese russische Serie ist für die Ukrainer authentischer als US-Filme
Wieso erlangte die Serie trotzdem eine solche Beliebtheit? Das Drehbuch orientiert sich am Buch „Das Wort des Jungen. Kriminelles Tatarstan zwischen 1970 und 2010“ . Dessen Autoren waren Ende der 80er Jahre selbst in einer solchen Jugendgruppierung der heutigen russischen Republik unterwegs – entsprechend genau zeigt die Serie die damaligen Ereignisse und die Konkurrenz zwischen der jungen Kriminalbanden. Das war kein Phänomen, dass sich auf Russland beschränkte. Zwischen Mitte der 80er und Mitte der 90er Jahren gab es ähnliche Gruppierungen auch in der Ukraine – ganz prominent unter anderem in der Selenskyjs Geburtsstadt Krywyj Rih im Bezirk Dnipro. Daher ist „Das Wort des Jungen“ für die Ukrainer authentischer vor als etwa US-amerikanische Filme und Serien mit ähnlicher Thematik.
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Die Serie zeigt aber nicht, dass das Russische in der Ukraine wieder Fuß fasst. Ganz im Gegenteil: „Das Wort des Jungen“ ist ein sehr spezifisches Produkt, eher ein singuläres Phänomen. Dass die russische Pop-Kultur wieder Einzug in das Leben der ukrainischen Bevölkerung hält, ist nahezu ausgeschlossen.
Der Erfolg zeigt aber ein Dilemma, vor dem die Ukraine als Staat im langen Abwehrkrieg gegen Russland steht. Trotz einer Welle der Empörung wurden in diesem Jahr staatliche Fördergelder für mehrere ukrainische Filme und Serien gestrichen. In Kriegszeiten, in denen so gut wie alle Steuereinnahmen ins Militär fließen, ist das auch nachvollziehbar. Doch während Musiker oder Komiker in der Lage sind, sich selbst durchzusetzen, sind teure Filmproduktionen ohne staatliche Hilfen kaum möglich. Der russische Präsident Wladimir Putin hingegen spart nicht bei der Filmförderung und deshalb ist in der Ukraine mit vereinzelten russischen Überraschungscoups zu rechnen.---
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